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Ein Land versinkt im Hass.

© AFP

Einmal hingeschaut: Hass macht immer blind - auch in der Türkei

Unser Autor Ahmet Refii Dener über die Hartherzigkeit der Türken untereinander. Eine Kolumne.

Wieder muss ich an die Zeit vor Erdogan denken. Einiges lief schon damals nicht rund, aber die Bevölkerung der Türkei war glücklicher. Der eine mochte vielleicht den anderen nicht – aber man hasste sich nicht.

Doch binnen weniger Jahre schaffte es Herr Erdogan, oder um in seiner Sprache zu bleiben, dass „die Türkeiländer“ (Türkiyeli) sich nicht mehr grün sind.

Und das ist noch milde ausgedrückt. Sie hassen sich regelrecht. Hier einige Beispiele für die Rohheit: Der 15-jährige Berkin, der zum Brotkaufen während den Gezi-Demos unterwegs war, wurde von einer Kugel getroffen und verstarb. Bei seiner Beerdigung hat man die Mutter und den toten Jungen ausgebuht.

Als sieben Studentinnen während einer Party in einer Wohnung durch eine Gasvergiftung ums Leben kamen, hat man, anstatt die Verantwortlichen anzuklagen, den Spieß umgedreht. Auf einmal waren die toten Studentinnen „halbnackt und verdienten es nicht anders“. So kamen die städtischen Gaswerke ohne Schaden davon.

Im Pool ertrunken

Der dreijährige Pamir ist morgens aus der Villa der Eltern weggelaufen und im Pool des Nachbarn ertrunken. Danach ging die Hetze los: Die Mutter wäre Alevitin, Mitglied einer Terrororganisation, hätte an den Gezi-Demos teilgenommen und die Familie würde zu den „Weißtürken“ gehören. Vor Kurzem dann stürzt ein Privatjet ab. Elf junge Frauen sterben (unter ihnen zwei Pilotinnen und eine Stewardess). Schon geht der Shitstorm los. Am Ende heißt es, die Frauen hätten dieses Schicksal verdient.

Dazu muss man festhalten: Berkins Vater war arbeitslos. Der Vater eines der toten Mädchen, dem der Privatjet gehörte, ein wohlhabender Geschäftsmann. Also hat das alles nichts mit reich oder arm, Religion und Ausbildung zu tun. Nein. Neben der Demokratie ist in der Türkei auch die Menschlichkeit auf der Strecke geblieben. Die stille Masse ist in die Ecke getrieben und verängstigt. Die Devise lautet: Lieber schweigen und alles aussitzen, als etwas riskieren und alles verlieren.

Wie lange kann das gutgehen, wenn sich die Menschen dermaßen hassen? Über kurz oder lang wird sich der Hass auch gegen die stille Masse richten. Oder sie entscheidet sich, laut zu werden. Die Lage unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland ist übrigens leider nicht anders.

Nur die deutschen Türkei-Touristen und -Residenten müssen sich nicht fürchten. Solange sie weiterhin das Geld ins Land tragen, wird man sie lieben.

Ahmet Refii Dener arbeitet als Türkei-Berater. 2017 ist ARDner, wie sich der Blogger (go2tr.de) nennt, nach Berlin gezogen. Sonntags schreibt er im Tagesspiegel.

Ahmet Refii Dener

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