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Setsuko Thurlow (M), Hiroshima-Überlebende und Aktivistin der Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (Ican) und Beatrice Fihn (r), Ican-Geschäftsführerin, freuen sich am 10.12.2017 in Oslo (Norwegen) über den Friedensnobelpreis. Links im Bild steht Berit Reiss-Andersen vom Nobelpreis-Komitee.

© Berit Roald/NTB scanpix/AP/dpa

Friedensnobelpreis an ICAN: Kampf gegen die „Pilzwolke der Angst“

Wir sind, warnen die Anti-Atomkämpfer, nur einen Wutanfall von einer nuklearen Katastrophe entfernt. Dennoch zögern viele Staaten, Atomwaffen zu verbieten. Ican will das durchsetzen - und bekommt dafür den Friedensnobelpreis.

Heute sind sie eine diffuse, eine gefährlich leicht zu unterschätzende Bedrohung. Die Japanerin Setsuko Thurlow jedoch hat die todbringende Kraft der Atombombe selbst erlebt. Bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo nimmt die 85-Jährige ihre Zuhörer in einer hoch emotionalen Rede mit ins Hiroshima ihrer Kindheit 1945. „Der Gestank verbrannten Menschenfleisches erfüllte die Luft“, beschreibt die resolute Frau mit den dunklen Haare. Zusammen mit der Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican), Beatrice Fihn, nimmt sie am Sonntag den Friedensnobelpreis 2017 entgegen.

Die Anti-Atomwaffen-Kämpfer werden ausgezeichnet, weil sie sich bahnbrechend für ein weltweites vertragliches Verbot solcher Waffen einsetzen - auch gegen den Widerstand der Atommächte und vieler anderer Länder. Ican wirkte maßgeblich am UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen mit, der im Juli unterzeichnet wurde und von 122 Staaten unterstützt wird.

Fast alle Nato-Staaten tragen Vertrag nicht mit

Die vermutlich neun Atommächte und fast alle Nato-Staaten - auch Deutschland - tragen diesen Vertrag allerdings nicht mit. Solange es Staaten gebe, die Atomwaffen als militärisches Mittel ansähen und Europa davon bedroht sei, bestehe die Notwendigkeit einer nuklearen Abschreckung, hatte die deutsche Regierung erklärt. 

Die Botschafter der USA, Großbritanniens und Frankreichs fehlen bei der Zeremonie in Oslo. Thurlow sagt auch ihnen ganz deutlich: „Alle verantwortungsvollen Anführer werden diesen Vertrag unterzeichnen. Und die Geschichte wird diejenigen hart richten, die ihn ablehnen.“ Die Entwicklung von Atomwaffen sei kein Zeichen für den Aufstieg eines Landes, sondern für seinen Abstieg „in die dunkelsten Tiefen der Verdorbenheit“. 

Die Wahl ist umstritten

Auch dem Nobelpreiskomitee ist klar, dass es in diesem Jahr wieder eine umstrittene Wahl getroffen hat. „Der Vertrag hat mächtige Gegner, doch die Idee, Atomwaffen zu verbieten und abzuschaffen, ist weder neu noch naiv“, betont Jurorin Berit Reiss-Andersen jedoch. Das Komitee glaube, dass ein internationaler Bann der vielleicht entscheidende Schritt zu einer Welt ohne Atomwaffen sein werde.

Die Welt lebe derzeit nur einen impulsiven Wutanfall von der gegenseitigen Zerstörung entfernt, sagt Fihn. Sie fordert die Atommächte namentlich auf, das Verbot zu unterstützen. „USA, wählt Freiheit vor Angst“, sagt sie. „Russland, wähle Abrüstung vor Zerstörung. Großbritannien, wähle Gesetze vor Unterdrückung. Frankreich, wähle Menschenrechte vor Terror. China, wähle Vernunft vor Irrationalität. Indien, wähle Sinn vor Sinnlosigkeit. Pakistan, wähle Logik vor Armageddon. Israel, wähle gesunden Menschenverstand vor Vernichtung. Nordkorea, wähle Weisheit vor Ruin.“ 

Für den Einsatz gegen Atomwaffen wurden bereits 12 andere Friedensnobelpreise vergeben

Icans Haupt-Botschaft sei, dass eine Welt mit Atomwaffen niemals sicher sein könne, sagt die Nobelpreisjury. Das sei heute angesichts der Situation in Nordkorea aktueller denn je. Die Bedrohung sei sogar größer als zu Zeiten des Kalten Krieges, meint Fihn. „Ein Moment der Panik oder Nachlässigkeit, ein missverständlicher Kommentar oder ein verletztes Ego können leicht zur unaufhaltsamen Zerstörung ganzer Städte führen“, warnt sie. 

Für den Einsatz gegen Atomwaffen wurden bereits zwölf andere Friedensnobelpreise vergeben. Seit Hiroshima und Nagasaki sei klar, dass diese Waffen niemals wieder genutzt werden dürften, sagt die Jury. Doch eine Garantie dafür gebe es noch immer nicht. 

Die alte Japanerin Thurlow hilft im Osloer Rathaus mit fester Stimme zumindest, die Bedrohung als real zu sehen. „Ich möchte, dass Sie die Präsenz all derer hier spüren, die in Hiroshima und Nagasaki umgekommen sind“, sagt sie. „Ich möchte, dass sie über und um uns herum die große Wolke von einer Viertelmillion Seelen fühlen. Jede Person hatte einen Namen. Jede Person wurde von jemandem geliebt. Lassen Sie uns sicherstellen, dass sie nicht umsonst gestorben sind.“ Sie wolle nie wieder unter einer Pilzwolke der Angst leben. (dpa)

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