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Markus Söder nach einer Rede in einem Bierzelt auf dem Reutberger Josefifest.

© Matthias Balk/dpa

Vor der Landtagswahl in Bayern: Markus Söders Kampf gegen die Schmach

Merkel, Masterplan, Flüchtlinge: Damit könnte er jedes Zelt zum Toben bringen – Markus Söder. Darf er aber nicht. Seine liebsten Themen sind für die CSU vergiftet. Trotzdem muss er gewinnen.

Von Robert Birnbaum

Wenn Markus Söder etwas Trost braucht dieser Tage, dann blättert er in alten Zahlenwerken. Die Umfragen vor der Saarland-Wahl, vor der NRW-Wahl, nicht zu vergessen die vor der Niedersachsen-Wahl – er hat sie regelrecht lieb gewonnen. Denn sie haben etwas gemeinsam: Sie wiesen alle in die völlig falsche Richtung. Annegret Kramp-Karrenbauer wurde der sichere Untergang prognostiziert, Hannelore Kraft der Sieg, Stephan Weil wieder der Untergang. Am Wahltag kam es für alle drei Ministerpräsidenten genau umgekehrt. In Bayern, soweit es durch die CSU dargestellt wird, weist man Vergleiche mit anderen Bundesländern normalerweise hohnlächelnd zurück, schon gar soweit sie von der SPD regiert werden. Aber im Moment hätte der CSU-Spitzenkandidat überhaupt nichts dagegen, wenn sein Land jedenfalls demoskopisch im Mainstream mitschwimmen würde. Denn wenn sie diesmal ausnahmsweise stimmen sollten, die Umfragen, dann geht am 14. Oktober für die CSU eine Welt unter.

Auf der Festwiese in Anger prasselt der Regen auf das Bierzelt. Anger liegt im Berchtesgadener Land, einer dieser Regionen, in denen man der üblichen christsozialen Angeberei nur schwer widersprechen kann, Bayern sei zumindest die Vorstufe zum Paradies. Nicht genug, dass zwischen Watzmann und Chiemsee um jede Ecke ein neues Postkartenidyll wartet; am Rand der Alpen ist sogar die Dürre dieses Sommers vorbeigegangen.

Der Einzug ins Zelt fällt umpompös aus

Auch sonst erscheint die Einstufung als strukturschwaches Gebiet doch sehr relativ. Die Arbeitslosen kennt der Landrat vermutlich alle persönlich. Im Juli waren es 1542, macht drei Prozent; das ist faktisch Vollbeschäftigung. Allein 50 „höherwertige Arbeitsplätze“, daran wird der Landrat gleich erinnern, verdankt die Region dem Mann, der nun durch den Mittelgang nach vorn zur Tribüne stiefelt. Söder hat als Finanz- und Heimatminister Behördenstellen über ganz Bayern verteilt. Die Berchtesgadener bekamen einen Außenposten des Landesamts für Maß und Gewicht zugeteilt.

Jetzt ist Söder seit gut 100 Tagen Ministerpräsident. Sein Einzug ins Zelt fällt unpompös aus. Sicher, die Trachtenkapelle Anger-Höglwörth spielt auf, dass die Gamsbärte an den Hüten wackeln, und die ungefähr tausend Besucher erheben sich – nicht nur, aber auch wegen der besseren Schussposition für das Handyfoto. Aber von den wummernden Triumphmärschen, mit denen einst das Erscheinen eines Edmund Stoiber angezeigt zu werden pflegte, bleibt der Auftritt weit entfernt. Söder ist, vorsichtig gesagt, nicht der beliebteste Politiker des Landes. Und auch Umfragewerte von zuletzt 37 Prozent lassen Bescheidenheit geraten erscheinen.

Natürlich sind sie ein Problem, diese Umfragen. Wenn es nur eine wäre und die nur von Manfred Güllner käme – geschenkt. Der Forsa-Chef wird in der CSU-Spitze gerne als verhinderter Politiker abgetan, der Stimmungen nicht messen, sondern beeinflussen will.

Doch in den Daten anderer Institute steht die Partei nicht viel besser da. Vor allem ist die Richtung die gleiche. Die Verteidigung der absoluten Mehrheit erscheint zwar schon lange illusorisch. Doch als sich der Pulverdampf über Söders Putsch gegen Horst Seehofer gelegt hatte und der Teilentmachtete sich mit seiner Rolle in Berlin zu arrangieren schien, verzeichnete Generalsekretär Markus Blume zu Jahresanfang eine sachte Aufwärtsbewegung. Erst nach dem Tag, der im aktuellen Münchner Jargon nur „dieser Sonntag“ heißt, hat der schmerzhafte Sinkflug eingesetzt.

Man muss die Geschichte des steckengebliebenen Putsches gegen Angela Merkel nicht noch mal im Detail erzählen, nur so viel: Aus Söder-Sicht war „dieser Sonntag“ der eigentliche Sündenfall; der Tag, an dem sich Seehofer nicht damit zufrieden geben wollte, die Kanzlerin zum Brüsseler EU-Gipfel getrieben zu haben, sondern den Rücktritt samt Rücktritt vom Rücktritt vollführte – nur um tags darauf einen Frieden mit Merkel zu schließen, den der arme General Blume seither als „Asylwende“ verkaufen soll.

Der dritte Mann ist im Sommerloch verschwunden

Diese Sichtweise lässt zwar Söders eigene Rolle als zwischenzeitlicher Scharfmacher ungebührlich bescheiden wirken; aber richtig ist schon, dass der Spitzenkandidat früher als andere den Stimmungsumschwung erspürte und zum Rückzug blies, als der Parteichef und Bundesinnenminister noch Attacke ritt.

Inzwischen gibt Seehofer den von Medien und anderen übelwollenden Geistern Verfolgten. Der dritte Mann ist im Sommerloch verschwunden. Dass Alexander Dobrindt seine CSU-Abgeordneten allerdings für Anfang September zu einer Landesgruppen-Sommerklausur geladen hat, wird im Söder-Lager schon wieder misstrauisch beäugt. Von Berliner Strategien und Strategen würden sie gerne bis auf Weiteres verschont.

Das Problem ist nur, dass sie so richtig eine eigene Strategie auch nicht haben gegen das, was sich vor ihnen wie eine ganze Wand von Widrigkeiten auftürmt. Das fängt mit den langen Wellen der Parteienentwicklung an. Die CSU hat bisher so getan, als gehe sie der europaweite Niedergang der Volksparteien nichts an. Dabei wissen sie genau, dass schon die Zwei-Drittel-Mehrheit von 2003 eine optische Täuschung war: Stoiber bekam eine Million Stimmen weniger als fünf Jahre zuvor. Aus diesem Nichtwähler-Becken speist die AfD einen Teil ihrer aktuell gemessenen 13 Prozent.

Dann sind da die Zuwanderer – nicht die aus Syrien oder Afrika, sondern zum Daimler, zu Audi oder Siemens. In München ist fast jeder zweite Wahlberechtigte ein Zugezogener. Die haben in ihren Schulen nicht gelernt, dass sie für ihren gut bezahlten Job eigentlich der Staatspartei danken müssten. Die CSU kann in der SPD-regierten Landeshauptstadt eine Landtagswahl nicht gewinnen, verlieren aber schon. Für den Herbst plant der Münchner Blume eine Spezialkampagne für seine Heimatstadt.

Das wichtigste Thema: die Rente

Aber das Hauptproblem bleibt der Riss. Er zieht sich durchs ganze Land, durch Familien, quer über Stammtische, durch die Partei. Wer mit den Leuten redet, berichten Wahlkämpfer, hört als erstes Sorgen um Alltagsfragen – Rente steht weit oben, kein Wunder: die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Austragsalter. Aber gleich danach sind es wieder „die Flüchtlinge“. Nicht so sehr, weil jemand persönlich irgendwelche Erfahrungen gemacht hätte, gute oder schlechte; das Thema wirkt einfach als gewaltiger Katalysator für Emotionen und Haltungen.

Die waren vermutlich vorher auch schon da. Aber Gegrantel integrierte die CSU noch stets erfolgreich als Teil der Folklore. Jetzt fragen die Jungunionisten, die die Parteizentrale zu Haustürbesuchen schickt, in den Schulungen nicht nur nach, wie sie mit AfD-Wutbürgern umgehen sollen. Das zweite Schreckgespenst sind Leute, die auf Merkel zu sprechen kommen –, die, die schimpfen genau so wie die, die zur Kanzlerin stehen.

Im Moment ist die zweite Gruppe aus CSU-Sicht sogar das größere Problem. Kein Zufall, dass die Grünen in diesen lästigen Umfragen zulegen wie sonst niemand. Nach, grob gesagt, rechts hat die ganze Parteispitze seit drei Jahren ausgiebig geblinkt, schon weil das Pochen auf Sicherheit und Ordnung immer ein Erfolgsgarant war. Die AfD hat das Geblinke nicht kleiner gemacht. Dafür wendet sich erst still und leise und inzwischen sogar lautstark das liberale Publikum ab, die Kirchgänger dazu, die das Gleichnis vom Samariter ernst nehmen.

Söder, als er sich im Festzelt von Anger ein bisschen warm geredet hat, fängt das Kapitel „Flüchtlinge“ denn auch mit einem „großen Dankeschön“ für alle Helfer an: „Wenn es um Humanität geht, dann kann Bayern, dann steht Bayern, dann macht Bayern.“ Anders übrigens als dieses Berlin, wo die Leute „tagelang auf der Straße campiert“ hätten. Söder ist auch „für offene Grenzen“ und für Freiheit sowieso. Nur, bitteschön, die Haustür könne man ja auch erst offen lassen, wenn der Gartenzaun dicht sei.

Auf den Applaus kann er sich nicht verlassen

An der Stelle gibt es immer Applaus aus den vorderen Biertischbänken, wo die CSU-Getreuen sitzen. Auch dafür, dass „der Schutz unserer Bevölkerung immer noch an erster Stelle“ komme, kriegt er Beifall. Söder hatte nach „diesem Sonntag“ die Flüchtlingsfrage fast völlig aus dem Repertoire genommen. Jetzt spricht er sie wieder an, schon weil sie praktisch die Einzige ist, bei der es berechenbar Applaus gibt. Aber das Klatschen – auch das zeigt ja die Erfahrung der letzten Wahlkämpfe – ist oft ein genau so unzuverlässiger Indikator wie die Meinungsumfragen; schon Helmut Kohl zog einst umjubelt der Niederlage entgegen.

Übrigens merkt man, wenn man im Festzelt dem Redner nahe sitzt, wie’s am Söder zerrt. Der Mann ist ein rhetorischer Kraftbolzen. Der könnte hier locker eine Rede halten, die das Zelt zum Toben bringt. Darf er aber nicht. Nicht über das Thema. Nicht über Merkel. Nicht über den extra zum Aufräumen nach Berlin entsandten Bundesinnenminister von der CSU mit seinem famosen „Masterplan“.

Wobei, von Berlin ist schon viel die Rede auf der Angerer Festwiese. Es muss sich dabei, wenn man dem Markus Söder so zuhört, um eine gespenstisch unwirtliche Gegend handeln, wo die Flughäfen nicht funktionieren, „No-Go-Areas“ das Stadtbild prägen und obendrein das ganze schöne bayerische Geld verprasst wird: „Nur der Fleiß der Bayern hält andere Bundesländer über Wasser!“

Ob sie das wirklich glauben, die Männer vom Trachtenverein, die sich vorn an den Tischen zuprosten? Der Mittvierziger, der am Schuss bei der Bayern- Hymne die Hand aufs Herz legt? Die Jungen ein paar Bänke weiter hinten, die bestimmt schon mal auf Klassenfahrt in der Hauptstadt waren?

Vermutlich ist sogar das Ergebnis egal

Oder merken sie, dass sich der Mann da vorn einen Popanz hingestellt hat, damit er wenigstens auf irgend etwas draufhauen kann? Sonst ist ja niemand da, nur diese diffuse Gegenbewegung bis tief in die eigenen Reihen hinein. Keinen kann der Kämpfer Söder ernsthaft zum Duell fordern, keine Zwölf-Prozent-SPD, keine Grünen, nicht mal alle zusammen. Er bleibt Ministerpräsident, komme was wolle. Vermutlich ist sogar das Ergebnis egal. Sollte Seehofer je davon geträumt haben, den Nachfolger nach einer Wahlschlappe wieder abzuservieren – an „diesem Sonntag“ hat er seinen Kredit verspielt.

Egal ist das Ergebnis trotzdem nicht. Bayern geht ohne Alleinherrschaft nicht unter. Bei der CSU ist das nicht so sicher. Vielleicht bliebe ihr irgendwann gar nichts anderes übrig als die Flucht in eine bundesweite Partei. Aber das mag sich Söder lieber gar nicht so genau vorstellen. „Bayern ist und bleibt das stärkste Land der Welt“, ruft er zum Schluss seiner Rede ins Zelt. „Die Kernfrage ist jetzt: Bleiben wir so – oder werden wir wie Berlin?“ Nur die CSU, nur die garantiere Stabilität in den Stürmen der Zeit, und nur einer wie er: „I bin da Markus, da bin i dahoam, und da will i bleib’n!“ Die vorderen fünf Bankreihen springen auf zum Applaus. Die hinteren elf bleiben sitzen. Immerhin klatschen viele mit. Söder späht vom Pult nach hinten. Kein Protest, keinen verjagt – mehr ist nicht drin dieser Tage.

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