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Panorama: Beifall für den „Ehrenmord“: Lehrer sind nicht überrascht

Pädagogen und Fachleute diskutieren über Ursachen und Konsequenzen. „Schluss mit kulturellen Rabatten“, fordert Barbara John

Der Beifall von Schülern der Thomas-Morus-Hauptschule zu dem „Ehrenmord“ an der 23-jährigen Hatun Sürücü hat unter Pädagogen wenig Verwunderung ausgelöst. Viele Schulleiter erinnern sich an ähnlich schockierende Reaktionen unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als arabische Schüler Freudentänze aufgeführt haben.

Auch was vermeintlich „unmoralische Frauen“ angeht, sind die Lehrer Schlimmes gewöhnt: Als der Film „Gegen die Wand“ herauskam, hätten muslimische Schüler geäußert, man müsse die Hauptdarstellerin umbringen, weil sie eine „Hure“ sei, berichtet der Leiter einer Neuköllner Oberschule: Diese Denkweise sei „latent in den Köpfen“.

Die Soziologin Necla Kelek, selbst Deutsch-Türkin, hat in den vergangenen Jahren mit vielen muslimischen Schülern in Berlin gesprochen hat. Sie ist überzeugt, dass viele von ihnen, gerade die Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten, Verständnis für die Ermordung von Hatun Sürücü aufbringen. Schuld daran sei die zunehmende Islamisierung der Familien. „Je weniger gebildet die Familien sind, umso rigider wird der Islam ausgelegt“, sagt Kelek. In diesem Denksystem stünden Allah und die Scharia über allem. Väter und Söhne seien Allahs Stellvertreter in der Familie, die Töchter die Ehre der Familie. Wer sich nicht an dieses System halte, könne ohne weiteres bestraft werden. Die Imame in den Moscheen zeigten nicht deutlich genug Alternativen auf.

Dagegen glaubt der Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening, dass die Äußerungen der Neuköllner Schüler „Einzelfälle und nicht die Normalität“ seien. Auf jeden Fall dürften die Lehrer die Verrohung der Umgangsformen nicht tatenlos hinnehmen.

Eren Ünsal, Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, geht davon aus, dass Jugendliche, die sich derart martialisch äußern, in erster Linie provozieren wollen. „Sie kehren den Macker heraus, um auf sich aufmerksam zu machen.“ Oft seien das die Schüler mit den geringsten beruflichen Perspektiven: „Gerade die Unvermittelbaren suchen Halt in vermeintlich traditionellen Wertekonzepten.“ Sie seien auch besonders gefährdet durch die Einflüsse islamisch-fundamentalistischer Organisationen oder rutschten in die Kriminalität ab.

Ünsal rät Schulen mit „Risiko-Schülern“, in Workshops Themen wie „Ehrenmorde“ anzugehen. Sie hat selbst Workshops zur Toleranz abgehalten und die Erfahrung gemacht, dass man damit einiges bewirken kann. Unbedingt müsse man mit den Eltern sprechen, die wie Imame und Gleichaltrige mitverantwortlich dafür seien, dass die Schüler sich in derartige Denkweisen hineinsteigerten.

Die Islamische Föderation, die in 37 Grundschulen Islamkunde unterrichtet, sah in den vergangenen Tagen keinen Anlass, das Thema „Ehrenmorde“ und was die Schüler darüber denken, im Unterricht anzuschneiden. „Das ist zu aktuell“, sagt Burhan Kesici, Vorstandsmitglied der Föderation, „das muss man sehr gut vorbereiten.“ Man konzipiere aber gerade eine Unterrichtsreihe dazu. Gezielt Workshops zum Toleranztraining in den Schulen anzubieten, hält auch die ehemalige Ausländerbeauftragte Barbara John für einen richtigen Weg. Darüber hinaus müssten Lehrer den Schülern das Gefühl geben, sich ihnen anvertrauen zu können. Andernfalls seien die Jugendlichen vollkommen dem Druck ihrer Familie ausgesetzt. Auch die drei Brüder, die jetzt verdächtigt werden, ihre Schwester Hatun umgebracht zu haben, seien möglicherweise jahrelang unter „gewaltigen Druck“ gesetzt worden, vermutet John.

Die „Ehrenmörder“ sollten nicht wegen Totschlags, sondern wegen Mordes verurteilt werden: „Hier werden fälschlicherweise kulturelle Rabatte gegeben“, bedauert John. Man ermutige die Jugendlichen, wenn sie wüssten, dass sie nach zehn oder 15 Jahren wieder in Freiheit seien. Außerdem findet sie es unakzeptabel, dass es bei Ehrenmorden keine Prozesse wegen Anstiftung zum Mord gibt. So werde das Unrechtbewusstsein nicht richtig geweckt. „Wenn Schüler Selbstjustiz gutheißen, ist das sehr beunruhigend, aber kein Problem der Religion, sondern eines der Bildung“, glaubt Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrates, der 32 muslimische Verbände vertritt.

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