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Panorama: Das traurige Genie

Er gilt als wichtigster Designer des 20. Jahrhunderts – heute wird Yves Saint Laurent 70 Jahre alt

Superlative sind in der Mode vergänglich. Oft halten sie nur eine Saison. Ob das nun der junge Designer ist, der die Weiblichkeit neu erfindet, die Tasche, die alle haben müssen, oder der Turnschuh, der einfach überall getragen wird.

Aber eine Gewissheit in der Modewelt gibt es doch: Yves Saint Laurent ist der wohl wichtigste Modeschöpfer des 20. Jahrhunderts. Er ist derjenige, der am meisten für die moderne Kleidung der Frau getan hat. Natürlich gibt es da noch Kolleginnen und Kollegen wie Coco Chanel, die mit ihren Bouclé-Kostümen und dem kleinen Schwarzen für die Befreiung der Frau vom einengenden Korsett sorgte, oder der spanische Designer Cristóbal Balenciaga, der die Silhouette der Frauenkleidung neu definierte.

Aber niemand hat es geschafft, sich immer wieder neu zu erfinden, mit so vielen Regeln zu brechen, wie es der in Algerien geborene Saint Laurent 40 Jahre lang tat. Schon seine erste Kollektion für das Pariser Modehaus Dior, dessen Chefdesigner er mit nur 21 Jahren nach dem plötzlichen Tod von Christian Dior 1958 wurde, war eine kleine Revolution. Mit der Linie „Trapez“ würdigte er die Pracht und den Überfluss seines Vorgängers, aber ließ die alltagsuntauglichen Wattierungen und Versteifungen an Taille, Brust und Schultern weg und veränderte damit die Linien für immer. „Alle weinten“, schrieb die Moderedakteurin der „International Herald Tribune“. Dass der schüchterne „Prinz von Dior“, wie er fortan genannt wurde, seinem späteren Lebens- und Geschäftspartner Pierre Bergé auf der Beerdigung Christian Diors zum ersten Mal begegnete, passt in die Lebensgeschichte des traurigen Genies. Pierre Bergé beschrieb Yves Saint Laurent einmal als einen „Menschen von außergewöhnlicher Intelligenz, der das Handwerk eines Schwachsinnigen ausübt.“

Seine Schüchternheit, gepaart mit schweren Depressionen und einer immer wiederkehrenden Alkoholsucht, überschattete seinen festen Glauben, dass ihn sein Können zweifellos berühmt machen würde. Und hätte er nicht Bergé an seiner Seite gehabt, der 1961 das Geld für ein eigenes Modehaus aufbrachte und unerschütterlich bis heute zu seinem hochtalentierten Gefährten hält, wäre der Name Yves Saint Laurent nicht zum Synonym für französischen Geschmack und Pariser Eleganz geworden.

Die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er Jahre gaben dem sensiblen Designer immer wieder die Möglichkeit, sich mit seinen provozierenden Entwürfen in der Modewelt zu etablieren. Mit seiner Mondrian-Kollektion brachte er die Kunst auf die Kleider und 1962 schickte er Models nur in transparenten Chiffonblusen, durch die blanke Brüste schimmerten, über den Laufsteg. Er war der Erste, der das tat. Vier Jahre später stellte Saint Laurent seinen ersten Smoking für die Frau vor, der von da an im Mittelpunkt seines Schaffens stand. Mit seiner ersten Rive-Gauche-Boutique, die er 1966 in Paris nur für Kleidung von der Stange eröffnete, ebnete er der bezahlbaren Designermode jenseits der handgefertigten Haute Couture den Weg.

Und auch sich selbst stilisierte er zur Provokation: Für die Werbekampagne seines ersten Herrendufts ließ er sich nackt fotografieren, „weil ich für einen Skandal sorgen will“, erklärte er sein Anliegen dem zögernden Fotografen.

Heute scheint es merkwürdig, dass man in den 70er Jahren sogar mit der Kombination von Farben wie Schwarz und Braun oder Orange und Rosa für Aufsehen sorgen konnte – damals wurde darüber auf der ersten Seite der „New York Times“ berichtet.

Aber der Reigen konnte nicht ewig weitergehen: Irgendwann Ende der 80er wurde über seinen gesundheitlichen Zustand, seinen rapiden Verfall mehr geschrieben als über seine neueste Mode. Die hocheleganten Couture-Kollektionen wirkten spätestens in den 90er Jahren seltsam aus der Zeit gefallen.

Nur zwei Jahre nach Anbruch des neuen Jahrtausends hörte Yves Saint Laurent auf, Kleider zu entwerfen. Pierre Bergé verkaufte die Marke an den italienischen Modekonzern Gucci und schloss das Pariser Haute-Couture-Haus für immer. Statt des geplagten Künstlers übernahm der Texaner Tom Ford die Leitung der Prêt-à-Porter-Linie und damit der Prototyp des modernen Designers: Straffes Marketing und die richtige Zusammenstellung einzelner Outfits ist ihm wichtiger als das Kreieren eines neuen Stils.

Pläne für den Ruhestand hatte Yves Saint Laurent genug: endlich malen, endlich all die Lebenserinnerungen zusammentragen und veröffentlichen. Eine kulturelle Stiftung für die 5000 Kleidungsstücke und die 15 000 HauteCouture-Accessoires in seinem Archiv gründete er. Und vor allem: Endlich konnte er sich ganz zurückziehen, kein Blitzlichtgewitter, keine Öffentlichkeit störte ihn mehr.

Nach seiner letzten Schau im Januar 2002, einer Retrospektive seiner 300 schönsten Entwürfe, gab es Tränen wie nach seiner ersten Kollektion 44 Jahre zuvor: Treue Weggefährten wie die Schauspielerin Catherine Deneuve und Danielle Mitterand, die Gattin des verstorbenen französischen Staatspräsidenten, und viele seiner Kollegen wie Sonia Rykiel, Hubert de Givenchy und Jean-Paul Gaultier applaudierten 15 Minuten lang dem scheidenden Altmeister: Sie alle wussten in diesem Moment – ein so wegweisendes Modegenie wie ihn wird es wohl nicht noch einmal geben.

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