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Pastis. Christophe Malinge, 49, in seiner französischen Zelle in Wilmersdorf.

© Mike Wolff

Patisserien in Berlin: Unsere Besten

Canelés, Schoko-Torpedo, Mascarpone-Bällchen mit Basilikum-Gelee - in Berlin kann man viel Gutes finden. Drei Lieblingspatissiers in unserer Serie: Folge 19

Würden die Franzosen sich nicht andauernd in Berlin verlieben und in die Einwohner dieser Stadt, wir alle äßen schlechter. Wir Berliner bestellen ja nicht einfach so den Glucose-Sirup und die Zutaten für die Crème Pâtissière aus Frankreich, oder? Wir würden nicht darauf bestehen, dass die Schokolade in sechs verschiedenen Konzentrationen von Valrhona kommt, dass Aprikosen jederzeit in einer tartefähigen Reife vorhanden sind und die Himbeeren mit Gardemaß einzeln strammstehen.
Aber Franzosen tun so etwas. Dafür müssen sie sich nicht einmal verrenken. Sie kaufen die Pistazien einfach, obwohl die in diesem Jahr 40 statt 36 Euro im Kilo kosten.
Christophe Malinge, Patissier aus Tarbes, Süd-West-Frankreich, steht in Wilmersdorf vor der Kulisse eines alten Bäckerei-Ofens mit Ausblick in einen grünen Hof. Die Haare zum Zopf gebunden, legt er die Hände immer wieder um eine Edelstahlschüssel und fühlt die Temperatur: Eine blassgrüne Nougatmasse versucht schon seit 50 Minuten runterzukommen. Von 120 Grad auf Raumtemperatur. Seit 50 Minuten dreht sich darin ein stählerner Besen. Seit 30 Jahren organisiert Malinge Zucker, Ei, Schokolade, Früchte und Nüsse immer wieder auf andere Weise umeinander herum. Er kann das nun halb im Schlaf.
Als der Mann vor 20 Jahren der Liebe wegen nach Berlin kam, irrlichterte er eine Weile durch die Küchen Berlins, er versuchte, die kadettenhaften Hotelküchen zu meiden und wurde vor fünf Jahren der Patissier und damit überhaupt der erste Angestellte des Restaurants „Pastis“ am Rüdesheimer Platz. Es handelt sich da um eine kleine französische Zelle, in der nur Franzosen arbeiten, weshalb es passieren kann, dass ein Kellner, der seine Eltern auf La Réunion besucht hat, mit einem Kilo Vanilleschoten wieder zum Dienst erscheint.
Damit man das alles probieren kann, haben sie sich den „Café Gourmand“ ausgedacht, das ist Tee oder Kaffee mit einer Auswahl von Malinges Köstlichkeiten. Da passt ein kompletter Frankreichurlaub auf einen Teller. Zitronentartelettes, tiefdunkle Schokoladentörtchen, geeiste Nougat-Pistazien-Amarena, Macarons, Choux und sogar Canelés, das gerippte Rumgebäck aus Bordeaux. Eine duftig-leichte Aprikosentarte kommt aus seiner Werkstatt, deren Beliebtheit nur noch von der Birne-Mandelcreme-Tarte übertroffen wird. Man kann nicht behaupten, diese Geschmäcker seien noch nie dagewesen. Ganz im Gegenteil: Es sind diejenigen, nach denen ein Leben lang sucht, wer einmal in Frankreich zu Hause war.

Sogar die Eichhörnchen im Hof sind schon verdorben. Sie wissen: Gelegentlich fliegen in hohem Bogen Haselnüsse aus der Hintertür dieses Patissiers. Und zwar geschält! Deike Diening Eine Auswahl zum Mitnehmen gibt es bei „La Cantine d’Augusta“, Langenscheidtstr. 6A, Di–Sa 10 bis 24 Uhr, So 10.30 bis 17 Uhr. Der „Café Gourmand“ sowie das ganze Sortiment auf Vorbestellung im Restaurant Pastis, Rüdesheimer Str. 9.

Experimentell

Zil Avnon, 46, heizt den Limettentartelettes ein.
Zil Avnon, 46, heizt den Limettentartelettes ein.

© Kai-Uwe Heinrich

Jetzt streicht er mit dem Kaffeelöffel etwas Konfitüre auf die Tartelettes, zack-zack, eine nach der anderen bekommt eine Schicht Orange-Mandarine, unten der gebackene Mürbeteig gefüllt mit Limonencreme, einer Mischung aus Zucker, Ei, Limone, Frischkäse und Sahne. Fehlt noch der Baiser obendrauf, in einer großen Edelstahlschüssel rührt ein Schneebesen bereits kräftig Eiweiß und Zucker zu Schaum, unter diese Masse zieht man dann noch Puderzucker, Baiser braucht eine Mischung von 1:1:1, „so steht er besser“. Es spricht und werkelt Gil Avnon, 46, Konditormeister, Lehre im Café Genenz am Adenauerplatz, danach unterwegs in großen Hotels, ein paar Jahre davon im Ausland (Wien, Zürich, London, Singapur), auch mal auf Tour mit dem Tross der Formel 1, Höhepunkt das Rennen in Hockenheim, 10 000 Essen in drei Tagen, und Avnon, schwarze Schürze, dunkles Hemd und ebensolche Augenringe, sagt: „Seitdem schockt mich keine Zahl mehr.“ Arbeiten sei eine Frage von Planung und Zeitmanagement, man müsse sie nur körperlich durchstehen. Er redet mit einer Stimme, die ihn zum Gregor-Gysi-Double befähigt. Nun flitzt er zum Backofen, der gepiepst hat, die Plunder sind fertig, Schokolade erwärmt sich im Wasserbad, die Rührmaschine läuft, er bräuchte so viele Arme wie die Göttin Shiva, er gleicht das mit Tempo aus, füllt den Schnee in einen Dressierbeutel, spritzt daraus gleichmäßige Flocken auf die Limonentartelettes, dann greift er zu einem feuerwehrroten Flammenwerfer, bräunt den Baiser, es ist sieben Uhr morgens, ein Teilchen von etwa 25, die im Zuka täglich angeboten werden, kann in die Vitrine wandern. Vor vier Wochen hat dieses Café geöffnet, an der Ecke zum Ludwigkirchplatz, eine Art rundum verglaster Pavillon, früher war ein Drogeriemarkt hier drin, entlang der Fensterfront stehen Tische und Stühle für alle, die ihre süßen Schnittchen und Stückchen vor Ort verzehren wollen. Die Auswahl fällt nicht leicht, zinnsoldatenakkurat ist die feine Patisserie an einer langen Theke aufgereiht, Mascarpone-Grüntee-Charlotte, Birnentarte, Kokos-Kirsch, Mohn-Apfel, Cassistörtchen, Himbeercup, Schoko-Torpedo ... Kleiner Selbstversuch. Die Brioche sind leicht, luftig und schreien nach Marmelade, die Apfeltasche hat einen wunderbar blättrigen Teig, gefüllt mit frischem Obst, das Mohnplunder schmeckt buttrig und der Mohn erfreulicherweise nicht bitter, die Schnitten haben allesamt einen eindeutigen, intensiven Touch, die Kombinationen der Aromen sind so verblüffend wie nachvollziehbar, nichts ist kapriziös, klebrig oder zu süß.

Gil Avnon in seinem großräumigen Reich aus Edelstahl und Maschinenpark redet von süß-sauren Kontrasten, von texturellen Brüchen, die ihn reizen, wenn etwa Cremiges auf einen krachknusprigen Boden trifft, der aus Grumble mit Sesam und Mandel gebacken ist. Er sucht gerade etwas im begehbaren Kühlhaus, minus 20 Grad, hier frieren Teig, Böden und Eingemachtes vor sich hin, der Konditor sagt: „Wenn ich müde bin wie im Koma, habe ich die besten Ideen.“ So wie er ausschaut, ist da noch einiges zu erwarten, denn er schiebt in den Anfangswochen extrem lange Schichten. Norbert Thomma Zuka Berlin-Wilmersdorf, Emser Straße 25, Telefon 88920203, geöffnet Mo–Sa von 9 bis 20 Uhr, So ab 10 Uhr.

Verwegen

Jubel. Lucie Babinska, 33 (links), und Kai Michels, 34, in ihrem Café.
Jubel. Lucie Babinska, 33 (links), und Kai Michels, 34, in ihrem Café.

© Kai-Uwe Heinrich

Das soll ein Brownie sein?! Hat mit dem, was man in Berlin sonst so unter dem Namen kriegt, wenig zu tun. Ein kleines, festes Kunstwerk ist das, kein klitschiges Industrieprodukt, mit knackigen Nüssen und bester Schokolade. „Feine Patisserie“ steht am Ladenschild, und damit übertreiben Kai Michels und Lucie Babinska nicht. Im vergangenen Sommer eröffneten die beiden ihr Ladencafé in Prenzlauer Berg, kennengelernt haben sie sich in der Weinbar Rutz. Dort war Babinska stellvertretende Restaurantleiterin, Michels Patissière. Gelernt hat die 34-Jährige allerdings Köchin, worüber sie froh ist: Dadurch sei ihr Spektrum größer. Schokolade mit Oliven zu würzen, Erdbeeren mit Estragon ist für sie ganz normal. Der Windbeutel hat sich schon zum Klassiker entwickelt, im Moment ist er gefüllt mit Orangenstückchen, eingelegt mit Anis. Aber die Freundinnen sehnen sich nach frischem einheimischen Obst, nach Erdbeeren, Pfirsichen, Aprikosen. Immerhin, die ersten Rhabarbertörtchen gibt es schon: mit knackigen Früchten, zarter Quarkmousse und knusprigen Streuselchen. Wie die meisten Stücke bekommt man sie sympathischerweise in groß und in klein, wobei groß, gemessen an amerikanischen Portionen, noch immer ziemlich klein ist. Dafür ist jeder Bissen eine Delikatesse, die es in sich hat. Michels liebt Butter, Eier, Sahne und Frischkäse. Dennoch kommen die Teile nicht zu schwer und schon gar nicht zu süß daher, der Cheesecake ist cremig-zitronig, die Limette-Mascarpone-Kugel enthält eine grüne Überraschung: Basilikumgelee. Wer mag, kann sich auch Hochzeitstorten bestellen, mit Kitsch-frei-Garantie, was Geschmack und Deko angeht. Oder ein ganzes Dessertbuffet.

In der Hufelandstraße kann einem nicht mal das miese Osterwetter was anhaben. Viel Weiß, lustige Glühbirnen, eine mosaikartig hellblau gekachelte Wand, die an einen Swimmingpool denken lässt, und leuchtend gelbe Zitronentörtchen: Wer den Laden betritt, hat das Gefühl, die Sonne geht auf. „Heute schon gejubelt?“ steht auf der Tafel an der Wand. Susanne Kippenberger Jubel, Hufelandstr. 10, Prenzlauer Berg, Di–Fr 11–19 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr, mehr Infos unter jubel-berlin.de.

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