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Klare Linie in Design und im nachhaltigen Küchenkonzept: das Herz & Niere

© Herz & Niere / promo

Von TISCH zu TISCH - die Restaurantkritik: Herz und Niere

Zur Eröffnung vor fünf Jahren war es ein mutiger Pionierbetrieb, heute ist das Restaurant etabliert – und immer noch weit vorn.

Vertrauen ist einer der wichtigsten Grundbausteine der Gastronomie. Wir vertrauen darauf, dass Menschen, die professionell hinter dem Herd stehen, hygienische und handwerkliche Mindeststandards beherrschen – das ist die Basis, die an jeder Würstchenbude gilt. Je teurer das Essen wird, desto mehr Vertrauen ist notwendig, denn gezahlt werden muss ja auf jeden Fall, wenn nicht gerade was Großes danebengeht. Wird das Essen, wird das gesamte Erlebnis seinen Preis und den hohen Zeitaufwand wert sein? Das fragen wir uns vor allem, wenn es nur ein einheitliches Menü ohne Alternativen gibt. Das meiste Vertrauen beanspruchen Köche, die nicht einmal mehr eine Speisekarte schreiben. Für sie hat das nur Vorteile, denn es muss nichts vorbereitet werden, was dann womöglich übrig bleibt, und es können kleine Mengen verarbeitet werden, für die sich das Aufschreiben nicht lohnt.

Damit wären wir im Kreuzberger „Herz & Niere“, das eben statt einer Speisekarte längst nur noch drei Überraschungsmenüs variabler Länge anbietet: normal, mit Innereien, vegetarisch. Die Grundidee ist klar: Man möchte einerseits vom geschlachteten Tier alles verarbeiten, andererseits aber eine fleischlose Alternative bieten. Das Restaurant existierte im Mai fünf Jahre, ein erstaunlicher Erfolg angesichts so strenger Vorgaben. Und natürlich haben sich Küche und Menükombinationen seitdem stark verändert. Aktuell ist das ein Ort für genussvolles, gut abgestimmtes Essen, das sich in der Berliner Nova-Regio-Szene gut behauptet und seinen Preis unbedingt wert ist: Vier Gänge kosten 52 Euro (vegetarisch 48), jeder weitere 12. Es ist möglich, wenn nicht gar erwünscht, dass die Gäste die Menüs mischen und im Idealfall „macht mal fünf Gänge querbeet“ sagen.

Christoph Hauser, der Küchenchef, setzt nach wie vor auf eine gewisse Bodenständigkeit, verarbeitet ganze Tiere und macht deshalb sogar erstaunlich gute Wurst, die es zum Aperitif gibt. Die Aromen der regionalen Produkte lässt er, wie sie sind, arbeitet ungewöhnliche Nuancen wie den weitgehend weggezüchteten Bitterton des Chicorees sogar eigens heraus. Es gab ihn zuletzt mit Staudensellerie, Blumenkohlkrümeln und Pimpinelle-Blättern, das war vermutlich sogar vegan; eine interessante Nuance brachten die eingeweckten Brombeeren vom Vorjahr mit, die zwar farblich verblasst waren, aber mit ihrer süß-säuerlichen Würze nicht nur diesen Gang mit innerer Spannung und sensorischer Vielfalt anreicherten.

In Deutschland gibt es vermutlich nur hier eine Terrine vom Kuh-Euter, aufgeschnitten in dünne Scheiben, attraktiv angerichtet mit Roten Beten, Mairübchen und cremigem Kräutereis – das war wirklich klasse und belegte den Nutzen des Konzepts. Denn: Hätten wir es bestellt? 

Der Saibling auf Spargel brachte den herben Löwenzahn mit Blättern und eingemachten Knospen ins Spiel, auch so ein vergessenes Produkt von hohem Reiz. Zur Hühnerleber gab es kräftige kleine Leberknödel, Bohnenstreifen und Graupen, zum Aal die Aal-Leber, Meerrettich und gerösteten Broccoli in Lauchbutter, zum gebackenen Sellerie violette Möhren, Fichtensprossensud und Aniskraut, zum Rhabarberkompott mit Rhabarberschaum ein Eis aus dem Gundermann-Kraut.

Der Gast muss sich darauf einlassen, das ist kein banales „Comfort Food“ – aber es lohnt sich. Co-Patron Michael Köhle und Sommelière Victoria Kniely sind eines der besten Teams der Branche in der Stadt, zuvorkommend, kenntnisreich, locker, aber immer mit dem großen Überblick. Die rund 600 Positionen der Weinkarte erfüllen nahezu jeden teuren Traum, aber auch im bezahlbaren Bereich ist viel Gutes dabei, was auch glasweise angeboten wird. Typisch Kreuzberg, und ideal für aufgeschlossene Gäste. Netter Vorgarten! Bernd Matthies

Herz & Niere, Fichtestraße 31, Kreuzberg, Tel. 69 00 15 22, Di–So ab 18 Uhr

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