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Norbert Palz ist Präsident der Universität der Künste Berlin

© Daniel Nartschick

Wandel in Forschung und Lehre: Crisis? What crisis?

Mit der allmählichen Öffnung setzt an der Universität der Künste ein kritischer Reflexionsprozess zur institutionellen Verfasstheit ein.

Der Rückgang der Neuinfektionen in der Corona-Pandemie der letzten Wochen gibt Hoffnung, dass sich für die Mitglieder der Universität der Künste Berlin allmählich wieder der Weg zu einem Studien- und Arbeitsalltag öffnet, welcher größere Ähnlichkeiten zu seiner vorpandemischen Zeit aufweist.

Diese verbesserten Arbeitsbedingungen werden naturgemäß von allen mit großer Erleichterung und Vorfreude aufgenommen, erlauben sie doch vor allem den Studierenden wieder ein ganzheitlicheres Handeln im Raum in intensiven Begegnungen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen und Publikum, was der Studienqualität zuträglich ist.

Zeitgleich mit der Verarbeitung der aktuellen Lage findet innerhalb der Universität ein kritischer Reflexionsprozess über ihre institutionelle Verfasstheit statt, die für die künstlerischen Diskurse in Forschung und Lehre grundlegend verantwortlich zeichnet.

Die Anzahl der aktuell über Arbeitsgruppen, Kommissionen und Einzelakteure verhandelten Themen ist groß, sie umfassen die Bedingungen universitärer Teilhabe, reflektieren strukturelle Diskriminierungspotenziale im institutionellen Kontext, reichen über Fragen der Nachhaltigkeit und des Klimawandels bis hin zu einer diskriminierungssensiblen Betrachtung von Digitalisierung – und vielem anderen mehr.

Diese intensivere Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Themen befördert innerhalb der Universität – und darüber hinaus – ein diskursives, aktivistisches und kritisches Handeln, welches die institutionellen Strukturen und Inhalte in Forschung und Lehre hinterfragt und zum Wandel aufruft.

Technologischer Wandel befeuert die Diskussion

Befördert wird dieses Erstarken politischen Handlungswillens durch mehrere Faktoren. Ein wichtiger Punkt ist sicherlich der enorme technologische Wandel der letzten Jahre, der neue mediale Arbeits- und Kommunikationsweisen in einem beständigen digitalen Informationsfluss ermöglicht hat und so eine globale Diskussion gesellschaftlicher Themen in ungeahnter Breite und Geschwindigkeit anregt.

Fragen gesellschaftspolitischer Veränderung können nun auch vor einem Tableau internationaler institutioneller Akteurinnen und Akteure diskutiert werden, wodurch eine Vergleichbarkeit von Handlungen und Haltungen zu den oben genannten Themen suggeriert werden, die dann in den sozialen Medien in hoher Geschwindigkeit kommentiert und kommuniziert werden.

Wie schon in der Vergangenheit greift die aktuell medial geäußerte Institutionskritik im europäischen und amerikanischen Raum über die fachliche Konzentrierung auf ein spezifisches Themengebiet hinaus und fordert grundsätzlichere und weitreichendere Reformen, die das Lehren, Lernen, die Forschung, das Arbeiten und Verwalten an künstlerischen Ausbildungsstätten betreffen und sie radikal zu verändern trachten.

Die Universität der Künste Berlin ist über ihre Mitglieder unterschiedlicher Herkünfte und Statusgruppen lebendiger Teil dieses Diskurses, der engagiert und in Teilen kämpferisch geführt wird. So haben die öffentlichkeitswirksamen #exitracismUDK-Proteste von Studierenden und Lehrenden im vergangenen Jahr in großer Deutlichkeit den Wunsch nach einer Institution formuliert, die sich ihrer expliziten und impliziten Diskriminierungstatbestände bewusst ist und diese durch strukturelle und personelle Maßnahmen ändert.

Auf dem Weg zur diskriminierungsfreien Studienkultur

Die sich hier abzeichnende institutionelle Transformation bedarf allerdings eines durchaus kräftezehrenden und lang andauernden, aber doch notwendigen Aushandlungsprozesses divergierender Haltungen, welcher über die demokratischen Instrumente akademischer Selbstverwaltung orchestriert wird und dann zu institutionsscharfen Einzellösungen führt.

Es ist ein Prozess, der den internen Diskurs an der Universität über die nächsten Jahre bestimmen wird, doch trotz – oder auch gerade wegen – des Konfliktpotenzials für die institutionelle Weiterentwicklung von elementarer Bedeutung ist. Es gilt hier gemeinsam ein scharfes Bild einer „konkreten Utopie“ zu entwerfen, in der neuer Reformgeist, institutionelle Qualitäten, künstlerischer Anspruch und eine idealerweise diskriminierungsfreie Studienkultur zu verbinden sind.

Neben diesen fortzuführenden politischen Diskursen hat die Pandemiezeit der Universität der Künste eine perspektivische Erweiterung ihrer künstlerischen Möglichkeiten durch neue digitale Strukturen für die Kommunikation, die Interaktion und die Lehre gebracht. Der Ausbau einer auf die individuellen Bedarfe ihrer künstlerischen Lehre abgestellten digitalen Infrastruktur ist in vollem Gange und hat durch die Bewilligung eines Förderantrags in Höhe von circa 1,9 Millionen Euro im Frühjahr 2021 weiter an Schwung aufgenommen.

Neue Formen künstlerischer Praxis

In den kommenden drei Jahren werden Mitglieder aller Fakultäten in experimentellen Settings neue mediale Schnittstellen entwickeln, innovative Formen der Kooperation im analogen wie auch im digitalen Raum ausprobieren und so im besten Falle das künstlerische Repertoire ihrer Disziplin erweitern oder neue transdisziplinäre Formate ausbilden. Diese Experimentierphase zielt nicht auf die Imitation und Skalierung gut funktionierender analoger Lernprozesse, sondern sucht aktiv neue Formen künstlerischer Praxis im Verbund von analogem Raum, technischer Möglichkeit und erweiterter sinnlicher Wahrnehmung.

Implizit verhandelt wird hierbei die institutionelle Grenze, denn die teilweise Hinwendung zu digitalen Formen der Interaktion schließt in der Regel eine weiter gefasste, potenziell globale Teilhabemöglichkeit anderer mit ein. Diese Öffnung, hin zu einer geteilten, globalen Kommunikation und künstlerischen Praxis, bietet neue Möglichkeiten für Begegnung von institutionellen und außerinstitutionellen Akteurinnen und Akteuren.

Schon heute erschöpft sich diese Begegnung nicht in einem reinen medialen Austausch von Wort, Bild und Klang, doch soll in Zukunft der Fokus auf einer mehrdimensionalen produktiven Verschränkung digitaler und analoger Medien gelegt werden, der eine binäre Trennung zwischen dem einen und dem anderen Erfahrungsraum verwischt. Diese globale Öffnung der Institution kann hilfreich sein, den Kreis der Teilnehmenden zu erweitern, eine kulturelle Mehrstimmigkeit zu befördern und Diskriminierungstatbestände zu verringern.

Neue Möglichkeiten fakultären Austauschs

Über diese experimentellen medial-künstlerischen Projekte findet in zunehmendem Maße ein überfakultärer Begegnungsprozess zwischen Studierenden und Lehrenden statt, der Schnittstellen und Gemeinsamkeiten künstlerischer Fachkulturen entdeckt und sie produktiv weiterentwickelt.

Als Hochschulleitung sind wir getragen von dem Gedanken, den Mitgliedern der Universität der Künste neue Möglichkeiten dieses fakultären Austauschs anzubieten, um so einen Raum aufzuspannen, der inspirierend für die zeitgenössische künstlerische Identitätsbildung und wissenschaftliche Arbeit wirkt.

Die aktuellen medialen und politischen Veränderungsbewegungen an der Universität der Künste in Berlin bezeugen so ein sehr lebendiges institutionelles Selbstverständnis, welches im Bekenntnis seiner Zeitgenossenschaft und Geschichte immer wieder die Beziehungen künstlerischen und wissenschaftlichen Arbeitens und Lehrens aufs Neue verhandelt. Die methodischen Verschränkungen künstlerischer und forschender Praxis erwachsen dabei aus politischen, technologischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, welche in ihren disziplinären Übersetzungen den Kern zeitgenössischer Kunst bilden.

Als Präsidium ist es für uns ein Privileg, diese Prozesse mit den Mitgliedern der Hochschule gestalten zu können – und dafür wollen wir uns auch weiterhin engagiert einsetzen.

Norbert Palz

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