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Genetik: Was die Gentechnologie kann

Genetikexperte Ferdinand Hucho über Chancen und Risiken im Umgang mit menschlichem Erbgut.

Die erste Welle war furchtbar. In den neunziger Jahren scheiterten mehr als 100 Versuche, tödliche Krankheiten mit gentechnischen Methoden zu heilen, die meisten davon in den USA. Man hatte den zweiten Schritt vor dem ersten getan, die Anwendung vor die Grundlagenforschung gesetzt. Nach diesen desaströsen Erfahrungen hieß es: zurück in die Labore, zurück zur zellbiologischen Forschung! Heute ist die Gentherapie wie ihre Schwester, die Stammzelltherapie, einer jener neuen Hoffnungsträger der Medizin, der zunächst von Versprechen, in nicht allzu ferner Zukunft aber zweifellos von sichtbaren Erfolgen getragen wird.

Gentherapie ist die Reparatur defekten Erbmaterials und der Einsatz von Erbmolekülen, die man in kranke Gewebe, zum Beispiel in Tumoren, einbringt. Gentherapie soll Fehler im Erbmaterial korrigieren oder aber die kranke Körperzelle, die Krebszelle etwa, töten. Die Rückschläge beruhten darauf, dass die angewendeten Reparaturmechanismen wirkungslos oder gar schädlich waren. Chromosomen, Gene, das ganze Genom kontrollieren Wachstum und Gedeihen der Zelle.

Die Schwierigkeit besteht darin, die Kontrolltechnik unter Kontrolle zu halten. Jede Manipulation am Erbmaterial kann heilsam, aber auch krankheitsauslösend sein. Als Transporteur der heilsamen Botschaft – als Genfähren oder Vektoren – werden vor allem Viren verwendet. Denn sie können in Zellen eindringen, ihr eigenes Erbmaterial in das Genom der Zelle einbauen und sich somit an der Steuerung des Zellgeschehens beteiligen. Man muss die Viren nur gut auf ihre Aufgabe vorbereiten – und das bedeutet mühsame und langwierige Forschungsarbeit.

Diese scheint nun zu einem vorläufigen guten Ergebnis zu kommen. Jedenfalls nach Ansicht einer Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft (BBAW), die die Gentechnologie in Deutschland beobachtet. Sie veröffentlichte 2005 den Ersten Deutschen Gentechnologiebericht und tritt nun mit einem ergänzenden Themenband an die Öffentlichkeit.

Anders als die Grüne Gentechnologie, die Verwendung der neuen molekularen Techniken im Agrar- und Nahrungsmittelbereich, trifft Gentherapie in unserem Land auf wenig Widerstand. Sollte sie bald im medizinischen Bereich erfolgreich sein, würde dies wahrscheinlich die Akzeptanz der Gentechnik insgesamt steigern. Was unserer aller Gesundheit nützt, sehen wir leichter ein. Und dabei akzeptieren wir auch Risiken eher, als bei etwas, dessen Nutzen nicht offensichtlich ist.

Wo steht nun also die Gentherapie in unserem Land? Die BBAW-Gruppe hält die deutsche Forschung durchaus für konkurrenzfähig. Zahlreiche Studien geben Anlass zu Optimismus. Deutschland nimmt hierbei hinter den USA und England den dritten Platz ein. Drei Viertel der Studien befassen sich mit Krebstherapien, ein Fünftel mit Aids. Der Rest richtet sich auf Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen. Keiner dieser Ansätze steht jedoch vor der Einführung in die Praxis; keiner wäre in naher Zukunft in der Lage, in großem Umfang konventionelle Tumortherapien, wie eine Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie zu ersetzen. Nur in China ist bereits ein Tumor-Therapeutikum auf dem Markt, eine Gentherapie, bei der mit Hilfe einer viralen Genfähre ein Gen in Tumorzellen eingebracht wird, um dort ein tumorunterdrückendes Protein zu produzieren. Über Erfolg oder Misserfolg dieser Therapie ist bei uns allerdings wenig bekannt. Für die westliche Welt können wir jedoch davon ausgehen, dass die technischen Probleme einer Gentherapie gelöst werden, dass sie also eine Option ist, die offenzuhalten sich lohnt. Welche Rolle sie im Verhältnis zu Alternativen wie Vorbeugung oder neuartigen chemischen Medikamenten spielen wird, ist aber keineswegs abzusehen.

Immerhin gelingt es zunehmend, in das Erbgut, auch des Menschen, einzugreifen. Wenn auch die unmittelbaren Risiken durch den Fortschritt immer geringer werden, ist es wichtiger denn je, die Entwicklung kritisch im Auge zu behalten. Gefahr droht nicht von den medizinischen Anwendungen der Gentherapie, sondern von den nicht therapeutischen. Das Stichwort, das furchterregend umgeht, heißt „Enhancement“, zu Deutsch: Verbesserung. Die Versuchung ist groß, Gene in Körperzellen, eventuell sogar in die Keimbahn, einzubringen, die zum Beispiel einen erblich bedingten schwächlichen Körperbau, die Anfälligkeit für Krankheiten, vielleicht sogar Intelligenz- oder Charaktermängel korrigieren. Die Wissenschaftler, auch die des BBAW-Berichts, lehnen Enhancement ebenso wie Keimbahntherapie strikt ab und rufen nach eindeutigen gesetzlichen Regelungen. Wie kann man jedoch erfolgs- und geldhungrige Sportler oder überehrgeizige Eltern davon abhalten, illegal oder in einem weniger restriktivem Land, ein wenig nachzuhelfen? Gendoping funktioniert noch nicht; man wird aber die Sorge nicht los, dass mancher nur darauf wartet, an die neue, schwer nachweisbare Methodik heranzukommen.

Erst vor wenigen Tagen wurde die spanische Radsportlerin Maria Isabel Moreno von den Olympischen Spielen in Peking ausgeschlossen, weil bei ihr Epo nachgewiesen wurde. Und das ist nur eine Vorform des genetischen Enhancements. Hierbei wird das Protein, das im Körper die Bildung sauerstoffspeichernder Blutkörperchen fördert, zwar gentechnisch von Bakterien hergestellt. Echtes Gendoping wäre es aber erst, wenn man den Sportlern das Gen direkt einpflanzen würde, sodass sie selbst mehr Epo bilden.

Der neue Ansatz gentherapeutischer Methoden trifft mit einer dramatischen Entwicklung der Gendiagnostik zusammen. Die „Entschlüsselung menschlicher Genome“ entwickelt sich derzeit so rasant, dass wir vermutlich in absehbarer Zeit das Genom jedes Einzelnen entziffern können. Jeder wird sich dann über seine Eigenschaften, seine im Erbgut niedergelegten Stärken und Schwächen, informieren können. Im Zusammenhang mit künstlicher Befruchtung und der bei uns noch verbotenen Pränataldiagnostik tun sich Horrorszenarien auf.

Zwei Gründe verbieten derartige Eingriffe: Wissenschaftlich ist Enhancement Unfug. Denn an den komplexen Eigenschaften, die man verbessern möchte, sind eine Vielzahl von Genen in völlig (und prinzipiell) undurchschaubarer Weise beteiligt. Und nicht nur die Gene: die Umwelt, die Vorgeschichte, die Ernährung bestimmen unser Wachstum und Gedeihen, unsere menschliche Natur.

Ethisch ist Enhancement ebenso Unfug. Denn wer dürfte schon an unserem ererbten, Entwicklungs- und Kultur-bedingten Menschsein basteln und unvorhersehbare Veränderungen erwirken! Dabei kann nur Pfusch herauskommen; und den dürfen wir uns keinesfalls zumuten.

Der Autor Ferdinand Hucho, 69, ist emeritierter Chemie-Professor der FU und Mitglied im Ausschuss für Gentechnologie der Berlin-Brandenburgischen Akademie.

Ferdinand Hucho

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