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© Ullstein

Essen und Trinken: Wie England kochen lernte

Vom Leben einer wilden Frau: Elizabeth David schätzte Omelette, Wein, Männer –  und ganz besonders das Zitronensoufflé. Mit ihren Büchern ist sie bis heute Vorbild. Auch für Jamie Oliver.

Es war, als hätte jemand das Licht ausgedreht.

England nach dem Krieg kann man sich gar nicht grau genug vorstellen. Grau und klamm und freudlos. „Keine Cafés“, klagte Doris Lessing, die 1949 von Südafrika nach London gezogen war. „Keine guten Restaurants. Die Kleider waren trist und hässlich. Um zehn waren alle zu Hause, die Straßen leer. Jedes Gespräch trieb irgendwann auf den Krieg zu, wie ein Tier, das sich die Wunden leckt.“

Großbritannien hatte den Krieg gewonnen und war am Boden zerstört. Straßen und Häuser waren zerbombt, Menschen tot, das Empire zerschlagen. Nicht mal zu essen gab es was. Während die Deutschen sich schon ihren Wirtschaftswunderspeck zulegten, waren in Großbritannien die Lebensmittel bis Mitte der fünfziger Jahre rationiert. Im Land von bacon and eggs gab es 1949 ein Ei pro Person im Monat. Fleisch wurde grammweise zugeteilt.

Und dann ging plötzlich die Sonne auf, wehte ein warmer Südwind durch die kalten Küchen. Mit ihren Büchern über mediterranes Essen baute Elizabeth David die Moral der Briten wieder auf, so haben es viele von ihnen später geschildert. Sie gab ihren Landsleuten die Hoffnung zurück, dass es tatsächlich eine Welt gibt, wo die Zitronen blühen. Plötzlich stieg den Lesern der Duft von frischem Rosmarin in die Nase, sie fühlten die glatte Haut der Auberginen, die sie noch nie in der Hand gehalten, schmeckten den Ziegenkäse, den sie noch nie gesehen hatten.

Was machte es schon, dass es so gut wie nichts davon in Großbritannien zu kaufen gab. Die Briten lasen Elizabeth Davids Bücher als das, was sie waren: Literatur. Utopien einer besseren Welt – romantisch und doch unsentimental –, Liebeslyrik, Feuilletons voller Charme und Witz, Reisebericht, Memoiren. Der besondere Reiz ihrer Bücher liegt bis heute im Schmecken der Worte, in den Reisen im Kopf. Der ideale Kochbuchautor, so erklärte die Autorin einmal, „ist einer, der den Leser dazu bringt, kochen zu wollen, und ihm sagt, wie es geht; er sollte immer etwas, vielleicht nicht zu viel, aber ein bisschen, ungesagt lassen; die Leute müssen ihre eigenen Entdeckungen machen, ihre eigene Intelligenz nutzen; sonst werden sie um einen Teil des Vergnügens gebracht.“

Sie war 36, als 1950 ihr erstes Buch erschien, das, so der „Independent on Sunday“, „die Art verändern sollte, wie eine Nation aß“. Generationen von Briten lernten bald mit ihrer Hilfe kochen, steckten ihre Bücher als Reiseführer in den Koffer. Innerhalb eines einzigen Jahrzehnts krempelte die Tochter aus gutem Hause, die über 20 war, als sie das erste Mal einen Kochlöffel in die Hand nahm, die englische Küche um. „Mediterranean Food“, ihr Debüt, war „ein Liebesbrief an die Mittelmeerregion“, wie sie selber es nannte, in dem sie die schlichten Genüsse der Landküche feiert.

Danach ging es Schlag auf Schlag: „French Country Cooking“ (1951), „Italian Food“ (1954), „Summer Cooking“ (1955) und „French Provincial Cooking“ (1960), nicht zu reden von ihren vielen Artikeln für Zeitungen und Magazine. „Ich lese deinen Namen jetzt überall!“, schrieb ihr der Schriftsteller Lawrence Durrell. „Du bist so etwas wie der Lord Chesterfield des Essens. Wie wunderbar und wie verdient.“

Vor allem mit den Taschenbuchausgaben von Penguin erreichte die Autorin ein Riesenpublikum, gerade unter jungen Leuten, Künstlern und Intellektuellen. Hier war jemand, der nicht kochte, weil er musste, sondern weil er Freude daran fand, Freunde zu beglücken. Kochen als Lust, Essen als ästhetisches Vergnügen – das war in Großbritannien ein revolutionäres Konzept.

Hilary Spurling, heute bekannte Matisse-Biografin, war eine von denen, die als Studentin mit Hilfe von Davids „Mediterranean Food“ kochen lernte: Omelette, Spaghetti Bolognese, Stifado. Ihr Lieblingsrezept ist bis heute das Zitronensoufflé, das für sie „die Leichtigkeit, Schlichtheit und Eleganz der allerbesten minimalistischen Kunst hat“.

Ja, Davids geschriebene Dinners sind Kunst. Wobei die Leichtigkeit ihres Stils hart erkämpft war. Das Schreiben fiel der passionierten Leserin, die 1982 zum Mitglied der Royal Society of Literature ernannt wurde, eher schwer, ihr geschliffener Stil war das Ergebnis unermüdlichen Umschreibens. Es hat sich gelohnt: Davids Paperbacks standen bald zwischen Graham Greene, E.M.Forster und Virginia Woolf in jedem Haushalt, der etwas auf sich hielt – zerfleddert, bekleckert und beschmiert, so viele Dinnerpartys waren mit ihnen bestritten worden.

Und in den Regalen stehen sie heute noch. Trotz der geradezu gigantischen Konkurrenz – in Großbritannien begann der Boom der Kochbücher, lange bevor er nach Deutschland überschwappte – waren ihre Titel nie vergriffen, berufen sich auch heutige Küchenchefs wie Jamie Oliver auf sie. Dabei nehmen die Bände sich äußerst bescheiden aus. Kein Hochglanzpapier, keine Fotos, lediglich ein paar Illustrationen. Ansonsten: nur Worte. Und selbst von denen nicht zu viel.

David war eine lakonische Erzählerin und scharfe Kritikerin mit trockenem Humor, schrieb so, wie sie kochte und sich kleidete, mit klarer, schlichter Eleganz. Zurückhaltung hieß ihr oberstes Gebot, sie hasste extravagante Gerichte, die endlosen Menüs der Haute Cuisine, überfüllte Teller, steife Feinschmeckerlokale. „An Omelette and a Glass of Wine“, so der programmatische Titel einer Sammlung ihrer Essays: Das war das, was sie über alles liebte. Einfache, möglichst unverfälschte Genüsse, aber die in höchstmöglicher Perfektion. Sie warnte davor, Gemüse mit Mayonnaise und Aspik zuzukleistern, Fleisch in mächtigen Saucen zu ertränken, Essen in unsinnige Formen zu zwängen. Stattdessen empfahl sie, frische Zutaten frisch zu kochen. Sie schwärmte für „die Kunst oder die Disziplin, nennen Sie es, wie Sie wollen, die Dinge in Ruhe zu lassen. Dies ist die Voraussetzung für jedes erstklassige Mahl, egal auf welchem Level.“

Warum, so schlug sie vor, nicht einfach ein Bund Radieschen, Oliven und hartgekochte Eier mit knusprigem Brot und frischer Butter auf den Tisch stellen oder auf dem Gras ausbreiten: Nichts liebte David so sehr wie Picknicks, am liebsten am Wasser. Selbst wenn sie zum Recherchieren in die Bibliothek fuhr, nahm sie für die Mittagspause Brot und Käse, Obst und eine Flasche Wein mit.

Entsetzt las sie in den Zeitschriften der 60er Jahre Rezepte wie das für ein Risotto, das mit Patnareis und Tomatensuppe aus der Dose angerührt wurde. „Was für eine Art, unser Wissen zu erweitern und unser Interesse zu wecken ist das denn!“ Angewidert betrachtete sie die lange Liste an Zutaten auf der Tüten-Sauce Hollandaise – sie lehnte alle synthetischen Stoffe wie künstliche Aromen ab, die hatte sie schon in Zeiten der Not und der Ersatzlebensmittel hassen gelernt. Also riet sie ihren Landsleuten, ihre Vorratsschränke leerzuräumen, Fertigsaucen voller Geschmacksverstärker wegzuschmeißen und durch Rotwein, Weißwein und Portwein zu ersetzen. Billiger Wein ist besser als gar kein Wein beim Kochen, so ihre Devise – aber je besser der Tropfen, desto besser das Gericht.

Man könnte David als Großmutter heutiger Kochphilosophie bezeichnen – wenn man sie sich als Großmutter vorstellen könnte: Elizabeth David hatte für Kinder nichts übrig. Sie war, das kann man auch ihren Büchern leicht entnehmen, eine schwierige Frau, konnte, so ihre Biografin, äußerst unsensibel und nachtragend sein – reserviert sowieso.

Doch ein Essay von ihr ist wie ein Wochenende in der Provence, meinte ein britischer Kritiker noch Jahrzehnte später. Ein Buch von ihr ist so gut wie ein ganzer Urlaub. Deswegen hatte sie ja überhaupt angefangen zu schreiben: um sich selbst in eine andere, eine reale, aber vergangene Welt zu versetzen.

In den 30er Jahren war Elizabeth David mit ihrem damaligen Geliebten ans französische Mittelmeer gesegelt und nach Kriegsausbruch nach Venedig gefahren, wo sie vorübergehend festgenommen wurde. Über Griechenland ging die Odyssee weiter nach Kairo, wo sie als Bibliothekarin im Dienste der Armee arbeitete, Lawrence Durrell kennenlernte sowie ihren zukünftigen Mann Tony David, einen Offizier, den sie eher aus Vernunft denn aus Liebe heiratete.

Es war, als würde ein Pferd sich mit einem Fisch vermählen, meinte ein Freund; nicht einmal ein Foto gibt es von der Hochzeit, schreibt Davids Biografin Artemis Cooper. Nach dem Krieg ging sie mit ihrem Mann nach Indien, kehrte aber schnell wieder zurück, um sich nach Jahren des Reisens wieder in England niederzulassen.

Im Winter 1946/47, dem kältesten, an den die Briten sich erinnern konnten, zog Elizabeth David mit ihrem neuesten Liebhaber in ein geheiztes Hotel in Ross-on-Wye. Und litt. Die Lebensmittelknappheit war für sie keine Entschuldigung für das, was sie da vorgesetzt bekam: wässrige Mehlsuppen, trockene Zwiebeln, grässlichste Speisen, die für sie „von einem Hass auf Menschlichkeit und menschliche Bedürfnisse zeugten“. Über das Essen, das sie rund ums Mittelmeer so genossen hatte, zu schreiben: Das war ihre „zornige Rebellion“ gegen diese Tristesse. Allein Worte wie Aprikose, Oliven und Butter, Reis und Zitronen, Mandeln und Öl in den Mund beziehungsweise die Feder zu nehmen besänftigte sie.

Trotz all ihrer Geliebten – der vielleicht wichtigste, auf jeden Fall einflussreichste Mann ihres Lebens, die prägende Figur ihre éducation culinaire war ein Schriftsteller. Ohne ihn hätte sie vielleicht nie angefangen, über Essen zu schreiben, meinte sie selbst. Und bei ihm lernte sie, dass man mit Witz über Essen schreiben kann, etwas, was damals unerhört war – und heute unter „Gourmets“ oft immer noch ist.

Als Elizabeth David, schön, groß, schlank und selbstbewusst, ihn in den dreißiger Jahren in Antibes kennenlernte, war sie 24 und er 72: Norman Douglas, Brite aus schottisch-deutscher Familie mit heftiger Abneigung gegen Großbritannien, sein Wetter und sein Essen, geschieden und Vater zweier Söhne, schwuler Lebemann mit einem Faible für kleine Jungs. Graham Greene gehörte zu den Fans des Autors, D. H. Lawrence macht ihn zu einer unsympathischen Romanfigur.

Der eigenwillige, charmante Douglas sprach Elizabeth David aus dem Herzen: „Tu, was dir gefällt, lass die anderen zur Hölle fahren und lebe mit den Konsequenzen. Verdammt gute Lebensregel. N.“ hat er ihr auf die Rückseite eines seiner Bücher geschrieben. Pragmatisch, gebildet und charismatisch, gab Douglas selber keinen Pfifferling auf das, was andere dachten. Er tat, was er wollte, und er tat etwas, was gebildete Engländer seiner Generation nicht taten: Er redete über das Essen. Er schrieb in seinen Reisebüchern und Romanen über das Essen. Und er hatte immer etwas zu essen dabei.

Wenn er wandern ging mit Elizabeth David (und nur ihm zuliebe wanderte sie mit), steckte er eine gute Salami ein – man wisse ja nie, was man unterwegs kriege. Wenn er in Antibes ins Restaurant ging, nahm er sich ein Stück Parmesan mit, weil er wusste, was er in Frankreich bekommen würde: Gruyère. „Für Makkaroni nicht zu gebrauchen.“ Den Kellner ließ er den Käse reiben und das ebenfalls mitgebrachte Basilikum zupfen – bloß nicht hacken, erklärte er, „verdirbt den Geschmack“. Basilikum war sein Lieblingskraut. Elizabeth David stellte einen Topf davon auf sein Grab auf Capri, wo er Ehrenbürger war.

Eine außergewöhnliche Gastgeberin muss die Autorin selber gewesen sein, die Mittagessen am langen blankgescheuerten Holztisch im Souterrain ihres Londoner Hauses blieben legendär. „Das Beste an Elizabeth David war Elizabeth selbst“, meinte ihr jüngerer Kollege Richard Olney, „sie liebte Gespräche, Fünfstundenlunches und natürlich Wein – Gespräche und lange Mittagessen waren undenkbar ohne ein Glas Wein.“

Elizabeth David gehörte nicht zu denen, die Wein predigen und Wasser trinken. Was allerdings einmal reines Vergnügen der Geselligkeit war, wuchs sich zu einem Alkoholproblem mit schweren gesundheitlichen Folgen aus. Nach einem Schlaganfall verlor sie ihren Geschmackssinn, ihre Knochen wurden brüchig, sie kochte nur noch selten. Aber zum Drink lud sie noch ein, abends um sechs, es stand dann doch etwas zu essen auf dem Tisch, hervorragende Weine, die Gespräche dauerten bis zum frühen Morgen.

1992 starb Elizabeth David, mit 78 Jahren. Ein Kochtopf ziert ihren Grabstein.

Zwei Jahre später wurden bei Sotheby’s die Überreste ihrer Küche versteigert. Freunde und Familie hatten sich schon das Schönste und Liebste aus ihrer riesigen Sammlung herausgesucht, die vier Neffen teilten sich ihre berühmte Omelette-Pfanne, jeder bekam sie für ein Jahr. Ein Topf mit Kochlöffeln ging für 400 Pfund weg, ein Sieb für 320 Pfund, ein Nudelholz für 280. Mit der Auktion war die hierzulande völlig Unbekannte, deren Bücher es auf Deutsch nicht gibt, endgültig, wie ein Reporter schrieb, ins Reich der Heiligen eingekehrt.

Dieser Text ist ein Auszug aus Susanne Kippenbergers Buch „Am Tisch: Die kulinarische Bohème oder Die Entdeckung der Lebenslust“. Es erscheint am 7. November im Berlin Verlag und kostet 22 Euro.

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