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Der erste Platz.

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Wein aus Bordeaux: Die roten  Riesen

Zum Festtagsbraten darf es eine feine Flasche Wein sein. Bordeaux? Warum nicht. Es gibt ihn zu erschwinglichen Preisen. Die großen Châteaus allerdings werden gehandelt wie Aktien. Ein Report über das legendäre Anbaugebiet – und ein Test.

Wie viel darf eine besondere Flasche Wein kosten: 100 oder 1000 Euro? Oder auch mal 28 750 Dollar? Ein Mouton Rothschild des letzten Kriegsjahres 1945 aus der Bordeaux-Appellation Paulliac wurde vom Auktionshaus Christie’s im September 2010 zu exakt diesem Preis verkauft. Ein anonymer Weinliebhaber ersteigerte zwölf normale und sechs Magnumflaschen (mit doppeltem Inhalt) für fast 700 000 Dollar. Damit war eine neue Bestmarke im Rummel um die Spitzenweine des angesehensten, größten und verrücktesten Qualitätsanbaugebiets der Welt gesetzt.

Bordeaux!

Schon der Name ist ehrfurchtgebietend, klingt nach Lafite, Latour, Pétrus und wie die Spitzenweingüter in Frankreichs Südwesten sonst noch alle heißen. Man sieht im Geiste den US-Präsidenten Thomas Jefferson vor sich, Napoleon und Thomas Mann, wie sie den berühmten Roten aus funkelnden Gläsern trinken. Man spürt dieses eigentümliche Gefühl, das jeden Käufer ergreift, der eine Holzkiste mit dem eingebrannten Namen eines Bordeaux-Châteaus aus der Weinhandlung trägt.

Keine andere Region auf dem Planeten Wein hat ihr Image über Jahrzehnte so hochgehalten. Obwohl Weinjournalisten immer neue Kultweine in allen möglichen Anbaugebieten erschaffen, obwohl Habgier und Überteuerung gerade im Bordeaux ein exorbitantes Niveau erreichen, glänzt der Lack am Mercedes der Weine immer noch verführerisch. Längst werden nicht nur für alte, sondern auch für junge Bordeauxweine schwindelerregende Preise bezahlt. Sie gehören zu den gesuchtesten Weinen der Welt. Vom hoch gehypten Jahrgang 2009 kostete die erste Tranche eines Lafite-Rothschild freche 550 Euro die Flasche.

Woher kommt diese Sonderstellung der Region? Warum kann sie sich im knallharten Konkurrenzkampf um Marktanteile, Preise und Renommee so souverän behaupten?

Es hat vor allem historische Gründe. Bordeaux war Handelszentrum, es besaß nicht nur den zweitwichtigsten Sklavenhafen Europas, sondern einen der wichtigsten Häfen überhaupt. 300 Jahre Zugehörigkeit zur englischen Krone zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert sorgten für exzellente Handelsbeziehungen zu Großbritannien. Auch die Hansestädte und andere Seemächte wurden früh beliefert. Und Bordeaux adelte sich selbst; es bastelte sich mit dem Château (Schloss) als Weingutsitz ein Image, als würde Ihro Durchlaucht persönlich den Korken in die Flasche drücken. Wein aus Bordeaux war schon im 18. Jahrhundert weltberühmt.

Relativ strenge Vorschriften was Erträge, Rebsorten und Anbau betrifft, ließen kaum Experimente zu. Bordeaux blieb immer Bordeaux: dunkel, tanninreich, ausdrucksstark mit gutem Alterungspotenzial, ideal als Essensbegleiter. Allein in Rheinhessen sind 40 Rebsorten zugelassen, im Herzen des Bordelais beschränkte man sich im Wesentlichen auf drei rote Sorten.

Die Preise für Bordeaux lernten spätestens in den 1990er Jahren das Fliegen, als in Asien und Russland neue Käuferschichten auf den Markt kamen. Weil die verfügbare Menge an Wein aber gleich blieb und mit 1991, 1992 und 1993 gleich drei schwache Jahrgänge nacheinander folgten, wurde Spitzen-Bordeaux plötzlich knapp. Die Preise explodierten.

Ende der 1990er Jahre erreichte die Hysterie ihren ersten Höhepunkt. Beim Gastronomen und Weinhändler Fritz Keller im badischen Oberbergen fuhren damals die Kunden mit dem Zwölftonner vor. Sie ließen sich die Preisliste für Bordeaux-Weine geben, arbeiteten sich durch die Seiten und schrieben dicke schwarze Ziffern hinter einzelne Posten. Kellers Empfangsdamen, die die Order ausgehändigt bekamen, veränderten schlagartig die Gesichtsfarbe. Die Herren wollten die teuersten Bordeauxweine auf der Liste komplett abräumen.

Es herrschte Goldgräberstimmung, die Preise für die guten Jahrgänge der großen Châteaus stiegen schneller, als die Händler ihre Listen korrigieren konnten. Jede Auktion brachte neue Rekorde. Der Sturm auf die Prestigeflaschen trieb die Fachjournalisten schnurstracks in den Zoo: „Wie die Hyänen, wie die Heuschrecken, wie die Geier“, so war zu lesen, hätten sich die Käufer auf die Weine gestürzt.

Die Preistreiberei steigerte sich ins Absurde; sie hat sich bis heute nicht mehr richtig beruhigt. Es waren in der Regel keine Weinliebhaber, sondern Spekulanten, die im großen Stil einkauften. Rendite statt Weinkultur. Nicht der Gaumen, sondern das Portemonnaie wird gestreichelt. So ist Bordeaux in den 90er Jahren endgültig zum Anlageobjekt geworden.

Bei Liv-Ex.com kann man das Weinbusiness in seiner extremsten Form besichtigen. Wie die Börsenkurse von Dax und Dow Jones huschen die Notierungen für Spitzenweine übers Laufband: Haut- Brion 2003: 2 700 Dollar, Latour 2009: 9550 Dollar usw. In keinem anderen Weingebiet der Welt hat Dionysos so große Dollarzeichen in den Augen.

Der ideale Wein für Ahnungslose?

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Viele echte Liebhaber widert der Rummel nur noch an: Martin Kössler, streitbarer Weinmaniac vom Nürnberger Weinhaus Kössler & Ulbricht, wettert seit Jahren gegen die ungehemmte Preistreiberei. Die vernünftigen Leute, sagt er, seien längst ausgestiegen. Für Kössler ist klar: „Es gibt keinen Wein auf dieser Welt, der tausend Euro Wert ist.“ Aber den Käufern geht es auch gar nicht um Wein, sondern um den Namen: Das abendliche Glas Pétrus schmeckt nicht nur nach Cassis und Zigarrenkiste, sondern auch nach Luxus und Wohlstand, es gehört längst zu den Insignien der Superreichen. Dass manch einer den Namen des Weinguts lange für eine Benediktinerabtei gehalten hat, spielt schon keine Rolle mehr.

Teurer Bordeaux, sagt Kössler, sei der ideale Wein für Ahnungslose, die sich hinter klingenden Namen verstecken. Was die Kritiker besonders fuchst: Gerade Bordeaux müsste eigentlich preiswert sein. Anders als an der Mosel oder im Duerotal, dem Anbaugebiet des Portweins, wo die Winzer in extremen Steillagen schuften, ist das Anbaugebiet rund um die Flüsse Gironde, Garonne und Dordogne weitgehend platt und leicht zu bewirtschaften. Kein Weinberg, nirgends.

Schon Ende der 80er Jahre waren hier zur Weinlese 1500 Vollerntemaschinen im Einsatz, die die Trauben von den Stöcken schlugen. Kein anderes Anbaugebiet hat den Technikeinsatz so stark vorangetrieben. Darüber wird allerdings selten geredet, um das noble Image nicht zu beschädigen. Schätzungen zum Selbstkostenpreis eines großen Bordeaux beginnen bei 20 Euro. Selbst wenn man kulant zehn Euro zugibt, bleiben bei vielen renommierten Gütern 1000 bis 2000 Prozent Gewinn. Margen wie im Heroinhandel.

Von den Verkaufserfolgen des Bordelais angetrieben, haben viele Anbauregionen der Welt versucht, diese Weine zu kopieren. Sie haben die einschlägigen Rebsorten importiert und die Moste auf ähnliche Weise in kleinen Eichenholzfässern ausgebaut. In Italien, Spanien und den USA gibt es seit Jahrzehnten große Weine aus bordeauxtypischen Rebsorten, etwa den Supertoskaner Sassicaia. Und natürlich werden auch in der Pfalz, in Baden oder Rheinhessen heute tiefdunkle, gerbstoffreiche Blends nach französischem Vorbild produziert. In manchen Vergleichsverkostungen zeigt sich, dass die Kopien oft genauso gut schmecken wie die Originale, doch dem Preisgefüge, dem Absatz und Image des Bordeaux kann dies nichts anhaben. Der vielleicht beste deutsche Wein nach Bordeaux-Vorbild, die großartige „Cuvée X“ vom Pfälzer Weingut Knipser, kostet heute ab Hof 35 Euro und bleibt damit um Potenzen hinter den Spitzenpreisen des Bordelais zurück.

Die drei roten Parade-Rebsorten des großen Anbaugebiets Bordeaux sind Merlot mit 63 Prozent Flächenanteil, Cabernet-Sauvignon (25) und Cabernet-Franc (11). Allerdings besitzen die Topgüter mit Ausnahme der Region Pomerol meist höhere Cabernet-Sauvignon-Anteile. Die übrigen roten Sorten wie Petit Verdot oder Malbec spielen kaum eine Rolle. In der Regel sind Bordeauxweine keine reinsortigen Gewächse, sondern aus zwei oder drei Rebsorten komponiert. Bei 1250 Sonnenstunden im Jahr und 15 bis 20 Hitzetagen über 30 Grad können die Trauben in den meisten Jahren gut ausreifen. Atlantik, Golfstrom und die Klimaveränderung bringen warme Jahresläufe.

Charakteristisch für Bordeaux sind die strammen Tannine (Gerbstoffe). Vor allem der dickschalige, spät reifende Cabernet-Sauvignon liefert reichlich tannin-herben Geschmack, vermählt mit den typischen Aromen schwarzer Johannisbeere. Junger Bordeaux schmeckt immer etwas rau, die Tannine sind abweisend, manchmal sogar beißend. Gerbstoff und Alkohol konservieren die Weine, mit zunehmendem Alter werden sie weicher, entwickeln neue, komplexe Aromen.

Dies trifft allerdings nur auf echte Spitzenweine zu. Was beim klingenden Namen Bordeaux gern vergessen wird: Die Region produziert zwischen 700 und 900 Millionen Flaschen. Bordeaux – das sind nicht nur die großen berühmten Châteaus, auch einfache rustikale Schoppen für vier, fünf Euro sonnen sich unter dem angesehenen Namen. Es gibt billigen Fasswein, viele anständige Gewächse im mittleren Preissegment, dazu aber auch Weißweine und Süßweine wie die berühmten Sauternes. Bordeaux deckt mit seinen 60 einzelnen Unter-Weingebieten (Appellationen) alle Preisklassen und Qualitäten ab. Weinfreunde, die keine Etikettentrinker sind und für zehn oder 15 Euro einen guten Wein mit Alterungspotenzial suchen, werden vor allem in den unbekannteren Randlagen fündig.

Wer richtig teuren Bordeaux mit klingendem Namen kauft, der subskribiert die Weine in der Regel. Das heißt, er muss sie kaufen, lange bevor sie beim Weinhändler eintreffen. Über viele Jahre hatten die vom US-Weinkritiker Robert Parker vorab vergebenen Noten bei den Kaufentscheidungen der Händler und Kunden eine herausragende Bedeutung. Anfangs waren viele Franzosen empört, dass ein „Yankee“ sich zum Richter ihres Nationalgetränks erhob. Doch dessen aus der Hüfte geschossenen Benotungen und barocken Weinbeschreibungen waren schnell populär. Inzwischen schwindet der Einfluss Parkers.

Aber Bordeaux hat viele andere Botschafter, die jetzt zu den Festtagen gefragt sind. Kaminfeuer, ein großer Braten, ein alter Bordeaux – wer will da noch mit Restvernunft und Preisvergleichen kommen.

Die Testsieger

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Bordeaux kann auch anders: Jenseits der sündteuren Prestigeflaschen gibt es aus dem großen Anbaugebiet attraktive Weine im mittleren und moderaten Preissegment. Wir haben roten Bordeaux der – sehr guten – Jahrgänge 2009 und 2010 in der Preisklasse bis 20 Euro getestet.

Sieben Kandidaten von sieben Berliner Weinhändlern waren angestellt, wurden „blind“ verkostet und nach dem oft angewandten 20-Punkte-Schema bewertet. Damit der Wein in seinem natürlichen Habitat als Essensbegleiter bewertet wird, haben wir den sieben Jurorinnen und Juroren geschmortes Rindfleisch serviert.

Noch nie hatten wir bei den Tagesspiegel-Weinproben ein solch eindeutiges Votum der Jury. Gleich fünf der sieben Jurymitglieder haben den Siegerwein auf den ersten Platz gesetzt. Der schmeckt wirklich allen, er überzeugt mit aromatischer Nase und

elegantem Auftritt. Alle sieben Kandidaten zeigten sich schon jetzt sehr zugänglich. Von der früheren Kratzbürstigkeit junger Bordeaux-Weine war in unserer Probe nichts zu schmecken.

Für eine allzu lange Einlagerung im Keller sind Weine in dieser Preisklasse ohnehin nicht geeignet. Aber bis 2020 sollte ihr Potenzial schon reichen.

PLATZ 1: 2009 CHATEAU FERRANDE GRAVES
Duft von ausgeprägter Cassis-Frucht, fleischig, Vanille, Tabak, Unterholz. Elegant, reifes Tannin. Schon sehr gut trinkbar. 16,90 Euro. Bei Mövenpick, Leipziger Str. 60 und Lietzenburger Str. 93, Tel. 20058998.

PLATZ 2: 2009 CHATEAU LABADIE MEDOC

Röstaromen, Schoko, Cassis, Lakritz. Gute Säure, balanciert von Fruchtsüße. Saft und Kraft.13,95 Euro. Bei Weinheuer, Eresburgstraße 24-29, Tempelhof, Tel. 200030777.

PLATZ 3: 2009 CHATEAU GREYSAC MEDOC
Nobles Bukett, feiner Holzeinsatz, elegant, klassisch, mit gutem Gerbstoff. Wird noch besser. 17,90 Euro. Bei Vinum, Danckelmannstraße 29, Charlottenburg, Tel. 3226619.

SAMTIG: 2010 CHATEAU ANTHONIC MOULIS
Attraktive Farbe, eher kühle Aromatik, samtig, etwas vegetabiler gestrickt.18,50 Euro. Bei Weinhandlung Hardy, Thielallee 29, Dahlem, Tel. 8312598.

COOL: 2010 CHATEAU CAMBON LA PELOUSE, HAUT-MEDOC
Viel schwarze Beeren, kühl, kräftige Röstnoten, stabiles saftiges Tannin, guter Nachhall. Er liebte das Rind! 19,50 Euro. Bei Viniculture, Grolmanstraße 44, Charlottenburg Tel. 8838174.

STRENG: 2009 CHATEAU TOUR HAUT-CAUSSAN, MEDOC
Paprika, Animalik, Nelke, Röstnoten, zupackendes Tannin, noch etwas strenge Struktur.

19,90 Euro. Bei Maitre Philippe, Emser Str. 42, Wilmersdorf, Tel. 88683610.

MUSKULÖS: 2009 PARC DE CHATEAU BEARD, ST. EMILION
Würze, Rosinen, Trockenfrüchte, dazu Röstaromatik, kräftiger Alkohol, Fülle, moderner Stil. 19,75 Euro. Bei Rindchens Weinkontor, Lerschpfad 4, Charlottenburg, Tel. 30203605.

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