zum Hauptinhalt
Klare Linie, gute Produkte, klassischer Stil. Das Reh, wie es Steve McCallum im Kinloch House zubereitet.

©  Bernd Matthies

Britische Küche: Schottisches High

Mehr als Haggis und frittierte Schokoriegel: Mit französischen Rezepten, Angus-Rind und Wildlachs erklären die Nordbriten ihre Unabhängigkeit.

Geht es noch schottischer? Nicht, wenn Ronnie Rose von „Dunkeld Smoked Salmon“ in Pertshire seinen Lachs präpariert. Dann holt er zunächst mit einer Schippe Holzspäne und Holzstaub aus großen Säcken und schichtet sie sorgfältig aufeinander in Metallkästen, die später beim Kalträuchern genau dosierten Rauch freigeben. Die Räucherei steht in Schottland, der Lachs kommt aus Schottland. Und das zerkleinerte Eichenholz stammt von ausrangierten schottischen Whiskyfässern, die hier ein letztes Mal ihr spezielles Aroma aushauchen dürfen – beim Wein würde man von Terroir sprechen, Produkt und Verarbeitung aus den kulinarischen Wurzeln einer Region und ihrer Menschen.

Es ist diese Idee, die die kleinen schottischen Produzenten verbindet, Tierzüchter, Käsemacher, Fischer und Lebensmittelhändler, die vor dem Brexit intensiv um ein eigenes Profil kämpfen. Der Hotelier Graeme Allen, Kunde der Räucherei und Besitzer des elegant altmodischen Landhotels Kinloch House in der Nähe, fasst das Dilemma der meisten Schotten zusammen: „Ich war natürlich gegen den Brexit“, sagt er, „aber die Selbstständigkeit ist keine Lösung. Ein selbstständiges kleines Schottland hätte keine Überlebenschance“.

Pertshire ist die Region nördlich von Edinburgh an der Nordseeküste Schottlands, eine gesegnete, wohlhabende Gegend, in der ein Golfplatz an den anderen grenzt. Hier erinnert nichts an die kargen, vom Sturm gezausten Highlands des Nordwestens, hier weiden Kühe und Schafe zwischen Feldsteinmauern an den Ufern des Tay, der bei Dundee ins Meer mündet, an den Straßenrändern blühen millionenfach die Osterglocken.

Die leidige Frage „Wild- oder Zuchtlachs?“

Dunkeld gehört zum Carse O’Gowrie, dem schottischen Obstgarten, berühmt auch für Säfte, Fruchtweine, Konfitüren. Das granitgraue Dorf wird überragt von seiner normannisch-gotischen Kathedrale; der Weg zum Lachs führt über eine bescheidene Hofeinfahrt zu ein paar alten Remisen, der Shop ist winzig.

Ronnie Rose ist seit 27 Jahren Räuchermeister in Dunkeld.
Ronnie Rose ist seit 27 Jahren Räuchermeister in Dunkeld.

© Bernd Matthies

Die leidige Frage „Wild- oder Zuchtlachs?“ beantwortet Rose mit einem Kompromiss: 90 Prozent seiner Fische kommen aus Zuchtanlagen, wie es sie beispielsweise am Loch Lomond nordwestlich von Glasgow gibt, der Rest ist Wildfang. Zuchtware ist stabil hellrot, die Farbe der wilden schwankt dagegen zwischen hell milchig und dunkelrot. „Der ist gut doppelt so teuer“, sagt Rose. „Wir verarbeiten ihn gern, aber ich bin mit der Qualität der Zuchtlachse sehr zufrieden.“

Zurück bei Graeme Allen im Kinloch House zeigt sich die Qualität des Lachses aus Dunkeld, der vom weichlich-faden Flüssigrauch-Lachs deutscher Supermärkte so weit entfernt ist wie Edinburgh von Travemünde. Mit Schalottenwürfeln und Kapern wird er hier überall serviert, das war schon immer so – und auch das Rehrückenfilet mit Rotkohl, Roten Beten, Perlzwiebeln, Wacholdersauce und einem Rösti aus der Kinloch-Küche wirkt zeitlos in seiner gradlinigen Zubereitung.

Feine Küche mit französischen Wurzeln

Das ist typisch für ganz Schottland: Die feine Küche des Landes verharrt gelassen auf ihren französischen Wurzeln, die auf die über 700 Jahre alte Allianz beider Länder gegen England zurückgeht. Vom skandinavischen Zeitgeistkochen wollen die schottischen Chefs nichts wissen. Sie vertrauen überwiegend darauf, dass sie die Qualität ihrer Zutaten in modernen französisch-mediterranen Kombinationen am besten herausstellen können.

Selbst die Gerichte von Andrew Fairlie im Hotel Gleneagles, dem einzigen Zwei-Sterne-Koch des Landes, lesen sich wie aus einem Kochbuch von Alain Ducasse entlehnt: Zum Fasan serviert er gebratene Foie Gras, Karottenpüree und einen Calvados-Jus. Noch klassischer geht es im Hauptrestaurant des berühmten Hotels zu, wo livrierte Kellner unter Silberhauben die großen Bratenstücke herumschieben und unentwegt Crêpes Suzette flambieren, wie es so vermutlich in ganz Frankreich nicht mehr vorkommt – ein perfektes kulinarisches Museum, das indessen von legeren, jungen Gästen mit prallem Leben gefüllt wird.

Die schwarzen Rinder wurden zur Legende

Aus der Natur. Vor dem Kinloch House Hotel weidet ein behörntes Hochlandrind.
Aus der Natur. Vor dem Kinloch House Hotel weidet ein behörntes Hochlandrind.

©  Bernd Matthies

Ausgangspunkt jeder schottischen Produktkunde ist das „Aberdeen Angus Beef“. Die schwarzen Rinder aus den Highlands wurden zur Legende, weil sogar französische Top-Köche ihre Fleischqualität anerkennen. Diese Wertschätzung einer speziellen Rasse begründete den Rindfleisch-Kult, der heute die ganze Welt erfasst hat.

Das Angus-Rind konnte sich gegen die modischeren Kontinental-Rassen dennoch behaupten und spielt auch heute die Hauptrolle auf den schottischen Weiden. Aufgeklärte, weltläufige Farmer wie Sascha Grierson aus Tibbermore bei Perth geben den Weg vor. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann einen gemischten Hof, auf dem auch Schweine, Hühner und Schafe leben. Nur rund 120 Rinder stehen bei ihr im Futter, und im ganzheitlichen Stil moderner Öko-Betriebe versucht sie, den Qualitätsstandard bis zum Endkunden zu sichern, richtet neue Räume für die Weiterverarbeitung ein.

Zur Probe legt sie verschiedene Stücke in die Pfanne, es duftet köstlich, die Stücke behalten vorbildlich ihre Form, und in der direkten Verkostung werden die unterschiedlichen Texturen der Schnitte deutlich, vom glatt strukturierten, weichen Filet bis zum kräftig marmorierten Flanksteak. Auch Sascha Grierson redet vom Brexit, ihre Auffassung ist interessant ambivalent: „Da es nun schon mal passiert ist“, sagt sie, „sehen wir das als große Chance, unser Produkt und unsere Qualität auf ein ganz neues Niveau zu bringen, uns von den starren EU-Normen zu befreien.“ Allerdings traut sie der eigenen Aufbruchstimmung nur halb: „Vermutlich werden die großen Erzeuger das unter sich ausmachen, und es bleibt alles beim Alten“.

Gute Produkte, eigener Kopf - eine typisch schottische Mixtur

Für das volle kulinarische Programm gibt es in Schottland prall gefüllte Hofläden wie den „Gloagburn Farm Shop“ von Ian Niven, zu dem auch ein einfaches, beliebtes Restaurant gehört. „We don’t serve fast food“, hat er in die Speisekarte geschrieben, „but we serve good food as fast as we can“. Schottland präsentiert sich in diesem fast schon amerikanisch extrovertierten Geschäft als überbordende Speisekammer, als ein Land, das den Spaß am Essen nicht mehr lernen muss. Was sogar für Käse gilt. Wer glaubt, schottischer Käse sei so etwas wie französischer Whisky, der ist reif für einen Besuch bei Jane Stewart in Anstruther. Sie macht nur vier Sorten, die vom englischen Stilton inspiriert sind, frisch, geräuchert, mit Knoblauch sowie kräftig gereift. Stewart, die mit ihrem Mann einen großen Bauernhof betreibt, ist aus Not auf diese Idee gekommen: Der Verfall der Milchpreise drohte ihr Geschäft zu verderben, der Käse war die Antwort.

Der beste Käse der Ostküste kommt von Jane Stewart in Anstruther.
Der beste Käse der Ostküste kommt von Jane Stewart in Anstruther.

© Bernd Matthies

Die Hauptattraktion von Anstruther ist die „Fish Bar“, die mehrfach für die beste Zubereitung von Fish & Chips im ganzen Königreich ausgezeichnet wurde. Aber es geht auch edler: Darin Campbell, Küchenchef im Cromlix House Hotel, serviert die wunderbaren großen Jakobsmuscheln knapp angeröstet mit schwarzen Nudeln, einer pochierten Auster und etwas Tang. Das Hotel gehört dem Tennis-Champion Andy Murray, das Restaurant steht unter der Patronage der französischen Roux-Brüder, die seit einem halben Jahrhundert auch in England populär sind – eine typisch schottische Mixtur. Gute Produkte, eigener Kopf, auswärtige Inspiration, kein Flirt mit Moden.

Wer unbedingt will, der findet auch den schottischen Horror-Klassiker noch, „Haggis, Neeps and Tatties“, Schafsmagen mit Steckrüben und Kartoffeln. Aber typisch ist er längst nicht mehr.

Kulinarische Reisetipps für Schottland

TASTING SCOTLAND

Brenda Anderson ist eine unabhängige, kenntnisreiche Führerin durch die schottische Gastronomie, organisiert Touren, Verkostungen und Hotelaufenthalte, info@tastingscotland.com

FISH AND CHIPS

Anstruther an der Ostküste ist einer der schönsten Fischerhäfen des Landes. Was die kleinen Boote hereinbringen, landet direkt in der „Anstruther Fish Bar“, die für ihre perfekten „Fish and Chips“ berühmt ist, anstrutherfishbar.co.uk. Einen Michelin-Stern hat „The Cellar“, wo Billy Boyter Steinbutt mit Langustine und Bärlauchemulsion serviert, thecellaranstruther.co.uk

HOFLADEN DE LUXE

Der Gloagburn Farm Shop in Tibbermore nahe Perth zeigt das volle Programm der südschottischen Landwirtschaft: Fleisch, Gemüse, Kuchen, Marmeladen, Obstwein, dazu Kunsthandwerk und Bücher. Die 100 Plätze im Coffee Shop (9-17 Uhr) sind immer besetzt – reservieren! gloagburn.co.uk

LACHS GANZ EINFACH

Den Räucherlachs aus Dunkeld gibt es nur in Schottland. Vergleichbare Qualität bekommt man von einer Zuchtanlage am Loch Lomond unter dem Namen „Glen Douglas“, geräuchert und auch roh, in Berlin beim Frischeparadies, frischeparadies.de

Zur Startseite