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Einsatzkräfte bei der der ModEX-Übung in Eisenerz. Teams aus sechs EU-Staaten und Beobachter-Delegationen aus insgesamt 13 Staaten, beteiligen sich an der Übung.

© dpa-picture alliance / APA / ANDREAS STANGL

EU-Katastrophenschutzübung: Wo die Griechen die Ersten sind

Bei einem großen Katastropheneinsatz in der Steiermark übt die EU den Ernstfall. Rettungstrupps aus mehreren Ländern sind dabei im Einsatz, die Griechen vorneweg.

Die griechische Feuerwehr ist zuerst am Unglücksort in der Steiermark in Österreich. Dort hat ein Erdbeben der Stärke 7,2 einen kleinen Ort erschüttert. Ein Drittel der Gebäude ist zerstört, mehrere Menschen verschüttet. Stunde um Stunde erreichen immer mehr Retter die Station nahe des Epizentrums der österreichischen Stadt Eisenerz. Die Rumänen liefern die technische Infrastruktur, die Franzosen fliegen Infrarot-Aufklärungsdrohnen, slowenische Höhlenretter und ein litauisches Bergungsteam warten auf ihren Einsatzbefehl.

Alles nur eine Übung. Die internationalen Teams sind in die Alpen gekommen, um den Ernstfall zu proben. Mit einem Katastrophenszenario in der fiktiven Stadt Modulistan will Europa seine Einsatzbereitschaft testen und sich auf den Ernstfall vorbereiten.

Das EU-Katastrophenschutzverfahren ist eines der konkretesten Zeichen europäischer Solidarität. Es kam bereits bei Waldbränden in Portugal zum Tragen, auch während der Flüchtlingsversorgungskrise. Europäische Rettungsteams helfen außerhalb des Kontinents, beispielsweise bei der Ebolafieber-Epidemie 2014 in Westafrika. Mehr als 250 Anfragen auf Unterstützung gab es seit der Gründung des Zivilschutz-Mechanismus 2001. In Brüssel überwacht ein Notfall-Koordinierungszentrum die weltweite Gefahrenlage rund um die Uhr. Am EU-Verfahren für den Katastrophenschutz beteiligen sich alle 28 Mitgliedstaaten der EU, außerdem Island, Montenegro und Norwegen, Serbien, Mazedonien und die Türkei.

Abläufe testen

Nun wollen die Retter die Abläufe bei einem Erdbeben testen. Ein Zelt am Gelände einer österreichischen Bundesheer-Kaserne dient als Informationszentrum für die eintreffenden Helfer aus fünf EU-Mitgliedstaaten. Dort sind auch beobachtende Journalisten stationiert, die wie der Autor auf Einladung des Europäischen Amts für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO) dort sind.

„Das ,Reception & Departure Centre’ wird vom ersten ankommenden Rettungsteam errichtet“, erklärt David Dickson, britischer Katastrophenschutzexperte für die EU. In diesem Fall also die Griechen. 95 Such- und Rettungsstaffeln, Feuerwehren, medizinische Notfallteams und Expertengruppen für Infrastruktur, Wasseraufbereitung und Strahlenschutz sind Teil eines ehrenamtlichen Pools an europäischen Rettungsmannschaften, stehen seit 2014 auf Abruf bereit.

Ein massives Erdbeben, wie es hier in Eisenerz simuliert wird, sei zwar nicht Europas größtes Problem, sagt Dickson. Doch Experten wissen: Ein solches Szenario könnte bald zur Realität werden. „Istanbul liegt genau auf seismischen Bruchlinien“, erklärt Dickson. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis ein Erdbeben Teile der Stadt mit seinen rund 15 Millionen Einwohnern verwüstet. Ein Großteil der Hilfe, sagt Dickson, werde dann wohl aus der EU kommen – von jenen Teams, die hier schon einmal für den Ernstfall üben. Drei Tage haben die Teams Zeit, um den Ernstfall nachzuspielen. Im Erdgeschoss in einem Umspannwerk gräbt sich das griechische Team zu den Verwundeten vor, bereits seit drei Stunden arbeitet es sich Meter für Meter voran. Später werden sie von den Litauern abgelöst. Sie rücken mit Schlagbohrern und Bergungsseilen an. Jede Mannschaft bringt ihre eigene Ausrüstung mit, muss sich am Ort selbst versorgen. Auf einer Wiese außerhalb von Eisenerz haben alle Rettungsteams ihre Camps aufgeschlagen. Von dort aus starten sie ihre Einsätze.

Wegen der vielen Notfälle schlug die EU-Kommission im November 2017 vor, noch enger zusammenzuarbeiten. Eine „rescEU“ genannte Katastrophenabwehr-Reserve soll schneller reagieren können. Ausgangspunkt waren unter anderem die Waldbrände in Portugal, die in den vergangenen Jahrzehnten wüteten.

„Die Tragödien des vergangenen Sommers und der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass unser derzeitiges auf Freiwilligkeit beruhendes Katastrophenbewältigungssystem an seine Grenzen stößt“, sagte Christos Stylianides, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement.

Kinder brüllen aus dem Fenster

Während die Helfer Verletzte bergen und Notunterkünfte aufbauen, sollen unabhängige Beobachter überprüfen: Sind die Einsätze erfolgreich, klappt die Informationsweitergabe auf Englisch? Das Ziel: verschiedene nationale Einsatzkräfte besser zu koordinieren und damit effizienter zu helfen.

Der Klimawandel vergrößert das Risiko von Naturkatastrophen. „Ein europäisches Problem sind Überschwemmungen, die meist viel Infrastruktur zerstören“, sagt David Dickson, der auch in den USA und für die Vereinten Nationen gearbeitet hat. Fluten werden extremer, das Wetter unberechenbarer. „Die Rettungsteams werden mehr zu tun bekommen.“ Die Zahl der Waldbrände steige jedes Jahr. Die Koordination der europäischen Feuerwehren wird daher kontinuierlich verbessert. Mehr als eine Million Hektar Wald brannte im vergangenen Jahr in der EU nieder.

Allein 2017 starben in Europa mehr als 200 Menschen bei Naturkatastrophen. Das EU-Katastrophenschutzverfahren kommt vor allem Nationen mit begrenzten nationalen Zivilschutz-Kapazitäten zugute.

In Eisenerz gibt es eine neue Katastrophenlage: Eine Schulklasse ist im ersten Stock des Gebäudes gefangen. Geröll begräbt manche der Kinder unter sich, durch das Fenster im ersten Stock brüllen sie nach Hilfe. Nach ein paar Stunden können sie die ersten Verletzten in Tragen durchs Fenster abseilen. Bei Rettungsaktionen sind die ersten 72 Stunden entscheidend. Je genauer Teams die Abläufe kennen, je besser internationale Absprachen funktionieren, desto effektiver läuft die Hilfe im Ernstfall.

Benjamin Breitegger

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