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Wo der "Traubenadler" kreist: Ein Weinberg bei Stuttgart

© dpa

100 Jahre VDP: Der lange Weg zum Naturwein

Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) blickt auf ein Jahrhundert deutscher Weinbaugeschichte zurück – von den Anfängen als Versteigererverband bis zum Förderer des naturgemäßen Weinbaus.

Es muss ziemlich wüst zugegangen sein im deutschen Weinbau Anfang des 20.Jahrhunderts. Offenbar machte jeder, was er wollte, solange das Resultat erfolgreich war – doch das provozierte auch den Widerspruch derjenigen, die den ehrlichen, ohne Tricks naturnah erzeugten Wein wollten. Sie waren 1910 organisiert in vier Regionalverbänden der deutschen Weinversteigerer von Rheingau, Rheinhessen, Pfalz und Mosel/Saar/Ruwer – und gründeten zum Schutz des Produkts am 26. November den Verband Deutscher Naturweinversteigerer (VDNV). Von dort führt eine direkte Verbindung zum heutigen Verband VDP, der dieses Kürzel als Rechtsnachfolger seit der knapp verhinderten Auflösung und Umbenennung des VDNV 1971 trägt – 100 Jahre deutscher Weinbaugeschichte als Konzentrat.

1910 war Wein ein knappes Gut, das nicht vom Winzer nach Preisliste an Großhändler verkauft, sondern von Kommissionären ersteigert und dann an den Handel weitergegeben wurde. Alle wichtigen Güter arbeiteten nach diesem System, und ihr Zusammenschluss diente vor allem dazu, Termine zu koordinieren und die Versteigerungsbedingungen zu vereinheitlichen, denn man wollte sich nicht untereinander Konkurrenz machen. In diesem Rahmen entstand auch die Selbstverpflichtung, auf das Anreichern der Weine mit Zuckerwasser und den Verschnitt unterschiedlicher Lagen und Herkünfte zu verzichten, also eben „Naturwein“ zu produzieren, und zwar ausschließlich aus eigenen Trauben.

Die erfolgreichen Versteigerungen wurden auch während des Ersten Weltkriegs und in der Wirtschaftskrise fortgesetzt: Die Versteigerer hielten beispielsweise den herausragenden Jahrgang 1921 als „Notgroschen“ zunächst zurück. 1926 wurde der VDNV in das Vereinsregister eingetragen und gab sich den noch heute verwendeten Traubenadler als Markenzeichen; mit dem Eintritt der Versteigerer aus Baden und von der Nahe war der deutsche Qualitätsweinbau weitgehend komplett repräsentiert. 1930 definierte ein neues Weingesetz den Gedanken des Naturweins und entsprach damit den Intentionen des Verbands.

Nach der Machtergreifung Hitlers zerbrach das System. Denn die oft jüdischen Weinhändler wurden aus ihren Ämtern verdrängt und vertrieben, und der VDNV wurde zwar anders als alle anderen Weinbauorganisationen nicht aufgelöst, aber dem Reichsnährstand angegliedert. Der Rüdesheimer Kreisbauernführer Jakob Werner übernahm den Vorsitz, ließ den Verband aber offenbar weitgehend intakt: „Erfolgreich widersetzt sich der VDNV dem Zwang, einen antijüdischen Passus in die Satzung aufzunehmen“, heißt es in der Chronik des VDP. Die letzte Versteigerung erfolgte 1939, dann machte der Krieg geordneten Weinbau und -handel weitgehend unmöglich.

1949 nahm der VDNV unter Leitung von Alfred Bürklin seine Arbeit wieder auf. Die erste Spitzenweinversteigerung nach dem Krieg fand 1955 statt. Und durch eine Satzungsänderung schloss der Verband die Genossenschaften faktisch aus. Mit dem legendären Jahrgang 1959 schafften es die besten deutschen Winzer, wieder auf die internationalen Märkte zurückzukehren.

Mitte der 60er Jahre nahm der politische Druck auf das Konzept des „Naturweins“ zu – vor allem Großabfüller und Genossenschaften drängten auf eine Änderung und erreichten schließlich, dass das neue Weingesetz 1971 das System der „Qualitätsweine mit Prädikat“ einführte; der Begriff „Naturwein“ wurde verboten. VDNV-Präsident Wolfgang Michel resignierte und lud die nur noch 75 Mitgliedsbetriebe zur Auflösung nach Wiesbaden – doch dort geschah Überraschendes: Peter von Weymarn vom Weingut Heyl zu Herrnsheim hielt eine leidenschaftliche Rede, setzte die Umbenennung in „Verband Deutscher Prädikatsweingüter“ (VDP) durch und wurde zum Präsidenten gewählt, der neue, höhere Anforderungen an die Mitgliedschaft in die Satzung aufnahm.

1973 gründete der VDP die Mainzer Weinbörse als Reaktion auf den zunehmenden Bedeutungsverlust der Versteigerungen. Sie ist heute als wichtige Fachmesse etabliert. Anfang der Achtziger Jahre, auf dem Höhepunkt der deutschen Süßweinwelle, wurde zunehmend deutlicher, dass das Weingesetz von 1971 eine verhängnisvolle Abwärtsspirale in Sachen Qualität angestoßen hatte. Der VDP reagierte mit höheren internen Standards und konnte auf wichtigen Auslandsmärkten Boden gut machen. Auf Erwein Graf Matuschka Greiffenclau folgte 1991 Michael Prinz zu Salm-Salm als VDP-Präsident – ein weiterer wichtiger Einschnitt. Denn er setzte erneut strengere Erzeugungsregeln durch und intensivierte vor allem die regelmäßigen Betriebskontrollen. Folge: Von den 161 Betrieben, die zu Beginn seiner Präsidentschaft Mitglied waren, schieden bis 2010 73 aus, 108 kamen neu hinzu.

In diese Zeit fiel auch die Trennung des VDP vom Deutschen Weinbauverband – 1994 trat der VDP nach zahllosen Konflikten aus und versuchte, die Fehlentwicklungen des Gesetzes durch zahlreiche Selbstbeschränkungen zu korrigieren. Dazu gehörten auch erste Anläufe, die Lagen der Mitgliedsbetriebe nach französischem Vorbild zu klassifizieren – dies wurde 2002 in einem Statut verbindlich fixiert und 2006 in einer „Vision 2015“ weiter präzisiert. Seit 2007 ist der Pfälzer Top-Winzer Steffen Christmann Präsident des VDP. Vom sperrigen Wort „Verband“ hat man sich eigentlich schon 2000 getrennt. Es heißt nun nur noch: „VDP. Die Prädikatsweingüter“.

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