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In sechs Bundesländern werden Bürgerinnen und Bürger 2021 an die Urne gebeten. In Hessen und Niedersachsen finden zudem Kommunalwahlen statt - und dann am 26.September noch die Bundestagswahl.

© picture alliance / dpa

Wahlkampf in Coronazeiten: Superwahljahr ohne Zeitgeistwende?

Thorsten Faas, Margreth Lünenborg und Paul Nolte über Wahlkampf in Pandemie-Zeiten und die politische Landschaft nach der Ära Angela Merkel.

2021 ist ein Jahr der Demokratie: Am 26. September wird der Bundestag neu gewählt, hinzu kommen sechs Landtagswahlen – in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sowie zuvor in Sachsen-Anhalt am 6. Juni, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bereits am 14. März. Über Wahlkampf in der Pandemie und das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft sprechen der Politologe Professor Thorsten Faas, die Professorin für Journalistik und Geschlechterforschung Margreth Lünenborg und der Geschichtswissenschaftler Professor Paul Nolte.

Das Coronavirus stellt vieles auf den Kopf. Wie wirkt sich die Pandemie auf Wahlkämpfe aus?

THORSTEN FAAS: Lockdowns zwingen uns zu Distanz. Aber welche Verbindungen gehen dadurch verloren? Der Kontakt zu den Menschen, mit denen wir den Haushalt teilen, ist enger als sonst. Was wegfällt, sind Begegnungen mit Nachbarn, Freunden und Bekannten, mit Kolleginnen und Kollegen. Das sind Verbindungen zu Menschen, deren politische Ansichten uns herausfordern können – und die sind wichtig in einer Demokratie. Für die Parteien ist es eine schwierige Aufgabe, mit dem Leid der Pandemie angemessen umzugehen: angesichts Hunderter Toter täglich nicht den Eindruck zu erwecken, man tue etwas, das sich nicht gehört, indem man Wahlkampf führt. Wenn abfällig vom „Wahlkampfmodus“ die Rede ist, zeigt das, dass Wahlkampf schon in normalen Zeiten kein hohes Ansehen genießt. Es sollte in einer Demokratie aber legitim sein, zu streiten und auch über andere Themen zu reden als das Virus.

Parteienforscher Thorsten Faas.
Parteienforscher Thorsten Faas.

© Bernd Wannenmacher

MARGRETH LÜNENBORG: Die Pandemie ist eine Krise des Öffentlichen. Wahlkampf findet traditionell auf der Straße und auf Großveranstaltungen statt, bei denen Stimmung in der Halle ist. Dieses Jahr wird digitale Kommunikation eine größere Rolle spielen. Beim zurückliegenden Parteitag der CDU im Januar hat gewissermaßen eine Entzauberung der Mediatisierung stattgefunden. Wahlparteitage sind zwar seit jeher für Kameras inszenierte Medienevents gewesen, aber immerhin mit einem großen Saalpublikum, das geklatscht und geraunt hat. Jetzt standen die Kandidaten etwas verloren in einem riesigen Raum, die Kameras auf sich gerichtet – eine Simulation von Präsenzöffentlichkeit.

Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg.
Kommunikationswissenschaftlerin Margreth Lünenborg.

© Miriam Klingl

PAUL NOLTE: Allzu viel wird sich nicht ändern. Der Wahlkampf in der Bundesrepublik ist gerade im Vergleich zum amerikanischen klassisch und traditionell geblieben. Seit der Weimarer Republik dominiert in Deutschland der Plakatwahlkampf, daran hat sich in 100 Jahren im Grunde nichts geändert. Die Pandemie könnte die Parteien aber zu neuen, moderneren Formen zwingen. Ebenfalls neu ist, dass voraussichtlich ein Großteil der Wählerinnen und Wähler per Brief abstimmen wird. Normalerweise sagt man, dass die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs nach den Sommerferien beginnt. In diesem Jahr werden zu diesem Zeitpunkt schon viele Menschen ihren Stimmzettel ausgefüllt haben.

MARGRETH LÜNENBORG: Das ist eine große Veränderung. Früher war die gesamte Dramaturgie der Wahlkämpfe präzise auf die letzten Wochen hin getaktet. Das wird sich diesmal nicht so gut planen lassen.

Krisen stärken oft die Extreme und stoßen Wandel an. In der Sonntagsfrage hat sich aber seit Monaten kaum etwas bewegt.

PAUL NOLTE: Tatsächlich ist überraschend, wie stabil die deutsche Politik ist. Es ist fast eine Hyperstabilität, die auch Gefahren birgt: In einer so fehleranfälligen Situation darf die Politik nicht im Krisenbewältigungsmodus erstarren. Es muss möglich sein, dass ein Minister Verantwortung übernimmt und zurücktritt. Der gegenwärtige, wie eingefrorene Zustand ist nicht gut für die Demokratie.

THORSTEN FAAS: Wenn man auf die Umfragen schaut, scheint Deutschland tatsächlich eine sehr sortierte Parteienlandschaft zu haben. Es ist aber eine fragile Stabilität: Wir sehen zwar eine große Zufriedenheit mit der Regierung. Aber der neue CDU-Parteivorsitzende Armin Laschet befindet sich in Umfragen eher auf einem Relegationsplatz als in der Champions League. Ich halte deshalb bei Prognosen Vorsicht für geboten. Noch ist beispielsweise unklar, ob wir um die Kanzlerschaft einen Zwei- oder Dreikampf erleben werden. Drei Wochen vor der Bundestagswahl findet traditionell das Fernsehduell statt. Wer wird daran teilnehmen? Je ein Kandidat oder eine Kandidatin von Union und den Grünen? Für die SPD wäre das ein Desaster. Was ist, wenn man sich nicht auf ein Format einigen kann? Ich glaube, es wird ein sehr spannendes Wahljahr, das Ergebnis ist noch nicht in Stein gemeißelt.

MARGRETH LÜNENBORG: Eines lässt sich jetzt schon sagen: Die AfD ist nicht Profiteurin der Krise. Es gab Momente, in denen sich die Partei vom Tenor der Virusleugner Mobilisierungspotenzial versprochen hat. Bislang war das nicht erfolgreich.

THORSTEN FAAS: Die permanenten Großen Koalitionen, das Erstarken der AfD und die Distanz zwischen CDU und Linkspartei zeigen: Die gewohnte Stabilität ist nicht selbstverständlich. Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen-Anhalt bilden die Herausforderungen für die Parteien der demokratischen Mitte wie unter einem Brennglas ab. Ich möchte die Linke und die AfD nicht gleichsetzen. Aber rigide Koalitionsaussagen bringen die Parteien zunehmend in Schwierigkeiten. In Sachsen-Anhalt hat eine Kenia-Koalition hauchdünn gehalten – ein Bündnis, das vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre.

PAUL NOLTE: Wir erleben jedoch zum Glück nicht eine Polarisierung wie in Großbritannien, den USA oder Polen. Anders als in den 1960er bis 1980er Jahren ist die politische Kultur in Deutschland erstaunlich zentristisch. Veränderungen sind das Resultat langfristiger, struktureller Prozesse: Die Wählerschaft der SPD zum Beispiel schrumpft seit 40 Jahren, während die Grünen aufstreben. Das lässt sich nicht schnell umkehren, auch nicht während einer Pandemie.

MARGRETH LÜNENBORG: Was mich besonders interessiert: Wem wird es gelingen, ihre oder seine Themen zu setzen? Die Pandemie kann nicht das einzige Thema sein, denn Probleme wie die Klimakrise, soziale Gerechtigkeit, Fragen zu Schulpolitik und zur Diversität der Einwanderungsgesellschaft haben für das Virus keine Pause eingelegt. Vor der Pandemie stand der Klimawandel im Zentrum der Aufmerksamkeit, Hunderttausende junge Menschen waren jede Woche auf die Straße gegangen. Das Jahr 2021 wird noch zeigen, ob an diese Themen und Fragen angeknüpft werden kann.

THORSTEN FAAS: Die Themen, über die wir sprechen werden, werden einen großen Einfluss auf den Wahlausgang haben. Das liegt nur sehr begrenzt in der Hand der Parteien. Die Agenda wird durch mediale Prozesse bestimmt, die immer komplexer werden.

MARGRETH LÜNENBORG: Dieses Jahr wird auch spannend mit Blick auf die Veränderungen im Mediensystem. Neue mediale Sphären ringen um Artikulationsmacht. Ich bin keine Schwarzseherin, die den Niedergang des Journalismus beschreibt. Auch unter den digitalen Kommunikationsbedingungen genießt der Journalismus in Deutschland hohes Vertrauen. Aber die Zeit der exklusiven Deutungshoheit der traditionellen Medien ist vorbei. Politikerinnen und Politiker erreichen ihre Wählerschaft immer häufiger direkt, etwa über die sozialen Medien. Gleichzeitig etablieren diejenigen, die sich im traditionellen Journalismus nicht wahrgenommen sehen, ihre eigenen Kanäle.

Im September endet nach 16 Jahren die Kanzlerschaft Angela Merkels. Wie hat die Kanzlerin die Politik verändert?

MARGRETH LÜNENBORG: Die Frage, ob eine Frau in der Lage ist, dieses Amt auszufüllen – noch 2005 eine ernsthafte Debatte –, ist nun eindeutig beantwortet. Angela Merkel hat dabei einen eigenen Stil etabliert. Ich würde ihn nicht als „weiblichen“ Stil bezeichnen, er geht mit ihrer Persönlichkeit und ihrem naturwissenschaftlichen Hintergrund einher. Sie agiert nüchtern und teamorientiert, hat eine ausgesprochen unprätentiöse Art, die sich markant von einem egozentrierten und Machtgebaren zelebrierenden Typus unterscheidet. Dieser Politikstil wird international respektiert. Angela Merkel hat damit das Repertoire politischer Kommunikationsweisen erweitert. Die Kanzlerin hat jedoch nicht versucht, die Geschlechterverhältnisse strukturell zu verändern. Somit bleibt sie eine einzelne Figur, die nun abtritt. Das wird damit belohnt, dass sich drei Männer und keine Frau um ihre Nachfolge als Parteichefin beworben haben.

Zeithistoriker Paul Nolte.
Zeithistoriker Paul Nolte.

© Bernd Wannenmacher

PAUL NOLTE: Dass Angela Merkel keine Geschlechterpolitik im Sinne der linken Parteien gemacht hat, ist klar. Ob eine Geschlechterquote der richtige Weg ist, ist eine zu Recht hoch umstrittene Frage. Wenn aber eine Politikerin gezielt die Karrieren von Frauen gefördert hat – und dafür immer wieder Männer über die Klinge hat springen lassen – dann war das Angela Merkel. Ohne sie wäre Ursula von der Leyen nicht die erste Frau an der Spitze der Europäischen Kommission. Die Repräsentation von Frauen in der Politik ist kein Problem, das nur die CDU hat. Den Grünen – mit Petra Kelly und ihren Mitstreiterinnen in den 1970ern und frühen 1980ern – kommt historisch das Verdienst zu, eine neue Generation von Frauen in die Politik gebracht zu haben. Auch der Linkspartei ist ein bemerkenswerter Wandel weg von der verknöcherten Macho-Parteibasis von SED und PDS gelungen. Die beiden alten Volksparteien blieben dagegen männlich dominiert. Aber die CDU sah in den vergangenen zehn Jahren deutlich besser aus als die SPD – dank Angela Merkel.

THORSTEN FAAS: Rund 57 Prozent der Wählerschaft der CDU ist weiblich. Aber während in der Parteispitze faszinierend viele Frauen aktiv waren und sind, sieht es auf den unteren Ebenen anders aus. Von einem Konsens in Hinblick auf Quoten oder Paritätsgesetze ist man in der Union weit entfernt. Friedrich Merz, von dessen Wahl die Frauenunion abgeraten hatte, hat es zum zweiten Mal nur knapp nicht geschafft, Parteichef zu werden. Es bleibt also spannend, welches Erbe Angela Merkel in ihrer Partei hinterlässt. Interessant ist auch, dass Angela Merkel die erste Ostdeutsche an der Spitze der Bundesregierung ist. Sie hat sich aber nie als ostdeutsche Politikerin profiliert – aus machtpolitischen Gründen war das wohl klug. Wenn Sie mit ostdeutschen CDU- Politikerinnen und -Politikern reden, sind die darüber allerdings enttäuscht.

Bedeutet das Ende der Ära Merkel eine Zäsur in der deutschen Geschichte?

PAUL NOLTE: Es ist anders als nach 14 Jahren Konrad Adenauer, nach 13 Jahren sozialliberaler Koalition unter Willy Brandt und Helmut Schmidt oder nach 16 Jahren Helmut Kohl. Das Politikpendel, das die Zeitgeschichte Deutschlands ein halbes Jahrhundert bestimmt hat, gibt es nicht mehr. Helmut Kohl zum Beispiel war als Reformer gestartet und galt nach 16 Jahren als nicht mehr bewegungsfähig; das Pendel schlug dann in Richtung von Rot-Grün aus. Seit der Hartz-Wende von Gerhard Schröder in den Jahren 2003 bis 2005 hat sich das verändert. Jetzt deutet vieles auf Kontinuität hin. Eine Zeitgeistwende, wie wir sie bei den Bundestagswahlen 1969, 1982 und 1998 erlebt haben, gibt es nicht.

Jonas Huggins

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