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Fünf Meter ist der Spalt am Hochvogel inzwischen breit.

© Johannes Leinauer

Allgäuer Hochvogel: Wenn die Alpen auseinanderbrechen

Ein Riss im Allgäuer Hochvogel wird immer größer. 260.000 Kubikmeter Gestein könnten hinabstürzen. Forscher versuchen, den Zeitpunkt vorherzusagen.

Seit Jahrtausenden ragt er über die Täler, mit seinen 2592 Metern wirkt er unerschütterlich. Der Hochvogel liegt genau auf der Grenze zwischen Deutschland und Österreich. Er gilt als markantester Berg der Allgäuer Alpen. Doch seine massive Gestalt täuscht: Der riesige Fels ist höchst zerbrechlich. Ein Spalt am Gipfel wird von Tag zu Tag größer – jederzeit kann der Hochvogel auseinanderfallen.

Das kann Michael Krautblatter nicht verhindern. Aber er will vorhersagen, wann es so weit ist. Der Professor für Hangbewegungen an der Technischen Universität München misst jeden Millimeter, den sich der Hochvogel bewegt. Dafür hat er in diesem Sommer zehn Geräte am Gipfel befestigt, die die Größe des Risses im Ein-Minuten-Takt per Funk nach München schicken.

Mittlerweile sei der Spalt fünf Meter breit, erklärt Krautblatter. Allein in den vergangenen vier Jahren habe er eine Öffnung von 30 Zentimetern gemessen. Pro Woche dehne sich der Riss um bis zu einem Millimeter aus. „Am Hochvogel ist dauernd was los“, sagt der Experte. Wenn die Werte außergewöhnlich stark steigen sollten, rücke ein Bruch des Gipfels näher. „Das wird ein Riesenfelssturz“, fürchtet Krautblatter, „es wird unglaublich laut und wahnsinnig staubig.“ 260000 Kubikmeter Gestein könnten auf der südlichen Seite des Hochvogels ins österreichische Tal fallen.

Wanderer in Lebensgefahr

Das Geröll würde keine bewohnten Dörfer treffen. Doch Wanderer seien in Lebensgefahr, wenn sie den südlichen Weg zum Gipfel hinaufstiegen. Zwar warnen Schilder des Deutschen Alpenvereins seit 2014 vor einem Felssturz, „aber die Leute haben sich an die Hinweise gewöhnt und erkennen die Gefahr nicht“, ärgert sich Krautblatter. Das kann schlimme Folgen haben: Im August 2017 starben acht Wanderer am Piz Cengalo durch Geröllmassen, die an der Schweizer Seite des Berges herunterstürzten.

Der Hochvogel an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich.
Der Hochvogel an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich.

© Tagesspiegel

Wie kann es sein, dass ein so riesiger Berg zerbricht? Für die Ursache muss man weit zurückblicken. „Die Eiszeit hat ein Relief hinterlassen, das eigentlich zu steil war, um die Spannungen am Berg auszuhalten“, erklärt Krautblatter. Die Bewegungen des Berges seien „ein natürlicher Prozess“. Umweltfaktoren wie Starkregen begünstigten das Auseinanderdriften der Felsspalte. Man spricht von Starkregen, wenn in kurzer Zeit eine große Menge an Regen fällt. Meteorologen sind sich einig, dass die Frequenz von Starkregen durch den Klimawandel deutlich zugenommen habe.

Jeder Millimeter, den sich der Hochvogel bewegt, wird gemessen.
Jeder Millimeter, den sich der Hochvogel bewegt, wird gemessen.

© Johannes Leinauer

„Der Trigger für den letzten Schuss, den Absturz, kann ein Starkregen sein“, schätzt Krautblatter. Er hofft, den großen Knall zwei bis drei Tage zuvor ankündigen zu können. Eine Ausdehnung von einem Zentimeter innerhalb eines Tages könnte das entscheidende Zeichen sein. Zu jeder Zeit überwacht ein Mitarbeiter aus dem Projektteam „AlpSense“ die Daten – auch am Wochenende. Der Felsabbruch sei schließlich immer möglich. Besonders wahrscheinlich sei er im kommenden Jahr, so die Prognose. Wichtig ist Michael Krautblatter, dass zu dem Zeitpunkt keine Menschen auf dem Berg sind. Über Wanderwege auf der Nordseite steigen nämlich bis zu 200 Bergsteiger am Tag auf den Hochvogel. „Die würden sich sehr erschrecken“, sagt der Professor.

Margrit und Walter Schmid sehen dem Absturz des Gipfels entspannt entgegen. Dem Ehepaar gehört das „Giebelhaus“, eine kleine Hütte an der nördlichen, der sicheren Seite des Hochvogels. „Wir merken davon nichts. Leider Gottes betrifft das eher die Österreicher“, sagt Walter Schmid. Er werde auch im kommenden Jahr Forellen und Ochsenbraten für Wanderer servieren – unabhängig davon, ob der Gipfel noch ganz ist.

Keine Angst vor fallendem Geröll

Auf der südlichen, der österreichischen Seite leben 91 Einwohner im Dorf Hinterhornbach, das besonders nah am Gipfel liegt. Auch sie haben keine Angst, weil das fallende Geröll ihren Ort nicht treffen soll. Kathrin Friedle-Meneder, Chefin von einem der zwei Gasthöfe in Hinterhornbach, hat sich an den drohenden Absturz des Gipfels gewöhnt. „Mal schauen, wann es so weit ist. Wir werden es ja mitbekommen“, sagt die Gastwirtin dem Tagesspiegel, „aber natürlich wäre es schön, wenn es schon passiert wäre.“

Sollte der Gipfel des Hochvogels abbrechen, warten weitere Berge auf Krautblatter und sein Team, das derzeit vom bayrischen Wirtschaftsministerium gefördert wird. Die Forscher analysieren neben dem Hochvogel auch Bewegungen der Zugspitze, am Kitzsteinhorn und im Ötztal (Österreich). „Innerhalb von einer Woche können wir das System auf einem anderen Berg anbringen“, sagt Krautblatter. Er will in Zukunft anderen Ländern bei der Installation der Messgeräte helfen.

Noch ruht der Berg. Aber wenn sich der Spalt ein paar Zentimeter weiter ausdehnt, könnte sich das ganz schnell ändern.

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