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Geschichtensammler Christoph Busch vor seinem Erzähl-Kiosk

© dpa/Daniel Bockwoldt

Ein Kiosk in Hamburg: Der Zuhörer zwischen den Zügen

Aufgefallen war ihm der leere Kiosk schon länger. Nun hat Christoph Busch ihn gemietet und hört sich dort Geschichten an. Es soll ein Buch daraus werden.

Möglicherweise müssen jetzt gleich ein paar Tränchen verdrückt werden, Tränchen der Rührung. Eine alte Frau klopft bei Christoph Busch an die Fensterscheibe. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht“, sagt sie, greift in ihre Jacke, zieht ein Kuvert hervor, „das ist eine Monatsmiete, die möchte ich Ihnen schenken“. Christoph Busch, 71 Jahre alt, klein von Statur, groß, wie sich zeigt, von Herzen, ist erst verdutzt, dann verlegen, dann muss er schlucken. 300 Euro, geschenkt von einer ihm bislang unbekannten alten Frau, einfach so? Nein, nicht einfach so. Sondern fürs Ohr, das Christoph Busch den Menschen anbietet, sein Ohr.

Christoph Busch lebt seit 30 Jahren in Hamburg, im gediegenen Eimsbüttel, unweit der quirligen Schanze. Ab und zu ist er im U-Bahnhof „Emilienstraße“ aus der U2 ausgestiegen, wo immer mal wieder ein kleiner gläserner Kiosk auf dem Bahnsteig leer stand. Und weil Busch eigentlich Schreiber ist und Drehbuchautor, und weil die Töchter des späten Vaters acht Jahre und zwölf Jahre sind und den Tag über in der Schule verbringen, „wollte ich noch ein bisschen etwas abenteuerliches in mein Leben bringen“. Er sah den Kiosk, er kam auf die Idee, in diesem Kiosk mitten auf dem Bahnsteig seinen schriftstellerischen Platz einzunehmen.

Seit Januar bietet er seine Dienste im U-Bahnhof an

Das war im November. Nach einigem Hin und Her mit Behörden und der Hamburger Hochbahn-Gesellschaft zog er Anfang Januar ein. Sein Plan, so viel ist jetzt schon klar, aus dem Leben heraus über das Leben zu schreiben, ist nicht aufgegangen. Stattdessen kamen die Menschen und fragten, was er da mache in diesem Glaskasten und fingen dann an ihre Geschichten zu erzählen. Und dann wurde Christoph Busch das Ohr von Hamburg, der Zuhörer, der Geschichtenaufsauger. „Was ich hier mache“, steht auf einem Flyer, der am Kiosk pappt. „Ich bin Autor und möchte: Zuhören, was sie zu sagen haben. Eine Geschichte oder nur einen Satz, Erlebnisse oder einen Wunsch, Glück oder Unglück, Liebe oder Abneigung.“

„Wissen Sie, ich habe jetzt keine Zeit“, sagt die spendable Frau mit dem Kuvert, „aber ich komme bald wieder, dann erzähle ich Ihnen mein Leben, und ich sage Ihnen schon jetzt, das werden schöne Geschichten, ich hatte ein glückliches Leben“. Da schluckt Christoph Busch gleich noch einmal.

Als die junge Frau sich bedankt, kommen ihm die Tränen

Und noch einmal, als eine junge Frau vorbeikommt, höchstens 20. Die war am Vortag da und hat ihr Leid geklagt, was ein wenig euphemistisch klingt, weil sie geweint hat, bitter und verzweifelt. „Sie war völlig durch den Wind“, sagt er. „Sie kam mir gestern sehr gefährdet vor, suizidgefährdet, und ich habe mir, nachdem sie weg war, schwere Gedanken gemacht, ob ich nicht den psychiatrischen Notdienst hätte zu Hilfe holen sollen“. Und nun steht sie da, strahlend, fröhlich, „Sie haben mir sehr geholfen, gestern, fürs Erste, ich komme ganz bald wieder“, sagt sie, und Christoph Busch schluckt jetzt nicht nur, jetzt muss er eine Träne wegwischen.

Und deswegen sitzt Christoph Busch da in seinem U-Bahn-Kiosk, in dem früher Schokoriegel und Wasser verkauft wurden. Im Verkaufsjargon würde es heißen, der Laden brummt. Montag bis Freitag von 9:30 Uhr bis 14:30 ist das Ohr auf Empfang, und zusätzlich auf Absprache. Das Angebot hat sich rum gesprochen in Hamburg, „etwa drei Gespräche führe ich am Tag“, sagt er. „Nächste Woche kommt eine Frau aus Köln angereist, die ist blind, sie kommt mit ihrem Hund“. Christoph Busch hat einen Nerv getroffen mit seinem Ort der Einkehr an einem Ort der Hatz. Es menschelt neuerdings an der U-Bahn-Station Emilienstraße.

Wer den Kiosk betritt, hat sich schon entschieden, zu reden

Der Mann hat eine klare und warmherzige Sprache und einen Auftritt, dem man schnell Vertrauen schenkt. In seiner Vita steht, dass er mal Jura studiert hat in Münster, Taxi gefahren ist, Antiquitäten verkauft und Drehbücher geschrieben hat, dafür auch schon für den Fernsehpreis nominiert war – das reiche wohl aus für Lebenserfahrung und Menschenkenntnis. „Aber ich habe weder Psychologie studiert, noch bin ich Therapeut, auch kein Priester, der die Beichte abnimmt“, sagt er.

Er hat eine Ecke seines Kiosks mit Sichtschutzwänden abgegrenzt, aber die Anonymität seiner Kunden ist damit nicht gewährleistet. „Muss auch nicht sein“, sagt er, „wer hier reinkommt, hat sich vorher überwunden“. Busch zeichnet die Gespräche auf, fotografiert seine Gäste, kennt Namen und Adressen, „die wenigsten lehnen das ab“. Aus den Gesprächen soll ein Buch entstehen, die Persönlichkeitsrechte müssen gewahrt bleiben.

Gerade hat er einen Mann verabschiedet, um die sechzig Jahre, stattlich, sportlich, gut aussehend, der hatte kein Problem damit, dass da ein Dritter mit im Glaskasten steht. Kunde und Ohr waren nach drei Stunden beim Duzen angelangt, die beiden umarmen sich, „Christoph“, sagt der Kunde, „ich danke dir sehr, ich komme nächste Woche wieder, vielleicht konnte ich etwas umsetzen“.

Ein Mann sprach von Frauen nur als "Geschöpfen"

Das Anliegen des Mannes? Er steht erfolgreich im Leben, ist in der IT-Branche zu ausreichendem Wohlstand gekommen. Aber er ist allein, keine Frau an seiner Seite. „Es findet sich dann aber im Verlauf eines Gesprächs ein Zipfel“, sagt Christoph Busch später, „an dem kann man ziehen, um vielleicht zum Grundproblem zu kommen“. Ihm war aufgefallen, dass der Mann von Frauen stets als „Geschöpfe“ sprach. Er habe versucht, dem Mann zu erklären, dass Frauen Menschen sein, keine höhere Wesen, keine abgöttisch zu verehrenden Geschöpfe, man sei jetzt im Gespräch an dem Punkt angelangt, dass der Mann wohl eine sehr dominante Mutter hatte, die sein Frauenbild geprägt habe, man werde in weiteren Gesprächen weiter sehen.

Man kann derartige Analysen als Küchen-Psychologie abtun, aber offensichtlich hilft alleine die Öffnung einem wildfremden Menschen gegenüber, dem man dabei in die Augen schauen kann, der nicht nur „mhm“ sagt, wenn er zuhört. „Ich kann Sachen sagen, die ein Therapeut sich niemals auszusprechen erlauben dürfte“, sagt Christoph Busch.

In einer Art Selbsttherapie übt sie das normale Leben

Zuhörbedarf haben Menschen ab 20Jahren aufwärts, Männer wie Frauen, mit einem leichten Überhang von Frauen, „vielleicht weil Frauen eher in der Lage oder geübter darin sind, Gefühle zuzulassen“. Frauen, wie die ältere Dame, die vor ein paar Wochen zitternd in seinen Kiosk kam. Die Frau war einige Jahre wegen klaustrophobischer Ängste in Behandlung gewesen, sie sei in diesen Zeiten nicht in der Lage gewesen, in ein Restaurant zu gehen und übe nun in einer Art Selbsttherapie das normale Leben. Und dann hatte irgendwo in Hamburg ein Stellwerk gebrannt und der U-Bahn-Verkehr stand still. Die Frau saß in der U 2, die mitten im Tunnel zwischen zwei Stationen 20 Minuten verharren musste. Man sei ins Gespräch gekommen, erzählt Christoph Busch, über Gott und die Welt, über die Wahrheiten des Lebens und die vermeintlichen Wahrheiten und am Ende habe er sich den Scherz erlaubt, dass sie ja nun den Weg durch den Tunnel zur nächsten Station alleine und zu Fuß schaffen würde. Das mache sie nun, habe die Frau gesagt, „ich habe sie abhalten können von diesem lebensgefährlichen Selbstbeweis“. Aber fröhlich und angstfrei sei sie dann in den nächsten Zug gestiegen.

Oder Frauen, wie die, deren Sohn in Afghanistan gekämpft hatte, und die beklagt, dass den Soldaten in der Heimat zu wenig Respekt entgegen gebracht werde. Sie hat ihm ein Foto dagelassen, das sie mit der Kanzlerin auf irgendeiner Gedenkveranstaltung zeigt. Und eine Militärjacke für Kinder. Die habe sie ihrem Enkel schenken wollen, um ihm zu zeigen, dass auch er jetzt ein Mann sei und ein Soldat. Die Schwiegertochter und auch der Sohn haben das aber gar nicht gut gefunden, und nun hängt die Jacke bei Christoph Busch im Kiosk.

Aus den gesammelten Geschichten soll ein Buch entstehen

Das sind so Geschichten, Geschichten, die das Leben schreibt, Busch sammelt sie, es soll ein Buch daraus entstehen, in vier Monaten läuft der Mietvertrag vorerst aus, wie es dann weiter geht, ist noch offen. „Ich bin ja jetzt schon übervoll mit Stoff“, sagt er.

Jetzt stehen wieder drei Personen vor dem Kiosk, zwei Frauen, ein Mann, etwas amüsiert, etwas skeptisch. Die eine Frau sagt zur anderen: „Brauchst du so etwas? So ein Quatsch.“ Christoph Busch überreicht ihr den Flyer und sagt: „Jeder Mensch hat Geschichten. Kommen Sie doch einfach mal vorbei.“ Die Spötterin guckt erstaunt: „Ich auch? Ja, stimmt, ich auch, ich komme die Tage mal und erzähle meine.“ Wieder einen Nerv getroffen.

Aber nun ist es genug für diesen Tag. Christoph Busch schließt seinen Schalter der Warmherzigkeit.

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