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Das Amtsdeutsch wurde schon im 18. Jahrhundert kritisiert.

© imago/fossiphoto

Amtsdeutsch: Die Sprache der Finanzämter soll verständlicher werden

Fachbegriffe, Fremdwörter und lange Sätze: Die meisten Bürger haben Probleme mit Behördendeutsch. Nun ergreift NRW beim Finanzministertreffen in Goslar die Initiative, um die Fachsprache zu vereinfachen.

„Lichtbild“ statt „Foto“. „Abschrift“ statt „Kopie“. „Rechtsbehelfsbelehrung“ statt „Ihre Rechte“. Die Ausdrucksweise von Behörden gilt als unverständlich für den Normalbürger und als unnötig kompliziert – und das schon seit sehr langer Zeit. Bereits im 18. Jahrhundert gab es Kritik an komplizierten Fachausdrücken, Fremdwörtern und überlangen Sätzen im Amtsdeutsch, wie die Sprachwissenschaftlerin Michaela Blaha in einer 2017 erschienenen Analyse für die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt.

Das soll nun alles anders werden, zumindest wenn es nach Nordrhein-Westfalens geht. Auf Initiative der Regierung in Düsseldorf beschäftigen sich die Finanzminister der Länder bei ihrer Jahreskonferenz am 24. und 25. Mai in Goslar mit dem Thema „Bürgerfreundliche Sprache in der Finanzverwaltung“.

In NRW seien in den vergangenen Monaten 600 Vordrucke überarbeitet worden, um sie lesbarer zu machen, sagt Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU). Das Bundesland hat auch die Federführung bei der Ausarbeitung von Vorgaben, um den Einkommenssteuerbescheid bis 2019 neu zu gestalten. „Ein Großteil der in der Finanzverwaltung verwendeten Vordrucke sind allerdings Bundesvordrucke, die Nordrhein-Westfalen nicht im Alleingang ändern kann“, sagt Lienenkämper. Nun brauche es die Finanzministerkonferenz.

Reformen bei der Amtssprache sind dringend nötig. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2008, durchgeführt vom Institut für Demoskopie in Allensbach im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache. Dabei gaben „insgesamt 86 Prozent der Befragten zu, Schwierigkeiten beim Lesen der Schreiben von Ämtern, Behörden, Gerichten oder Anwaltskanzleien zu haben“.

Das hätte nichts mit der Schulbildung zu tun – auch 81 Prozent der Befragten mit Abitur oder Studium hätten ihre Schwierigkeiten. Problematisch seien – wie schon im 18. Jahrhundert – lange Sätze, Fremdwörter, Fachbegriffe und abgehobener oder unhöflicher Ton.

Die Sprache beschäftigt auch den Bund der Steuerzahler. „Es gibt immer wieder Bemühungen um eine verständlichere Sprache, aber in der Praxis klappt das leider nicht so leicht“, sagt Mitarbeiterin Isabel Klocke. In einer Broschüre macht der Steuerzahlerbund Vorschläge zur Vereinfachung.

Was tun, wenn man den Bescheid nicht versteht?

Viele Bürger seien verunsichert, wenn das Finanzamt „Anhörung“ statt „Stellungnahme“ schreibe, weil sie „Anhörung“ innerlich mit dem Wort „Verhör“ verbinden. Auch könnte es statt „Fälligkeit“ einfach „Zahlungszeitpunkt“ heißen. Statt „Vorbehalt der Nachprüfung“ wäre die Erläuterung „eine spätere Überprüfung des Steuerbescheids ist möglich“ verständlicher.

Expertin Blaha führt die Probleme mit dem Amtsdeutsch auf das Selbstverständnis der Beamten und die Geschichte zurück. Verwaltungsmitarbeiter waren früher Repräsentanten der Landesfürsten. Diese wichtige Rolle erfordere gehobene Sprache, so die Vorstellung. Außerdem soll der Bürger wissen, dass die Verwaltung über ihm stehe. Und: Verwaltungssprache war bis ins 17. Jahrhundert Latein und nur den Gebildeten verständlich.
Warum kommt es gerade in der Verwaltung auf Sprache an?

Blaha erklärt das so: Es handelt sich nicht um eine Fachsprache, die unter Experten benutzt wird. Die Verwaltung kommuniziert direkt mit dem Bürger, erlaubt, verlangt oder verbietet. Darum müssen die Bescheide verständlich sein – vor allem wenn in Rechte eingegriffen wird. Dann muss der Bescheid eine Begründung enthalten. Ist die unverständlich, kann der Bescheid für rechtswidrig erklärt werden.
Oft findet sich juristischer Fachsprech in Verwaltungstexten.

Das rührt daher, dass die Beamten einfach den Gesetzestext abschreiben. „Statt auf sprachliche Transparenz zu achten, ist die Behörde also vielmehr darauf bedacht, ,juristisch wasserdicht‘ zu formulieren, um sich rechtlich abzusichern“, schreibt Blaha. Wenn man einen Bescheid auch beim wiederholten Lesen nicht versteht, rät die Sprachexpertin, bei der Behörde nachzufragen – telefonisch oder schriftlich. Bleiben dann noch Unklarheiten könne eine Reaktion des Chefs der jeweiligen Behörde verlangt werden.

Als Vorbild verweist Michaela Blaha auf Schweden, wo auf Regierungsebene ein Stab mit mehreren hundert Fachleuten Behördenangestellten beim verständlichen Formulieren hilft. In der Folge weiche in Schweden die Behördensprache kaum noch von der Standardsprache ab. Deutschland zähle hierbei im europäischen und im weltweiten Vergleich zu den Schlusslichtern.

Dass die Finanzministerkonferenz eine Reform Bereich anstößt, wäre eine „schöne Überraschung“, sagt sie. Nach mehr als 20 Jahren Arbeit auf dem Gebiet sei sie aber „nicht sehr optimistisch“. Selbst wenn sich das Behördendeutsch nicht bessert – für Lacher sorgt es allemal. So veröffentlichte der Schriftsteller Hans Bayer 1953 unter dem Pseudonym Thaddäus Troll das Märchen „Rotkäppchen“ mal ganz anders. Das Mädchen ist darin eine „unbeschulte Minderjährige“, die der Großmutter eine „Sendung von Nahrungs- und Genussmitteln zu Genesungszwecken“ bringt.

Hätten die Brüder Grimm so geschrieben, würde die Geschichte heute wohl niemand kennen. (mit dpa)

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