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Víkingur Ólafsson

© Ari Magg

Víkingur Ólafsson: "Bach ist der größte Künstler aller Zeiten"

Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson ist in dieser Spielzeit Artist in Residence im Berliner Konzerthaus. Eine Begegnung mit dem Mann aus dem Norden.

Neulich im Kleinen Saal des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt: Ein höflicher junger Mann tritt vors Publikum, bittet aufgrund der Kürze der Stücke darum, dass nicht zwischendrin, sondern erst am Schluss applaudiert wird – und spielt ausschließlich Johann Sebastian Bach. Mit einer Kristallinität und Klarheit, die die polyphonen Strukturen der Präludien, Fugen und vor allem der „Aria variata“ BWV 989 so klar und deutlich hörbar macht, als lägen sie unterm Mikroskop. Und die trotzdem alles andere als laborhaft steril ist, sondern durchflossen von Leidenschaft, Herzblut, Empathie. Ja, J.S. Bach bildet für Pianist Víkingur Ólafsson, der in dieser Spielzeit auf Einladung von Intendant Sebastian Nordmann Artist in Residence des Konzerthauses ist , die Herzkammer aller heutigen Musik, der Ursprung, das Zentrum. „Er ist der größte Künstler aller Zeiten, Shakespeare und Michelangelo eingeschlossen“, sagt der 25-Jährige. „Weil seine Partituren keinerlei Anweisungen zu Tempo oder Charakter der Stücke enthalten, musst du alles selbst machen, du wirst quasi zum Mit-Komponisten. Bach enthüllt, wer du bist.“

Wie findet einer, der in Reykjavik geboren wurde, der Hauptstadt der Vulkaninsel Island im Nordatlantik, den Weg zur Musik des Leipziger Thomaskantors? Es war, wie so häufig, ein Elternteil, in diesem Fall die Mutter Svana Víkingsdóttir, prägend für die Karriere des Sohnes. Dass sie selbst Pianistin ist – und an der West-Berliner HdK studiert hat –, war sicher von Vorteil. „Berlin hatte schon lange vor dem Mauerfall diese Anziehungskraft als Kultur- und Musikhauptstadt Europas, wenn nicht der Welt, der sich auch meine Mutter nicht entziehen konnte“, sagt Olafsson. Der übrigens, auch solche Details erfährt man im Gespräch mit ihm, deshalb einen anderen Nachnamen trägt, weil es auf Island keine festen Familiennamen gibt, nur die Anhängsel „dóttir“ (Tochter von... ) und „son“ (Sohn von... ). Jede Generation heißt anders, sein Vater Ólafur Óskar Axelsson, sein Sohn Ólafur Magnús Víkingsson. Ein weltweit einzigartiges System, das, so Víkingur Ólafsson, Vor- und Nachteile hat: Die Familienidentität ist nicht so stark ausgeprägt, dafür der Sinn für persönliche Individualität wesentlich stärker.

Graduell nach oben gearbeitet

Nach seinem Studium an der New Yorker Juilliard School und einem Intermezzo in Oxford, wo seine Frau studiert hat, zieht er 2012 nach Berlin, er wohnt in Pankow („Da ich zwar in Reykjavik geboren, aber in Berlin gezeugt wurde, war das in gewisser Weise eine Rückkehr“). Aber dass aus Víkingur Ólafsson ein erfolgreicher Pianist werden würde, war damals alles andere als ausgemacht. Er hatte lange keinen Manager, es gab keine isländischen Künstlerkollegen, die ihm Türen hätten öffnen können. Immerhin, mit Islands größter Künstlerin Björk ist er mal im Fernsehen aufgetreten. „Ich habe mich graduell nach oben gearbeitet und einfach jedes Konzert so gespielt, als sei es das wichtigste meines Lebens“, erzählt er.
Er gründete das Reykjavik Midsummer Music Festival und stattete es jedes Jahr mit einem anderen Motto aus, etwa „Anachronismus“: Da wurden vor allem Werke präsentiert, die aus ihrer Zeit gefallen schienen, wie die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss.
Seine Beharrlichkeit zahlte sich irgendwann doch aus. Philip Glass hörte eine Aufnahme Víkingur Ólafssons, er lud ihn ein, im Londoner Barbican Centre zu spielen. Daraus entstand eine Freundschaft – und 2016 Olafssons erste CD für Deutsche Grammophon, mit Glass’ „Étüden für Klavier“. „Als Debüt bei Deutsche Grammophon nichts von Brahms, Beethoven oder Schumann zu wählen, sondern Philip Glass, das war schon eine Überraschung“, erzählt Víkingur Ólafsson. Als 2018 dann das zweite Album erschien, enthielt es – natürlich – ausschließlich Musik von Bach, darunter drei Präludien und Fugen aus dem „Wohltemperierten Klavier“, die Fantasie und Fuge a-Moll BWV 904 – das Programm, mit dem sich Víkingur Ólafsson auch bei seinem Rezital im Konzerthaus vorgestellt hat. Wenn man so will, sind seine beiden CDs ein schönes Symbol, stehen sie doch für Amerika und Europa, so wie Island geografisch und kulturell an beiden Kontinenten Anteil hat.

"Ich kann nur hoffen, Víkingur Ólafsson zu sein"

Worauf also darf sich das Berliner Publikum bei Víkingur Ólafssons Residency – die insgesamt 14 Konzerte umfasst – in Kürze freuen? Am 17. November tritt er mit dem Iceland Symphony Orchestra auf und interpretiert „Processions“, das Dirigent Daníel Bjarnason 2009 für ihn geschrieben hat – bevor die 5. Symphonie eines anderen Nordeuropäers erklingt, des Finnen Jean Sibelius. In drei Konzerten vom 28.-30. November spielt er mit dem Konzerthausorchester und Christoph Eschenbach am Pult Edvard Griegs Klavierkonzert. Französisch wird es am 16. Januar 2020, dann erläutert Víkingur Ólafsson in einem Gesprächskonzert die Parallelen der Musik von Jean-Philippe Rameau und Claude Debussy. Die „New York Times“ hat ihn übrigens „Iceland’s Glenn Gould“ genannt. Víkingur Ólafsson geht mit solchen Vergleichen, die ja durchaus das Gegenteil von dem erreichen können, was sie wollen, entspannt um: „Wenn mir jemand zuhört, bin ich immer dankbar. Aber ich kann immer nur versuchen, die beste Version von mir selbst zu sein. Ich kann nur hoffen, Víkingur Ólafsson zu sein.“

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