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Panorama: Aufklärer der Nation

Der Autor Oswalt Kolle ist im Alter von 81 Jahren gestorben – Filme wie „Dein Mann, das unbekannte Wesen“ machten ihn berühmt

Auf seiner Hochzeitsreise im Jahr 1953 hatte er den Trauschein vergessen. Unter diesen Umständen waren im Hotel nur getrennte Schlafzimmer drin, erster Stock für ihn, vierter Stock für seine Frau. Später wurde er zum erbitterten Kämpfer gegen eine kleinbürgerliche, von Verboten und Ängsten dominierte Sexualmoral. Vor wenigen Tagen ist der Journalist und Filmemacher Oswalt Kolle in Amsterdam gestorben. Heute wäre er 82 geworden – der Mann, der sich als Volksaufklärer verstand, und dem doch über Jahrzehnte das Etikett „Sex-Papst“ anhaftete.

Als ganz junger Mann hatte er für seinen Vater, einen Psychiatrie-Professor, den ersten Kinsey-Report ins Deutsche übertragen. „Beim Übersetzen hatte ich diesen sogenannten ,Kinsey-Effekt’ verspürt, der später als ,Kolle-Effekt’ bezeichnet wurde“, schreibt er in seiner Autobiografie, die er pünktlich zu seinem 80. Geburtstag vor zwei Jahren unter dem Titel „Ich bin so frei“ veröffentlicht hatte. Für Kolle war es ein Gefühl der Befreiung, unbefangen über die Freuden der Sexualität zu schreiben – auch der Bisexualität, zu der er sich ausdrücklich bekannte. Er tat es zunächst in einer Serie für die Berliner „BZ“, in der er ein fiktives junges Paar die Skrupel und Gefühlsverwirrungen erleben ließ, die mit der aufflammenden Begierde Mitte der 50er Jahre einhergingen.

Berühmt aber wurde er durch die Filme: 1968 kam „Das Wunder der Liebe“ heraus, von den einen als Pornografie verschrien, von den anderen als gute Aufklärung gelobt, und wegen der wissenschaftlichen Einschübe für den heutigen Betrachter an manchen Stellen nicht ganz ohne Komik. Ein Jahr später folgte „Deine Frau – das unbekannte Wesen“.

„Mein Ziel war es, die Liebe der Männer zu erotisieren und die Liebe der Frauen zu sexualisieren“, sagte Kolle im Rückblick. Dafür wurde er erbittert bekämpft, nicht nur von der katholischen Kirche. In Frankreich soll de Gaulle den ersten Kolle-Film eigenhändig mit der Nagelschere zerschnitten haben. Doch es gab auch Ehrungen wie die Magnus-Hirschfeld-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, die Kolle im Jahr 2000 entgegennahm.

Er kämpfte weiter, in seinem Spätwerk „Liebe altert nicht“ bricht er mit einem weiteren Tabu. Ein Dreißigjähriger habe ihn auf einem Kongress gefragt, ob Siebzigjährige wirklich noch Viagra nehmen müssten, die hätten doch schon so viel Schönes erlebt. Da kam er bei Oswalt Kolle an den Falschen: „Ich habe geantwortet: Okay, gehen Sie zu Ihrem Großvater und sagen Sie ihm: Du brauchst keine Brille mehr, Du hast genug gesehen!“

Aber auch um die jungen Leute und ihr Verhältnis zum Sex machte der Aufklärer sich bis zuletzt Gedanken. „Man darf junge Leute nicht dem Internet überlassen und ihnen das Gefühl geben, das, was ihr dort seht, ist Sexualität. Das bekümmert mich!“ Aktuelle Studien geben Kolle recht. Seine Denk-Anstöße werden weiter gebraucht – und werden ihn hoffentlich überleben.

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