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Welcher Wein zu welchen vegetarischen Gerichten passt, hängt von der Zubereitungsart des Gemüses ab.

© imago/Westend61

Wein zum Gemüse: Veggie, Vino, Vici

Die wilde Welt von Gemüse und Kräutern verlangt nach neuen Weinen: Viele Sommeliers schmoren noch immer in ihrer üblichen Fleischsoße. Jetzt keimt endlich die Lust am Gewürztraminer zum Kürbis.

Passt zu Meeresfrüchten, harmoniert mit Wild, besonders gut in Verbindung mit rotem Fleisch und Schmorgerichten, begleitet Pizza, Pasta und Steak ... Wenn man den Speiseempfehlungen auf dem Rücken mancher Weinflaschen Glauben schenkt, leben wir in einer Welt, die kein Gemüse kennt. Fleisch gibt hier unangefochten den Ton an, bleibt der Fixstern für alle denkbaren Kombinationen zwischen Wein und Speisen. Das ist die große alte Schule, die sich höchstens noch dafür interessiert, unter welcher domestizierenden Sauce das Grün, Gelb oder Rot des Gartens verschwindet. Gemüse bringt doch nur Unruhe in das selbstzufriedene Universum aus Proteinen, Fett und begleitenden Kohlehydraten. Gemüse muss gebändigt werden, das Säurespiel der Tomaten gehört gekontert, die Bitterstoffe des Stängelkohls gebrochen.

Was aber sollen Menschen trinken, die entdeckt haben, dass Gemüse ihr Fleisch ist? Tatsächlich tun sich vegetarische Restaurants noch immer schwer damit, darauf befriedigende Antworten zu geben. Wein bleibt hier ein Stiefkind: geduldet, solange „bio“ draufsteht, aber nicht verstanden oder gar gefördert.

Doch jetzt gibt es die total regionale Küche, die noch nicht einmal Pfeffer benutzt. Wozu denn? In Brandenburger Knospen und Stielen stecken doch auch würzige Öle. Plötzlich ist das Geschmacksspektrum von Knollen, Stängeln und Blättern spannender als jede Entenbrust. Bei den Berliner Vorkochern der Bewegung, im „Einsunternull“, „Nobelhart & Schmutzig“ oder neuerdings im „Ernst“, dreht sich das Verhältnis um: Gut 70 Prozent der Gänge sind vegetarisch, und selbst ein großes Menü kommt mit zwei kleinen Erinnerungen an die Existenz von Fleisch und Fisch aus. Eine Umstellung, die auch den Weinkeller erfasst – und gewohnte Gefüge infrage stellt.

Zu viel Süße passt nicht zum Gemüse

„Wir hatten mal einen ersten Gang, der mit solcher Wucht das Thema Bitterkeit angestimmt hat, dass die Gäste wie vor den Kopf geschlagen waren“, räumt Ivo Ebert, Gastgeber im „Einsunternull“ lachend ein: Chicoree von der Spitze bis zur Wurzel, Teile davon sorgfältig verkohlt. „Unsere Bewertungen im Internet rauschten in den Keller.“ Das Gericht flog von der Karte, die Suche danach, das Herbe auf den Teller zu bringen, geht weiter. Aktuell hat Küchenchef Andreas Rieger zur Eröffnung seines Menüs eine Gurke in den Ofen geschoben, um ihre Aromen aufzuschließen. Auf dem Teller ist sie umgeben vom Wasser des fermentierten Spargels. Zarte Erdigkeit mit einem Hauch Rauch. Der Wein dazu: ein Grüner Veltliner vom Nikolaihof in der Wachau, einer Urzelle des biodynamischen Weinbaus in Österreich, vor der Abfüllung extra lange mit der eigenen Hefe im großen Fass gereift.

Hier öffnet sich ein Weinpfad ins Gemüseland: Auf flinke Fruchtigkeit getrimmte Flaschen fallen in der Begegnung mit ungeschöntem Grün als unangenehm laut und zugleich nichtssagend auf. Nachhaltige Weißweine, leichte Rote und alle Varianten mit Kohlensäure dagegen versprechen erfüllende Begegnungen. Die Weinbegleitung im „Einsunternull“ kommt auch einen ganzen Abend lang ohne Rote aus, durchläuft dann alle Schattierungen von Gelbtönen und touchiert Rosa.

Das trifft nicht bei jedem Gast die Vorstellung von Spitzenküche. Aber was hätte ein schwerer Rotwein mit konzentrierter Frucht, herben Tanninen und kräftigen Röststoffen aus dem Fass gegenüber der schmelzenden Kombination von Lauch und Klee zu sagen? Dann muss Sommelier Steve Hartzsch vermittelnd eingreifen und erklären, warum Steakweine, Lammbratenweine, Zigarrenweine getrost im Keller bleiben können. Nicht in seinem wohlgemerkt. Dort machen sich die eingeweckten Gemüse der Küche breit, der fermentierte Vorrat ist auf 4,6 Tonnen angewachsen. Gläser, gefüllt mit langsam gewachsenem Spargel, ruhen kühl und einträchtig unter dem naturbelassenen Silvaner von Stefan Vetter aus Franken.

Was sind vegane Weine?

Leichte Rotweine harmonieren gut mit Tomaten oder gegrillter Paprika.
Leichte Rotweine harmonieren gut mit Tomaten oder gegrillter Paprika.

© imago/imagebroker

Christoph Geyler kümmert sich im Weddinger Zwölf-Plätze-Restaurant „Ernst“ um die Weine zu puristischen Gerichten, die beinahe zu 90 Prozent aus Gemüse bestehen. So ernsthaft wie das Bemühen um Produkte mit unverfälschtem Geschmack sind auch seine Kombinationen: Zu Wildkräutern mit Apfelessig schenkt er die „Purus“ Mosel-Rieslinge von Rudolf Trossen aus, zum gebackenen Sellerie den „Silvaner Pur“ vom Weingut Odinstal aus der Pfalz, beides biodynamisch arbeitende Winzer.

Für leichte Rotweine sieht Geyler Potenzial ausgerechnet bei der kapriziösen Tomate (Pinot Noir, auch als Rosé) oder bei gegrillter Paprika, wo ein gekühlter Cabernet Franc von der Loire ins Spiel kommt. „Die Hotelfachschule, die ich vor 15 Jahren im Schwarzwald absolviert habe, hätte ich so nicht bestanden“, kommentiert er. Damals ahnte man nicht, dass ein gereifter Weißwein aus der Chenin-Blanc-Traube mit der Schärfe von Senföl, das zum Beispiel in Kohlsorten steckt, wunderbar zurechtkommt. Oder wollte es vor lauter Entenstopfleber auch gar nicht wissen.

Landet man nun im Weinladen, ist guter Rat in Sachen Gemüse nicht selbstverständlich. Der Charlottenburger „Viniculture“ ist ein aussichtsreicher Anlaufpunkt, weil das Sortiment viele Weine umfasst, die möglichst ungeschönt auf die Flasche kommen. Einige davon geben Traumpartner für Gemüse ab. Danach fragt man am besten Alexandra Rehberger, als Köchin und Sommelière kennt sie sich aus mit dem Wechselspiel von Speis und Trank. „Bitterkeit muss immer berücksichtigt werden, damit in Kombination mit viel Säure oder noch mehr Bitterkeit kein metallischer Geschmack im Mund entsteht“, sagt sie und empfiehlt für Freunde bitterer Stängel einen Sherry oder einen Vin Jaune aus dem Jura. Zu roten Beten würde sie einen leichten Pinot Noir mit erdigen Aromen öffnen. Und natürlich spielt für die Österreicherin auch Grüner Veltliner eine Rolle: gereift, zu Spitzkohl.

Kohlensäure darf immer dabei sein

Viel will ausprobiert werden im Zusammenspiel von Wein und Gemüse. Das erste Buch zum Thema haben der Sommelier Sebastian Bordthäuser und die Köchin, Autorin und Fotografin Manuela Rüther im April herausgebracht und damit einen Nerv getroffen. Die erste Auflage von „Wein & Gemüse“ ist ausverkauft, die zweite erscheint am 24. November, rechtzeitig vor Weihnachten. „Man findet keine Freunde mit Salat. Man braucht auch Wein“, steht dem Buch mit 60 ebenso schönen wie machbaren Rezepten voran. „Warum sollen Vegetarier nichts zu trinken bekommen?“, meint Bordthäuser, der sich für die Vielfalt von Gemüse begeistert. Allein die Erbse – als Sprosse, als Schote, frisch gepult oder getrocknet. Vier Geschmackswelten!

Der Sommelier ermuntert dazu, ruhig zu testen, was gar nicht geht, etwa Artischocke mit Bordeaux. In Gemüsen steckt Zucker, deshalb rät Bordthäuser, nicht gleich einen restsüßen Wein dazuzustellen, um den Cola-Effekt zu vermeiden (irgendwie lecker, aber ohne Kontur und Lebendigkeit).

Kohlensäure darf immer dabei sein, zur Pizzette mit Tomate, Pecorino und Rauke wird ein knackig-trockener Lambrusco geöffnet. Und zum gebackenen Kürbis schwärmt er von trockenem Gewürztraminer, gerne auf den Schalen vergoren.

Kommen wir noch einmal zurück zu dem, was das Etikett über den Wein verrät. Immer häufiger ist dort der Zusatz „vegan“ zu lesen. Könnte das auch als eine Art Speiseempfehlung gelesen werden? Nein, eine besondere sensorische Nähe zu Gemüse haben derart ausgezeichnete Flaschen nicht. Bei der Herstellung des Weins wird lediglich auf den Einsatz tierischer Produkte verzichtet. Traditionell können Gelatine, Hühner- oder Fischeiweiß zur Klärung benutzt werden, sind im abgefüllten Wein aber nicht mehr enthalten und hinterlassen keinerlei Geschmack. Veganern reicht das, um diese Tropfen abzulehnen. Bei als „vegan“ gekennzeichneten Weinen werden pflanzliche Bindemittel zur Klärung benutzt.

Es geht aber auch ganz ohne. Denn bei einer sorgfältigen, langsamen Arbeit im Keller sind schönende Eingriffe eigentlich kaum nötig. Derart ausgeruhte Weine harmonieren dann tatsächlich gut mit der wilden Welt von Gemüsen und Kräutern.

Restaurants und Läden

Einsunternull, Hannoversche Str. 1, Mitte, Tel. 275 778 10, restaurant-einsunternull.de

Nobelhart & Schmutzig, Friedrichstraße 218, Kreuzberg, Tel. 259 406 10, nobelhartundschmutzig.com

Ernst, Gerichtstraße 54, Wedding, ernstberlin.de

Horváth, Paul-Lincke-Ufer 44a, Kreuzberg, Tel. 612 899 92, restaurant-horvath.de

Viniculture, Grolmanstraße 44–45, Charlottenburg, Tel. 883 81 74, viniculture.de

Jaja, Weichselstraße 7, Neukölln, Tel. 526 669 11, jajaberlin.com

Goldhahn & Sampson, Wilmersdorfer Straße 102/103, Charlottenburg, goldhahnundsampson.de

Wein & Gemüse. Ein Buch von Manuela Rüther und Sebastian Bordthäuser. Edition Fackelträger. 240 Seiten, 30 Euro

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