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Hermann Bühlbecker führt das Familienunternehmen Lambertz.

© promo

Weihnachten aus dem Hause Lambertz: Keine Experimente auf dem bunten Teller

In den 70ern übernahm Hermann Bühlbecker das Unternehmen Lambertz und machte es zum Weltmarktführer. Alle Jahre wieder schürt er den Appetit auf Lebkuchen

Modernes Weihnachtsgebäck? Klingt wie ein Widerspruch in sich. Zur stillen Nacht wandeln sich wundersam auch die größten Trendjäger zu eisernen Konservativen, die auf dem bunten Teller nur das zu finden wünschen, was sie kennen, seit sie das Kauen und Schlucken gelernt haben. Kein Wunder, dass Hermann Bühlbecker einen leicht verwegenen Gesichtsausdruck bekommt, wenn er gesteht, dass er auch schon mal Bratapfelgeschmack in Dominosteine hineinschmuggeln ließ – nur, um mit der klassischen Winternote etwas Abwechslung zu schaffen.
Wenn einer sich mit Verbrauchergeschmack auskennt, dann Bühlbecker. Schließlich ist er Weltmarktführer in Sachen Weihnachtsgebäck. In neunter Generation leitet er das Familienunternehmen Lambertz in Aachen. Als er es 1976 übernahm, machte es einen Umsatz von acht Millionen Euro. Nach manchen Zukäufen und Übernahmen sind es heute 650 Millionen. In acht Fabriken arbeiten 4000 Beschäftigte daran, dass unter den Christbäumen in vielen Ländern der Erde traditionelles deutsches Weihnachtsgebäck landet. Und was isst er selber gern an den Weihnachtstagen? Er zögert einen Moment, dann sagt er: „Eigentlich mag ich die Klassiker am liebsten.“

Pflicht auf dem bunten Teller

An die Weihnachtsfeste seiner Kindheit erinnert er sich gern. Am Heiligen Abend trat er mit Eltern und Schwester vor den Weihnachtsbaum. Erst wurde aus dem Evangelium vorgelesen, dann wurden Lieder gesungen. Die Mutter, die aus der Lambertz-Familie stammte, konnte am besten singen, ihre Tante, damals eine Hauptgesellschafterin des Unternehmens, war sogar Opernsängerin, die auch in Karajan-Konzerten auftrat.

Später gab es zu den Geschenken auch einen bunten Teller mit Printen, Dominosteinen und Spitzkuchen. „Die süddeutschen und ostdeutschen Spezialitäten wie gefüllte Herzen und Stollen kamen erst später ins Unternehmen.“ Mit der singenden Tante und dem Onkel kam man am zweiten Weihnachtstag zum Mittagessen zusammen. „Die haben dann immer viel über ihre Arbeit im Unternehmen erzählt.“

Groß geworden ist das 1688 in Aachen gegründete Unternehmen mit Printen – wobei man sich die Printen von damals ganz anders vorstellen muss. Von Modelschnitzern wurden hölzerne Formen angefertigt mit populären Motiven wie Soldaten, Kutschen oder Kaiser Napoleon. Dort hinein kam der Gewürzteig. Hermann Bühlbecker besitzt noch eine Sammlung solcher Formen, die aus dem 11. bis 17. Jahrhundert stammen. Oft waren die Figuren groß wie Puppen. Bis heute liefert Lambertz zu Karneval dem Gewinner des „Ordens wider den tierischen Ernst“ dessen Gesicht aus Printenteig. Gefertigt wird es mit der historischen Technik.

Revolution mit Schokolade

Printe kommt letztlich vom englischen Verb „to print“, weil das Gebäck aus der Form herausgedrückt wurde. Erst mit dem Zeitalter der Industrialisierung kam die Printe in ihrer noch heute bekannten Gestalt in Form eines rechteckigen Stabes auf den Markt. Henry Lambertz entwickelte sie im Jahr 1830, weil sie sich gut verpacken und transportieren ließ und also als Gebäck für die Massen taugte. Auch diese Printen waren noch anders als die heute geläufigen. „Wenn sie gut waren, dann mussten sie in tausend Stücke zersplittern, wenn man sie fallen ließ“, erzählt Hermann Bühlbecker. Klassische Gewürzprinten sind hart und kräutrig und außen braun.

Ein Laden voll an Süßem.
Ein Laden voll an Süßem.

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Das Jahr 1880 markiert schließlich einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Weihnachtsgebäcks. Inzwischen hatte sich in Deutschland eine bürgerliche Weihnachtskultur entwickelt, wie sie später praktisch in die ganze Welt exportiert wurde. Das Haus Lambertz hatte sich zur ersten Fabrik für Schokoladen und Gebäck entwickelt. Die Dampfschokoladenfabrik machte eine Revolution möglich. Die braunen Kräuterprinten bekamen einen zartbitteren Schokoladenüberzug. „Das machte sie nicht nur viel schmackhafter, sondern vor allem auch haltbarer und damit noch tauglicher für eine weite Verbreitung.“

Anderswo hatten sich ebenfalls Gebäcktraditionen etabliert. Von Nürnberg aus traten die weichen Elisenlebkuchen mit Oblatenrücken ihren Siegeszug durch den süddeutschen Raum an. In Ostdeutschland war der Dresdener Christstollen der Hit unterm Weihnachtsbaum. Nach und nach etablierten sich weitere Gebäcksorten: Dominosteine, Zimtsterne, Pfeffernüsse, Spekulatius. Bei Lambertz fand im Jahr 1938 eine weitere kleine Revolution statt: Die weiche Printe, auch Honig- oder Saftprinte genannt, wurde entwickelt. Bis heute muss sie nach den geltenden Lebensmittelvorschriften braunen Kandiszucker enthalten – hart für die Zähne.

Abschied vom Snobismus

Hermann Bühlbecker führt das Familienunternehmen Lambertz.
Hermann Bühlbecker führt das Familienunternehmen Lambertz.

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Hermann Bühlbecker, ein Mann, der beinahe Tennisprofi geworden wäre, noch heute drahtig und energiegeladen, rettete Lambertz vor dem drohenden Konkurs. Eine Geschichte aus Angeboten, Übernahmedrohungen und -versprechen, die sich anhört wie ein echtes Wirtschaftsdrama, das schließlich doch ein gutes Ende genommen hat.

Dass das klappte, als er in die Rolle als oberster Botschafter der Lambertz-Süßigkeiten schlüpfte, lag auch daran, dass er den Snobismus seiner Vorfahren über Bord warf. „Früher hat unser Unternehmen eigentlich nur die feinsten Fachgeschäfte beliefert.“ Mit dieser Einstellung sah er keine Überlebenschance. Heute steckt Lambertz nicht nur in Packungen, auf denen der Name steht, sondern auch in Produkten, die Discounter als Eigenmarken verkaufen. „Vor Weihnachten sind wir in praktisch jedem Geschäft vertreten“, sagt Bühlbecker mit pragmatischem Stolz. Das auf Dominosteine spezialisierte Unternehmen Kinkartz etwa wollte die Firma Lambertz gerne schlucken. Später kam es umgekehrt ... Heute verkauft Hermann Bühlbeckers Firmengruppe in den fünf Monaten, in denen das Geschäft mit dem Weihnachtsgebäck läuft, allein rund 600 Millionen Dominosteine zwischen Kiel und München, insgesamt 8000 Tonnen. „Am Nikolaustag ist unsere Weihnachtsproduktion traditionell schon zu Ende“, sagt er.

Das Jahr 2000 markierte einen großen Wendepunkt in der Geschichte des Familienunternehmens. Kinkartz gehörte inzwischen zur Firma Südzucker, ebenso wie die „Nürnberger Lebkuchen“ von Haeberlein-Metzger. Die kaufte er hinzu, später das Baumkuchen-Unternehmen eines seiner früheren Bäckermeister. Strategisch wichtig war auch der Erwerb der Unternehmen Weiss aus Neu-Ulm und Wendler aus Dresden vor drei Jahren.

Nach langer Abstinenz

Seine Bestseller zählt Bühlbecker immer wieder gern auf. Es sind die ganz einfachen Lebkuchen-Packungen mit Brezeln, Sternen und Herzen, wie sie der Nikolaus schon Generationen von Kindern in den Strumpf gesteckt hat. „Da kosten heute 500 Gramm beim Discounter 6,99 Euro.“ Es sind aber auch die gefüllten Lebkuchenherzen, die sich immer mehr zum Publikumsliebling entwickelt haben und in seinen Augen längst „ein Herbstgebäck“ sind. „Nach acht Monaten Abstinenz bekomme man einfach Hunger auf sowas.“ Da bezieht er sich selbst durchaus mit ein.

Am Anfang der Saison, sagt er, liefen kleinere Naschpackungen gut, je näher dann das Fest rückt, desto eher würden die Kunden nach schönen Dosen greifen. Und, ja doch, es gebe von Lambertz inzwischen auch weiße Dominosteine und Lebkuchenherzen mit Glühweingeschmack, aber der Umsatz sei nicht nennenswert.

Die Domino-Anlage der Lambertz-Fabrik.
Die Domino-Anlage der Lambertz-Fabrik.

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Er selbst ist ein Fan der neuen Printen: „Die werden fast wie Pralinen aufgearbeitet, mit viel Vollmilchschokolade und Mandeln und manchmal sogar Marzipan. Dann haben sie einen leicht karamelligen Geschmack.“ Innovation findet, wenn es um Weihnachten geht, hauptsächlich bei Verpackungen statt. „Petit Soleil“ etwa ist ein junges Produkt. „Das sind einzeln verpackte Lebkuchen mit klassischen Rezepturen.“ Die mag er selber auch und erklärt auch warum: „Weil man immer acht oder neun Monate drauf warten muss, bis sie wieder auf dem Markt sind.“

Haute Couture zum Feste

Werbung macht Bühlbecker mit spektakulären Aktionen wie der „Schokoladencouture“. Als im Jahr 1999 die Regierung umzog, konnte man seine mit allerlei Süßigkeiten bekleideten Hostessen auf vielen Festen erleben. Und er investiert in zeitgeistige Aktionen: Als Winterthema entdeckte er in diesem Jahr die Kulisse Island; zusammen mit der Sängerin Nena will er so auch auf Umweltprobleme wie das Schmelzen der Gletscher aufmerksam machen.

Hermann Bühlbecker ist Honorarkonsul der Elfenbeinküste. Von dort kommt die Hälfte aller in der Welt produzierten Kakaobohnen. „Da lohnt es sich, gute Kontakte zu pflegen.“ Gerade ist er dabei, den US-Markt zu erkunden, hat eine Repräsentanz in der Nähe von New York. Lambertz’ leuchtend rote „Merry-Christmas“-Dosen sollen zum Beispiel bei Walmart oder Trader Joe's die amerikanischen Kunden auf den europäischen Geschmack bringen.

Tatsächlich hat Bühlbecker auch nach dem Nikolaustag noch genug zu tun. „Rund 50 Prozent des Umsatzes machen wir mit klassischem Konferenz- und Kaffeegebäck.“ Anders als bei Weihnachtsleckereien seien da Innovationen gewinnbringend möglich – und willkommen. Stolz ist er etwa auf die Erfindung des Vitalgebäcks: „Runde Kekse mit Sonnenblumen oder Kürbiskernen, die fast wie Florentiner schmecken.“ Als „European Cookies“ laufen diese Mischungen sogar in den USA und in Brasilien gut. Veganes Weihnachtsgebäck gibt es natürlich auch. „Manches ist sogar schon immer vegan gewesen“, sagt Bühlbecker schmunzelnd. So vereinen sich im weihnachtlichen Hier und Jetzt also doch noch moderner Lebensstil und stolze Tradition.

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