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Gefährliche Idylle. Nomaden halten seit Mittwoch das Laikipia-Wildreservat besetzt und brannten bereits eine Safarilodge nieder.

© imago/robertharding

Kenia: Anarchie im Safariparadies

Die privaten Wildtierreservate und Resorts in Laikipia sind bei Touristen sehr beliebt. Doch seit Wochen kommt es dort zu Übergriffen und Auseinandersetzungen mit Viehhirten.

Zwei Tage vor Neujahr: Eine Familie aus den Niederlanden freut sich auf den Safariurlaub in Laikipia, fünf Stunden nördlich der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Als sie das Wildtierreservat erreicht, blockieren Felsbrocken die Erdstraße. Eine Bande Jugendlicher taucht plötzlich aus den Büschen auf und bewirft ihren Geländewagen mit Steinen. Einem Polizisten gelingt es, die zehn Angreifer zu vertreiben. Doch es soll nur ein Vorgeschmack sein auf die Gewalt der kommenden Monate.

Sie schneiden die Zäune auf und treiben ihre Herde, manchmal hunderte, meist tausende Kühe, auf das Grasland. Man erkennt sie an den bunten Röcken, den traditionellen Armreifen – und der AK47 um ihre Schulter. Auf der Suche nach Wasser und Weideland besetzten traditionelle Viehhirten seit Weihnachten Dutzende private Wildtierreservate und Safariresorts in der Region Laikipia. Lokale Berichte sprechen von 10 000 Hirten mit mindestens 135 000 Kühen. In der Region, die vor allem bei Touristen aus Europa und den USA beliebt ist, verbreiten sie seither Anarchie. Aus Gästehäusern stahlen sie Matratzen. Eine Elefantenherde griffen sie vor den Augen der Touristen an. Diese Woche setzten sie einen Traktor und mindestens vier Quadratkilometer Naturschutzgebiet in Brand. Etliche Farmer und ihre Arbeiter wurden bei Prügelattacken und Schießereien verletzt. „Das ist kein Konflikt, der einen Vermittler bräuchte“, sagt der lokale Parlamentsabgeordnete Antony Mutahi. „Wir verlangen von der Regierung, die Hirten vollends zu vertreiben.“

Am Mittwoch besetzten die Nomaden die „Laikipia Nature Conservancy“. Das Wildreservat in der Größe von 60 000 Fußballfeldern ist die Heimat der in Italien geborenen Naturschützerin und Autorin Kuki Gallmann. In der Verfilmung ihrer Biografie „Ich träumte von Afrika“ war Gallmann von Kim Basinger gespielt worden. Bei Touristen aus Europa ist die angeschlossene Mukutan Retreat Lodge nicht zuletzt wegen des Hollywood-Hits so populär. Als die Eindringlinge das Feriendomizil jetzt niederbrannten, befanden sich keine Gäste darin. Gallmann selbst war ebenfalls nicht vor Ort, doch ihre Tochter entkam laut der Buchautorin nur knapp einem Schusswechsel zwischen den Viehhirten und der Polizei.

Touristen waren bislang nicht unter den Opfern. Insgesamt kamen bei der Gewaltwelle in Laikipia aber bereits 30 Menschen ums Leben. Einer von ihnen war Tristan Voorspuy. Der Safariunternehmer aus Großbritannien war per Pferd auf seiner Farm Sosian unterwegs, um Gästelodges zu begutachten, die die Belagerer in den Tagen zuvor abgefackelt hatten. Sie erschossen ihn und sein Pferd. „Briten haben die freie Wahl, über ihre Reisepläne zu entscheiden“, sagte ein Sprecher der englischen Botschaft. Eine zuvor ausgegebene Reisewarnung bezieht sich jedoch auf den Norden der Region.

Polizei und Militär suchen nun nach illegalen Landbesetzern

Wo Touristen sonst nach Löwen Ausschau halten, suchen Polizei und Militär nun gemeinsam nach illegalen Landbesetzern. Kenias größtes Problem sind unregistrierte Feuerwaffen, von denen es allein im Umkreis von Laikipia 25 000 geben soll. Viele befinden sich lokalen Berichten zufolge in den Händen nomadischer Viehhirten. Darüber hinaus herrscht Sorge über die Vorgehensweise der Polizei. Auf der Farm von Buchautorin Gallmann sollen die Sicherheitskräfte 500 Kühe erschossen haben, bevor es zu dem Angriff kam. „Sowohl der Brand in der Sosian Lodge als auch der Mord an Tristan Voorspuy passierten, nachdem die Polizei auf die Kühe anstatt die schwer bewaffneten Milizen feuerte“, schreibt die Tageszeitung „The Star“.

Neben der Polizei könnten sich auch einige Regionalpolitiker für die Anarchie verantworten müssen. Während seiner Rede zur Lage der Nation machte Staatspräsident Uhuru Kenyatta sie für den Tod sowie für die Vertreibung hunderter Bewohner verantwortlich. Mathew Lempurkel, Parlamentsabgeordneter der Region Laikipia North, musste diese Woche erneut vor Gericht. Er soll mit Hassreden zur Ermordung von Farmer Voorspuy beigetragen haben, als er Anhängern in der Gemeinde einhämmerte: „Die Regierung ist unser Feind. Nicht umsonst geben uns gewisse Menschen Geld, um Waffen zu kaufen.“ Zwei Tage später wurde Voorspuy hingerichtet.

Bewohner werfen der Nationalregierung in Nairobi vor, die Gewalt in Laikipia nur halbherzig zu bekämpfen. Im August sind die 47 Millionen Einwohner des Landes zur Wahl aufgerufen. Vizepräsident William Ruto, der gemeinsam mit Kenyatta zur Wiederwahl antreten will, nutzte seinen jüngsten Besuch im Bundesstaat für einen Wahlkampfauftritt: Eine 27-jährige Frau, die von den bewaffneten Hirten angeschossen worden war, ließ Ruto per Privathelikopter nach Nairobi ausfliegen. Dort bezahlte er später ihre Krankenhausrechnung. „Ich danke Gott, dass der Angriff stattfand, als der Vizepräsident durch unser Dorf tourte“, sagte Rose Kuraru am Montag vor der Klinik.

In Laikipia wächst derweil die Sorge vor ausbleibenden Buchungen. 4000 Jobs in dem Bundesstaat sind direkt vom Safari- Tourismus abhängig. Sieben der mehr als 30 Lodges mussten wegen der Farmbesetzungen bereits schließen. „Diese Unternehmen waren für 2017 ausgebucht, was eine Menge Geld nach Kenia gebracht hätte. Dabei ist unsere Wirtschaft bereits im Sturzflug“, sagte ein Bewohner dem „Star“. Richard Vigne, Betreiber des Wildreservats Ol Pejeta, hofft verzweifelt, dass sich die Vorfälle in Teilen der Region nicht auf die Besucherzahlen von ganz Laikipia auswirken: „Zweifellos wird der Tourismus in Nord- und Westlaikipia leiden. Aber wir sind etwa hundert Kilometer von den Invasionen entfernt – und gänzlich unbetroffen.“

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