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Schwelgen: Vincent Moissonnier (links) und Joachim Król (rechts) lernen viel über Wein.

© Giuseppe Chiucchìu, c/o artbookers.com, Köln

Interview mit Joachim Król und Vincent Moissonnier: Zum Fressen gern

Der Schauspieler Joachim Król und der Gastronom Vincent Moissonnier sind dicke Freunde und lieben gute Küche und gute Weine. Für „Arte“ haben sie Frankreich erkundet – hier ist ihr Bericht.

Montagmorgen im „Le Moisonnier“ in Köln. Das Restaurant im Stil einer Brasserie ist mit zwei Michelin-Sternen dekoriert. Hausherr Vincent Moissonnier, 55, ist Franzose, sein Freund, der Schauspieler Joachim Król, 58, ein Kind des Ruhrgebiets. Die beiden sitzen auf einer roten Bank, über der die Namensschilder geschätzter Gäste hängen: Roger Willemsen, Charles Aznavour … Das Gespräch verläuft heiter. Ohne einander groß ins Wort zu fallen, ergänzt der eine den anderen, Król eher bedächtig, Moissonnier mit scharfem Witz – ein verbales Reißverschlussverfahren. Man hört, wo sie herkommen.

Joachim Król: Meine Frau Heidi und ich sind seit langer Zeit hier Stammgäste. Egal welches Budget wir hatten, wir haben uns immer erkundigt: Wo sind die interessanten Restaurants? In den späten 70ern und frühen 80er Jahren fand in Deutschland ja eine Art Erweckung statt, was gehobene Gastronomie angeht. Anfang der 80er hat Veit Relin, Burgschauspieler und Ehemann von Maria Schell, unsere ganze Schauspielklasse für sein kleines Theater in Sommerhausen am Main engagiert. Wir waren da sechs Wochen lang, hervorragende Gage, fünf Jungs, relativ weinfremde Leute in diesem Weinort mit entsprechender Gastronomie. Wir soffen uns rund. An einem Abend hat uns das ganze Restaurant angestarrt. Weil wir uns danebenbenehmen? Nein, meinten die, ihr trinkt den Wein wie Bier! Ihr müsst mal langsam machen! Wir haben nämlich (haut auf den Tisch): Tock, neue Runde (trinkt ein imaginäres Glas aus) – Wusch! Dementsprechend sah ich danach aus.

Vincent Moissonnier: Wo es Wein gibt, gibt es Kultur.

Król: Als wir in den 80er Jahren in Köln landeten, sind wir ganz schnell Stammgäste bei Moissonnier geworden. Seit wann seid ihr hier?

Moissonnier: Wir haben vor knapp 30 Jahren aufgemacht, 1987. Da warst du noch pubertär.

Król: Danke, mein Freund. Warum wir gern hierherkommen: Es war immer die Ansprache, die Atmosphäre, das hervorragende Essen. Dann die Weinprobe, viermal im Jahr, eine Einladung an ausgewählte Gäste, ein Publikum von 100 Leuten. Im ältesten Weinkeller von Köln, das war früher ein Malzdepot, in der Straße stand die erste Brauerei der Stadt. Da macht Vincent eine schöne Conférence, er erklärt die Weine, wo die herkommen …

Moissonnier: … das Leben der Winzer, wer diese Leute sind.

Król: Und einmal unterbricht er seine Conférence einfach und sagt: Den nächsten Wein erklärt Ihnen Joachim Król.

Moissonnier: Spontan, damit es nicht heißt: „Nein, nein, dann komm ich nicht.“ Die Leute sahen Joachim so scharf an, dass er nicht anders konnte. Also stieg er auf die Euro-Paletten, eine billige Bühne, mit meinen vorbereiteten Skizzen: Es ging um Volumen, woher der Wein kommt, wo man sich geografisch in Frankreich befindet. Ich bin weg, mach, wie du willst! Da standest du, vor diesen hundert Paar Augen …

Król: … da hab ich das improvisiert, zwei, drei Pointen sind mir eingefallen.

Warum lachten sich die Gäste kaputt?

Lese von Pinot Noir.
Lese von Pinot Noir.

© picture alliance / dpa

Moissonnier: Die Leute haben sich kaputtgelacht, weil er eins zu eins mein Deutsch, französisch geschrieben, wiedergegeben hat. (Jetzt lachen beide.)

Król: Und dann hab ich entdeckt, dass in seinem Skript (er fällt in französisch gefärbtes Moissonnier-Deutsch) die kleinen Fehler, die er macht, auch schon geschrieben waren. Woraufhin ich behauptete: Er ist gar kein Franzose! Das ist alles nur eine Masche. Er kommt in Wirklichkeit aus Frechen.

Moissonnier: Um dieses Volk zu beruhigen, brauchte ich noch mal zehn Minuten. Seitdem bin ich „der Freschener“.

Król: Wann immer ich kann, habe ich jetzt meinen kleinen Auftritt.

Moissonnier: Die Leute sind schon verwöhnt: Ja, wo ist denn der Król? Und ich sage: Der Herr Król arbeitet. Denn von mir kriegt er kein Honorar. Nur einen Kuss von meiner Frau.

Król: So ist auch der Produzent und Regisseur von unserer Arte-Weinreise, André Schäfer, auf die Idee gekommen. Der hat das miterlebt und gesagt: „Ihr harmoniert, deutsch-französisch – ich hab ’ne Idee.“

Moissonnier: Für die Reise habe ich versucht, Winzer herauszusuchen, deren Wein ebenso interessant ist wie sie selbst. Und die aus weniger bekannten Gegenden Frankreichs kommen, nicht immer aus Bordeaux, dem Burgund. So mach ich das auch bei uns im Restaurant. Du kriegst ja überall die gleichen Weine. Das ist langweilig, abgesehen vom Preis ändert sich nichts. Das hat mir einige Kritiken von Fressführern eingehandelt, die gesagt haben, wo ist der Bordeaux, der Burgunder? Die sollen anderswo trinken, aber nicht bei mir. Wir wollen charaktervolle Weine, eine Reise ins Unbekannte. Im Film stellen wir zehn außergewöhnliche Leute vor. Völlig unterschiedlich vom Temperament, aber alle vernarrt in ihre Arbeit.

Król: Das Überthema ist: Wie soll man produzieren? Wir hatten verteilte Rollen. Vincent war der Versierte und ich der Konsument. So gut ist mein Französisch nicht, aber bei mir ging es, wie oft, über die Emotionalität. Es war einfach bewegend zu hören, wie – wie hieß der unten an der spanischen Grenze?

Moissonnier: Marc Parcé?

Król: … wie er von einem Weinberg oder einer Parzelle spricht: „Schau dir das an: Mein Urgroßvater hat jeden Stein hier in der Hand gehabt.“

Moissonnier: Und er erzählt dir, dass er in Rente ist und diese kleine Parzelle nach einem Unwetter gerade wiederherstellt, weil er das Ganze seinem Sohn überlässt. Das Jüngste von seinen elf Kindern bekommt diese alte Parzelle. Er will ihm die im besten Zustand hinterlassen. Da merkte man manchmal schon, dass du emotional bewegt warst. Dich emotional zu bewegen, ist ganz einfach (da lacht Król), aber da war’s extrem. Du fühltest richtig mit diesem alten Herrn.

Król: Nicht nur dort. Als wir bei Eric Morgat in Savennnières waren … das ist ein Filmstoff! Wie ein Winzer sich von seinem reichen Vater emanzipiert, sagt: „Ich mach nicht dein Business, das ist mir zu industriell, das ist es nicht.“

Moissonnier: Der hat die Seite von der Loire gewechselt …

Król: … und ein Stück Land getauscht. Er hatte sich erinnert an einen Flecken, auf dem er als Kind gespielt hat. Und alle haben …

Moissonnier: … ihn ausgelacht …

Król: ... und gesagt, du spinnst! Der hat Jahre seines Lebens investiert in eine bewaldete Uferlandschaft der Loire, hat mehr als vier Jahre lang gerodet.

Wer wird sein Weingut, sein Lebenswerk, übernehmen?

Joachim Król auf dem grünen Teppich (ganz rechts).
Joachim Król auf dem grünen Teppich (ganz rechts).

© dpa

Moissonnier: Jeder einzelne Weinstock ist neu gepflanzt – es hat ihn zehn Jahre gekostet, um das zu schaffen, was er kurz in fünf Minuten erzählt hat.

Król: Das war so schön! Dann steht man da und hält die Flasche in der Hand, und am Abend erfährt man, dass dieser Mann, bei dem man denkt, der hat Land, der hat einen Weinberg, der hat ein schönes Haus – dass der jeden Tag zum Himmel guckt: „Wenn ein Unwetter kommt, bin ich wirtschaftlich ruiniert.“ Die leben immer auf der Kante. Die meisten von denen haben nicht viel Land und wenig Erträge, so, wie sie arbeiten. Es kann sein, dass hier alles hinüber ist, und beim Nachbarn …

Moissonnier: … ist alles normal.

Król: Damit zu leben …

Moissonnier: … und mit so einer Begeisterung noch dazu! Die lassen den Kopf nicht hängen.

Król: Das ist genau das, was mich interessiert in der Begegnung mit diesen Leuten.

Moissonnier: Die größte Sorge von Marc Tempé im Moment: Er ist 60. Wer wird mein Weingut übernehmen? Seine Kinder wollen damit nichts zu tun haben. Die sehen doch, was die Eltern schuften. Das bereitet ihm unglaubliche Kopfschmerzen, das ist sein Leben, und der will das nicht à la: Pfff, mir doch egal. Es ist dramatisch zu sehen, was wir für ein schönes Land haben, die unterschiedlichen Kulturen, das Mikroklima, doch was daraus gemacht worden ist, politisch, wirtschaftlich, das grenzt an eine Katastrophe. Dabei haben wir so viele gute Leute in Frankreich.

Król: Die Bürokratie …

Moissonnier: … und die politischen Entscheidungen, die Gewerkschaften, die 35-Stunden-Woche, das macht den Winzern unglaublich zu schaffen. Sie haben ja keine Chance, wie die Pharmaindustrie im Ausland produzieren zu lassen und in Frankreich zu verkaufen. Die müssen hierbleiben und leiden. Das ist eine Katastrophe, ein täglicher Kampf. Monat für Monat geben Weinbauern ihren Betrieb auf. Weil sich das alles keiner mehr antun will. Oder die EU-Gesetze. Für alle, ob Süden, Osten oder Westen, die gleichen Regeln aufstellen zu wollen, das ist völliger Quatsch, das geht gar nicht.

Król: Absurd.

Moissonnier: Ich finde es schade, dass mein Land nicht bereit ist, diesen Leuten mehr Freiheit zu geben. Stattdessen gibt es EU-Gesetze, die die Winzer verpflichten, gegen bestimmten Läusebefall oder Schimmelbefall mit Chemikalien zu arbeiten. Es gibt Leute, die sich nicht daran halten und bereit sind, sich dafür einknasten zu lassen. Wie ein biodynamischer Winzer im Burgund. Er ging bis zur letzten Instanz, riskierte eine Geldstrafe und bekam sie auch.

Król: Das sind Menschen, die leben für das, was sie tun. Sie wollen so weit wie möglich verstehen, sie forschen und werden immer besser.

Moissonnier: Reich sind sie natürlich nicht, ein solcher Winzer hat andere Werte. Deswegen machen mich Kritiker so unglaublich wütend, die Wein runtermachen, nur weil er nicht ihr Geschmack ist. Die harte Arbeit von einem ganzen Jahr wird innerhalb von Sekunden vernichtet. Diese Kritiker gehören in die tiefste Grube von Afrika einbetoniert. Hab ich was vergessen, Joachim?

(Król lacht) Oh lá lá!

Moissonnier: Bei Wein braucht man Respekt und Bescheidenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du diese Woche mit mir ertragen hättest, wenn ich permanent geschwollen geredet hätte. Wenn ich dir jetzt ’ne schwarze Fliege anziehe und dich bitte: Joachim, du machst hier den Oberkellner, eine Woche lang.

Macht Król den Oberkellner?

Nicht satt? Currywurst half und hilft ...
Nicht satt? Currywurst half und hilft ...

© rdnzl - Fotolia

Król: Einen Abend würde ich gerne mal probieren!

Moissonnier: Du bist nicht mal in der Lage, zwei Teller zu halten, das hab ich auf einem Foto aus einem Film gesehen. Du hältst sie ganz falsch, das geht so nicht! Weißt du noch, nach der Arbeit, der ganzen Weinreiserei …

Król: … haben Liliane und Vincent uns ihr Lieblingsrestaurant vorgestellt, in der Bretagne. Spektakulär! Eine Lektion der Sonderklasse. Das ist zu einem kleinen Sehnsuchtsort geworden.

Moissonnier: Wir fahren jedes Jahr hin. Es ist so urspünglich geblieben, ohne Schickeria – und mit einer Qualität! Welches Restaurant das ist, sagen wir nicht, sonst sind gleich alle da.

Król: Die Geschichte, die du mir dazu erzählt hast: Ein Mann, der irgendwann, wahrscheinlich mit seinem Pappkoffer, angekommen ist, um Kellner zu werden, und jetzt gehört ihm die halbe Halbinsel mit seinem Restaurant. Ich rief wieder: Filmstoff! Filmstoff! Und wenn man ihn Abend für Abend sieht …

Moissonnier: … er arbeitet als 75-Jähriger noch jeden Abend. Und der wird auch da sterben.

Król: Das ist so wie auf der Bühne sterben. Da berühren unsere Berufe sich.

Moissonnier: Gelernt habe ich in Berlin, im Maître in der Meinekestraße. An der Hotelfachschule in Straßburg war ich gescheitert, da bin ich rausgeflogen. Ich war überall zu finden, nur nicht da, wo ich sein sollte. Während des Unterrichts in Wirtschaftskunde habe ich eine Geschichte erfahren über Detlef Schrempf, damals Vorstandsvorsitzender von Daimler. Bei uns in Frankreich musst du auf die und die Hochschule in Paris gehen, sonst bist du gar nichts. Und Schrempf hat als Lehrling begonnen, hat alle Posten durchgemacht und irgendwann war er Chef. Ich war fasziniert. Wenn es in diesem Land möglich ist, von nichts nach oben zu kommen, muss ich auch dahin. Über eine Agentur bin ich ins Restaurant Maître vermittelt worden und hatte das große Glück, meinen Mentor zu finden. Henry Levy hat mir richtig einen Tritt in den Hintern gegeben, mir meinen Beruf beigebracht und mich lieb gewonnen. Als er das Lokal aufgab, hat er mich in Köln untergebracht, mit 24 Jahren wurde ich Oberkellner. Da habe ich viele Fehler gemacht, durch die hab ich viel gelernt. Mit 27 haben wir dann hier eröffnet.

Król: Mit 27?! Tsch.

Moissonnier: Bei Levy hab ich Disziplin gelernt. Unglaubliche Disziplin. Er hatte zwei Michelin-Sterne. Nach Witzigmanns „L’Aubergine“ war das das Restaurant in Deutschland. Er hat mir die Ethik in diesem Beruf beigebracht, er hat mir die Ästhetik beigebracht. Im Sommerurlaub hat er Liliane und mich ins tollste Restaurant von Cannes eingeladen. Ich kam mit meinem vergammelten Auto da an, parkte immer auf dem Personalparkplatz. Im tollsten Hotel hat er uns eingeladen und alles bezahlt. Abends kam eine Limousine und hat uns ins Drei-Sterne-Restaurant gebracht, da waren Filmstars, Politiker! Er sagte: „Vincent, du musst arbeiten, gut sein, bescheiden bleiben.“ Ein großer Mensch. Ein großer Ästhet. Ich verdanke ihm sehr viel.

Król: Ja!

Moissonnier: Meine ersten Gäste im Maître haben das große Menü gegessen, acht Gänge für 130 D-Mark, um drei Uhr morgens gingen die raus. Ich hatte Feierabend, zog mich um, ging nach Hause – und traf dieselben Leute unweit vom Restaurant an der Currywurstbude.

Król: Hahahaha!

Moissonnier: Die waren nicht satt geworden! Also gab es Currywurst, im Pelzmantel, mit Wodka. Dass die Franzosen mehr Zeit und Geld für Essen ausgeben, ist übrigens totaler Quatsch. Sie sind außerdem knisprig, geben kein Trinkgeld, schnorren alles, Leitungswasser, ein Espresso zu zweit. Es ist so!

Król: Vincent, ich würde unsere Reise sofort noch mal machen.

Moissonnier: Ja, nur beim Fußball trennen sich die Wege. Da gilt unsere Liebe nicht mehr der gleichen Sache.

Król: Hier bei dir sitzen die Kölner immer, die vom FC Köln. Hast du schon mal Dortmunder hier gehabt, von Borussia?

Moissonnier: Neinneinnein. Die trinken nur Bier.

Król: Das ist gar nicht wahr. Es gibt im Westfalenstadion auch Wein. Okay, nur im VIP-Bereich.

Moissonnier: Ich kann auch diese gelbe Farbe nicht ertragen.

Król: Komm! Das nächste Spiel gegen Köln, da gehen wir zusammen hin. Aber du musst ja immer arbeiten! Ich krieg dich hier einfach nicht raus!

Die fünf Folgen der Dokumentation „10 Winzer – Joachim Król und der Moissonnier“ werden vom 17. bis 20. Mai jeweils um 19:30 Uhr bei Arte ausgestrahlt, Freitag schon ab 18:25 Uhr.

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