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Sechs Start- und Landebahnen: Istanbul erhält den größten Flughafen der Welt.

© imago/Depo Photos

Istanbuls neuer Airport: Tod am Flughafen

Das Vorzeigeprojekt von Präsident Erdogan: In Istanbul soll der größte Airport der Welt entstehen. Viele Arbeiter sind auf der Baustelle bei Unfällen ums Leben gekommen.

Die Türkei steht kurz vor Vollendung eines der größten Prestigeprojekte von Präsident Recep Tayyip Erdogan. An diesem Montag, dem Geburtstag des Staatschefs, soll auf dem geplanten Großflughafen nördlich von Istanbul der erste Testflug stattfinden – mit dem Staatschef höchstpersönlich als erstem Passagier. In weniger als drei Jahren haben die Türken eine Anlage aus dem Boden gestampft, die nach dem Endausbau mit 150 Millionen Passagieren im Jahr der größte Airport der Welt werden soll. Doch nun kommt die dunkle Seite des türkischen Rekordtempos ans Licht: Dutzende, wenn nicht sogar hunderte Arbeiter sind auf der Großbaustelle bei Unfällen ums Leben gekommen. Einem Bericht der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ ist es zu verdanken, dass die Behörden die Todesfälle nicht mehr unter den Teppich kehren können. Der Flughafen werde zum Massengrab, schreibt Reporter Mehmet Kizmaz, der einen Lastwagenfahrer auf der Großbaustelle mit ihren insgesamt 31000 Arbeitern begleitete.

Grundgehalt 320 Euro im Monat

Die 1500 Lastwagen transportieren Bauschutt und Abraum; je mehr Touren ein Fahrer pro Tag absolviert, desto höher ist sein Einkommen. Reich wird man damit dennoch nicht. Das Grundgehalt liegt bei umgerechnet 320 Euro im Monat, die Prämie für zusätzliche Touren liegt bei zwei Euro. Das Ergebnis ist ein regelrechter Lkw-Terror auf den Zufahrtsstraßen. So sind die Trucks häufig völlig überladen, etliche sind wegen gebrochener Achsen, defekter Bremsen oder fehlender Beleuchtung verkehrsunsicher. Gefahren wird trotzdem, und zwar zwölf Stunden am Tag statt der vorgeschriebenen maximalen Arbeitszeit von acht Stunden. Die Polizei drückt beide Augen zu, weil die Baufirmen vom Staat geschützt werden, wie „Cumhuriyet“ meldet. Die ebenfalls regierungskritische Zeitung „Evrensel“ nannte den Flughafen deshalb eine „Todespiste“.

Manche Arbeiter, die aus Anatolien nach Istanbul gekommen seien, würden auf der Baustelle wie Sklaven gehalten, berichtet „Cumhuriyet“. Für sie gebe es nicht einmal regelmäßige Mahlzeiten, manchmal verweigerten die Arbeitgeber die Lohnzahlung. Dagegen sollen die aus Deutschland eingeflogenen Facharbeiter relativ gut versorgt werden.

Offizielle Eröffnung im Herbst

Der neue Flughafen soll Istanbul zu einem internationalen Drehkreuz wie Hong Kong, London oder Frankfurt am Main machen. Und es geht um viel Geld. Die beteiligten Unternehmen haben dem Staat 22 Milliarden Euro zahlen müssen, um den Flughafen bauen und 25 Jahre lang betreiben zu dürfen.

Die Regierung hat sich auf eine offizieller Eröffnung des ersten Teils des Airports am Republikstag am 29. Oktober diesen Jahres festgelegt. Dann soll innerhalb von zwei Tagen der Flugverkehr von den beiden bestehenden Istanbuler Flughäfen auf den neuen Flughafen umgeleitet werden. An diesem Montag will Erdogan mit der ersten Maschine auf einer bereits fertigen Landebahn landen.

Wegen des Zeitdrucks werden Sicherheitsmaßnahmen ignoriert, was die Arbeiter in Lebensgefahr bringt. Fehlende Arbeitssicherheit ist in der Türkei seit langem ein Problem; allein im vergangenen Jahr starben laut Gewerkschaftsangaben rund 2000 Menschen bei Arbeitsunfällen. Doch die Zustände auf dem Flughafengelände sind offenbar ganz besonders schlimm. Yunus Özgür von der Bauarbeitergewerkschaft Insaatis sagte „Cumhuriyet“, er höre dort von drei bis vier Todesfällen jede Woche.

Nur die wenigsten davon werden der Öffentlichkeit bekannt. Die Angehörigen der Todesopfer, oft arme Familien aus fernen Landesteilen, werden „Cumhuriyet“ zufolge mit der Zahlung von umgerechnet rund 90000 Euro zum Schweigen verpflichtet. Das ist viel Geld für eine Familie, die plötzlich mittellos dasteht.

Schnelles Bautempo soll Wähler beeindrucken

Der „Cumhuriyet“-Bericht löste eine parlamentarische Anfrage der Opposition an die Regierung aus und schreckte die türkische Öffentlichkeit so auf, dass Ankara reagieren musste. Bisher habe es 27 Todesfälle auf der Großbaustelle gegeben, gab das Arbeitsministerium zu, das bisher nichts über die tödlichen Unfälle mitgeteilt hatte. Die Baustelle werde streng kontrolliert, betonte das Ministerium, doch laut „Cumhuriyet“ kann davon keine Rede sein.

Auch der Wirtschaftswissenschaftler und Kolumnist Mustafa Sönmez spricht von „katastrophalen Arbeitsbedingungen“ am neuen Flughafen. „So etwas gibt es auf der ganzen Welt kein zweites Mal“, sagte Sönmez dem Tagesspiegel. Der Regierung gehe es beim Flughafen-Projekt einzig und allein darum, ihre Wähler vor den Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen des kommenden Jahres mit einem schnellen Bautempo zu beeindrucken. Auf die Arbeiter wird keine Rücksicht genommen, sagen Sönmez und andere Kritiker. Selbst wenn die Zahl von 27 Toten der Wahrheit entsprechen sollte, wäre sie ein Skandal, so Sönmez.

Mehrmals hat es in den vergangenen Jahren Protestaktionen von Arbeitern gegeben, und auch kürzlich gingen Arbeiter wieder auf die Barrikaden und demonstrierten gegen die Überfüllung ihrer Unterkünfte. Verkehrsminister Ahmet Arslan plant trotz der Zustände schon die Eröffnung des Airports. Rund 80 Prozent der Bauarbeiten sind laut offiziellen Angaben abgeschlossen. Bei den restlichen 20 Prozent ist der Druck unverändert hoch, an den lebensgefährlichen Bedingungen für die Beschäftigten ändert sich offenbar nichts. „Evrensel“ zufolge stürzte vorige Woche ein Bauarbeiter aus vier Meter Höhe von einem Balken und starb.

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