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Schon beim Einstellen der Spiegel gibt es bei manchen erste Fehler.

© DPA

Aktion "Fit im Auto": Elchtest für Senioren

Einfädeln, Schulterblick, Vollbremsung – alles kein Problem, denken viele ältere Autofahrer. Ein Selbstversuch 42 Jahre nach der Führerscheinprüfung.

„Ganz ruhig“, sagt der Fahrlehrer neben mir. „Jetzt stellen Sie erst mal den Sitz und die Spiegel ein.“ Das klappt noch ohne Herzklopfen. Beim Einlegen des ersten Ganges setzt aber prompt eine gewisse Nervosität ein. Bloß nichts anmerken lassen, denke ich. Das Einfädeln auf die Fahrbahn geht einigermaßen reibungslos vonstatten, etwas entspannter lasse ich den Wagen rollen. Offenbar zu entspannt. „30“, brummt Helmut Gasterich vom Beifahrersitz und zeigt auf das Tempo-Schild vor der Schule am Maschsee in Hannover. „Mist“, fluche ich in mich hinein, der erste grobe Schnitzer.

Prüfungsstress? Ganz schön anstrengend, diese freiwillige Neuauflage einer Fahrschulfahrt – 42 Jahre, nachdem ich meinen Führerschein erworben habe. Unfallfrei seitdem, ohne Fahrverbot, ohne Punkte, nur ab und zu mal ein Bußgeld. Ein guter, sicherer Fahrer nach eigener Einschätzung. Dass Frau und Freunde manchmal meckern – geschenkt, ich kenne mich schließlich besser.

Nun aber sitzt ein echter Experte neben mir. Die halbstündige Testtour von Hannover in den Vorort Ronnenberg gehört zum Programm des Senioren-Seminars „Fit im Auto“, zu dem ich mich gemeinsam mit zehn älteren Herrschaften im Alter zwischen 65 und 79 Jahren angemeldet habe. Auf Autoritätspersonen hört man mehr als auf Partner, Kinder oder Enkel, das ist die Idee dahinter.

Andere Länder haben vorgeschriebene Fahrtests

Und auch mich lässt die sachliche Kritik des pensionierten Fahrlehrers nicht kalt. Blinker bei der abbiegenden Vorfahrt vergessen, zu spät hoch-, zu früh runtergeschaltet. Vor allem aber: „In der Tempo-30- Zone hat es ja ganz schön in Ihren Beinen gejuckt“, analysiert Gasterich völlig zurecht meine Ungeduld.

Im Gegensatz zu Frankreich, Dänemark oder Italien schreibt Deutschland bislang keine regelmäßigen Fahrtests ab einem bestimmten Alter vor. Dabei gelten über 75-Jährige neben den Fahrern von 18 bis 21 statistisch gesehen inzwischen als Hochrisikogruppe. Bei 75 Prozent der Unfälle, an denen sie beteiligt sind, tragen sie die Hauptschuld. Und in Zukunft wird es immer mehr ältere Autofahrer geben.

Längst sind auch hierzulande Zwangskontrollen im Gespräch. „Fit im Auto“, das 2015 von der Landesverkehrswacht Niedersachsens entwickelte Programm, will das Fahren für Senioren sicherer machen, auf freiwilliger Basis und für 30 Euro. Städte und Landkreise sowie Verkehrswacht und Sponsoren subventionieren die Seminare, an denen landesweit jährlich 1800 Personen teilnehmen – Tendenz steigend.

So wie die beiden Damen, die vor mir dran sind – und die es härter trifft. „Sie müssen an Ihrer Geschwindigkeit schrauben“, bekommt zunächst die recht flott fahrende 79-jährige Hannoveranerin als Ansage. Die ihr folgende 66-Jährige bewertet ihre Vorstellung selbst als „eigentlich ganz gut“.

Die 66-Jährige wäre durch die Prüfung gefallen

Mehrere „katastrophale Fehler“, die bei einer echten Prüfungsfahrt sofort zum Abbruch geführt hätten, konstatiert dagegen der Fachmann: plötzlicher Spurwechsel ohne Absicherung im Kreuzungsbereich, Rechts vor Links missachtet, diverse Tempoverstöße. „Fahren Sie bitte viel ruhiger und konzentrierter“, rät der Fahrlehrer eindringlich. Nach anfänglichem Widerspruch beginnt die Frau zu grübeln. „Ich werde jetzt mein Fahrverhalten ändern“, verspricht sie beim Aussteigen.

Konsequenzen müssen die Teilnehmer des freiwilligen Trainingsprogramms nicht befürchten. „Den Führerschein will Ihnen hier keiner wegnehmen“, sagst Polizeihauptkommissar Karsten Schröder (55) gleich zu Beginn in seiner theoretischen Einführung über Unfallrisiken, Reaktionszeiten und Bremswege. „Diese Fortbildung muss Spaß machen, sonst ergibt es keinen Sinn.“

Um Selbstreflexion und Tipps gehe es, weniger um Regelkunde. Schröder stellt Erfahrung und Routine älterer Autofahrer deren möglichen Defiziten gegenüber. Das löst in der Runde eine muntere und mitunter sehr ehrliche Diskussion über die eigenen Probleme aus, etwa bei Dunkelheit, auf der Autobahn oder nach der Einnahme von Medikamenten.

Den Spaß gibt es draußen auf dem Parkplatz der Feuerwehrtechnischen Zentrale in Ronnenberg. Seminarleiter Claus Kunath, ein ehemaliger Polizist, hat mit roten Pylonen einen kleinen Übungsparcours aufgebaut. Bevor die Teilnehmer dort den ersten Meter mit ihren eigenen Fahrzeugen absolvieren, erklärt der 62-Jährige das korrekte Anlegen des Gurtes und die richtige Fahrerposition. „Bequem kann ich zuhause auf dem Sofa sitzen, im Auto muss ich sicher sitzen.“

Eine richtige Vollbremsung will gelernt sein

Dann bittet Kunath zum Bremsen, zum echten Bremsen, bis das Bitumen qualmt. „Was Sie am Anfang nicht voll reinnageln, holen Sie nie wieder auf“, sagt der Ex-Polizist. Auf Tempo 40 bis 50 beschleunigen, dann auf Kunaths Kommando mit voller Wucht aufs Pedal treten, bis dieses spür- und hörbar klackert. „Im echten Verkehr haben Sie nur einen Versuch. Und der muss passen.“

Wie alle Teilnehmer brauche ich mehrere Anläufe. Aber die Anspannung weicht schnell den Erfolgserlebnissen – auch bei den anderen. „Das hätte ich nie gedacht, dass man so reintreten kann“, freut sich die 66-jährige Skoda-Fahrerin über das ganz neue Brems-Gefühl. „Jetzt bin ich besser gewappnet“, sagt auch die 79-Jährige. Und der 66-jährige kriegt vom Üben gar nicht genug „Darf ich noch mal?“

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