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Männerfreundschaft. Gérard Depardieu und Wladimir Putin.

© Mikhail Klimentyev/dpa

Die Lebenserinnerungen des Gérard Depardieu: Von ganz unten - bis nach Russland

Schauspieler Gérard Depardieu versucht in seiner Autobiografie mit dem Titel „Es hat sich so ergeben“ zu erklären, warum er so ist, wie er ist. Schon als Kind habe er sich russisch gefühlt.

Alkohol am Steuer, Urinieren im Flugzeuggang und Löwen zum Abendessen – der französische Charakterdarsteller Gérard Depardieu ist immer für eine Überraschung gut. Daher verwundert es wenig, dass er in seiner Biografie „Es hat sich so ergeben“, die am Dienstag auch in Deutschland erschienen ist, mit weiteren, oft tragischen, Geschichten aufwartet. 1948 in Châteauroux, Zentralfrankreich, geboren, ist Depardieus Kindheit davon geprägt, dass er nicht auf der Welt sein sollte. Mit Stricknadeln wollte seine Mutter die Schwangerschaft unterbrechen. „Ich habe ihre Flucht verhindert und sie zur Resignation verdammt“, schreibt Depardieu. Hassgefühle gegen seine Mutter kommen nicht auf. Er erzählt von den Entbindungen seiner drei jüngeren Geschwister, bei denen er half, vom alkoholabhängigen Vater, mangelnder Hygiene und Familiengemeinschaft. Mit zehn Jahren verlässt er das Elternhaus und entdeckt seine Anziehungskraft auf ältere Männer: „ ...als ich trampte und von Typen mitgenommen wurde, die an meinem Schwanz lutschen wollten und von denen ich mich dafür ordentlich bezahlen ließ“.

Depardieu hört irgendwann auf zu sprechen, vergisst sogar teilweise die Bedeutung der Worte. Er handelt auf dem Schwarzmarkt und plündert Gräber. Mit 16 sitzt er das erste Mal im Gefängnis. Dann die Wende: Der Schauspieler Jean-Laurent Cochet entdeckt Depardieus Talent, finanziert Ausbildung und Sprachtherapie. 1974 gelingt mit „Die Ausgebufften“ der Durchbruch.

Wer sich bahnbrechende Enthüllungen bezüglich Depardieus umstrittener Freundschaft zu Putin erhofft hat, wird enttäuscht. Depardieu ergeht sich in bekannten Lobeshymnen. Genau wie er sei auch der russische Präsident von ganz unten gekommen, niemand hätte einen Cent auf Putin gesetzt, als er fünfzehn war. Vehement streitet er ab, dass Putin ein Diktator sei, ohne das weiter zu begründen. Stattdessen fragt er zynisch, ob jemand die ordentlich geschminkten Gesichter von Pussy Riot gesehen hätte, als sie aus der Haft entlassen wurden: „Gebt mir die Adresse des Gefängnisses, wo ich doch gerade versuche, einen ruhigen Ort zu finden, um wieder zu Kräften zu kommen.“ Warum die Frauenband verhaftet wurde, darauf geht er nicht ein.

Schon als Kind hat er sich russisch gefühlt

Umso findiger ist Depardieu, wenn es darum geht, die Hintergründe seiner Steuerflucht zu erläutern. Er wolle nicht für ein Land bezahlen, dass ihm nicht mal die Ausbildung finanziert hätte. Schon als Kind habe er sich russisch gefühlt. Der Satz aus den Memoiren eines russischen Pilgers „Ich liebe euch, ich liebe das Leben“ schenke ihm Ruhe, könne ihn aber nicht von der Angst vor seinen eigenen Körpergeräuschen befreien: „Es wurde nach und nach zur Phobie, so dass ich mich betrinken muss, wenn ich allein in einem Hotelzimmer bin, um meine eigenen Geräusche nicht mehr zu hören und nicht verrückt zu werden.“ Spannend zu lesen ist die Biografie allemal, dass dem Mann Eloquenz fehlt, dürfte den Verkauf fördern. Depardieu schreibt knapp, brutal direkt und des Öfteren vulgär. Er beschimpft einen ehemaligen Klassenkameraden als „Arschloch" und erzählt von den „vielen Muschis", die er am Strand bewunderte.

Das Konstrukt Familie verabscheut er

Die Memoiren sollen wohl auch ein bisschen schockieren, obwohl der Leser wahrscheinlich gar nichts anderes erwartet. Überraschend ist eher, dass er auch vergleichsweise zahme Erfahrungen wie die erste Liebe, Freundschaft, Hochzeit und Kinder erzählt. Über solche Themen zu schreiben, fällt Depardieu merkbar schwer: Das Konstrukt Familie verabscheut er, sieht sich doch durch sie seiner Freiheit beraubt. Die Liebe beschreibt er als einen schmerzhaften Rausch. Besonders gründlich reflektiert er seine Rolle als Vater. „Ich hätte ihn schützen müssen“, schreibt er über seinen Sohn Guillaume, der als Jugendlicher in die Drogenszene abtauchte und mit 37 Jahren an einer Lungenentzündung starb.

Depardieu wirkt oft hilflos, dann wieder hart. Er offenbart die heikelsten Erlebnisse ohne Scheu oder Scham, mal emotional, mal gefühlsneutral. Obwohl es für ihn schwierig ist, sich selbst zu akzeptieren, geht er bemerkenswert stolz seinen eigenwilligen Weg.

Gérard Depardieu: „Es hat sich so ergeben“. In Zusammenarbeit mit Lionel Duroy, Aus dem Französischen von Véronique Grosjean. Eulenspiegel Verlag/Das neue Berlin, Berlin 2015, 176 Seiten, 19.99 Euro.

Marie Stumpf

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