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Ernte und Ertrag. Wer in Start-ups investiert, kann sein Geld vermehren. Aber es gibt auch ein Risiko.

© iStock/ Montage

Wenn der Schwarm irrt: Das Crowdinvesting gerät in die Krise

Seit fünf Jahren können sich Kleinsparer per Crowdinvesting an Start-ups beteiligen. Nun gehen Firmen pleite, Anleger werden herausgedrängt. Eine Branche gerät in Erklärungsnot.

Von Carla Neuhaus

Das Geld ist nur ein paar Klicks entfernt. Das wissen die vier Gründer von Tollabox aus Erfahrung. Ihre Geschäftsidee: Kisten mit Kinderspielzeug und Bastelanleitungen, die Eltern im Abo bestellen. Kunden fanden sie dafür schnell. Dennoch brauchten die Tollabox-Macher vor drei Jahren Geld, um zu wachsen. Die vier meldeten sich auf einer Internetplattform an, die Gründer mit Kleinanlegern zusammenbringt. Gerade einmal 36 Stunden dauerte es, da hatten sie 300 000 Euro bei Sparern eingesammelt. Zwei Mal erhöhten sie das Finanzierungsziel, zwei Mal gingen die Anleger mit. Insgesamt investierten Kleinsparer so 600 000 Euro bei ihnen. Doch an dieser Stelle endet die Erfolgsgeschichte. Ihr Geld sehen die Anleger nicht wieder, die Gründer mussten Insolvenz anmelden.

Das Risiko für die Anleger ist groß

Das ist die Kehrseite des Start-up-Booms. Eine Seite, die Politiker gerne übersehen, wenn sie die wachsende Gründerszene in Berlin loben: So viel man mit diesen jungen, aufstrebenden Firmen verdienen kann, so viel mehr Geld kann man mit ihnen verbrennen. Selbst dann, wenn die Geschäftsidee super klingt, das Team motiviert ist: Vor einer Pleite ist keiner gefeit – weder Gründer noch Anleger. Im schlimmsten Fall droht der Totalverlust, daraus macht keiner einen Hehl. Doch wenn das Risiko, alles zu verlieren, so groß ist, sollten Kleinanleger es überhaupt wagen? Sollten Sparer Firmen in einer Phase Geld leihen, in der selbst Banken meist abwinken? Es sind Fragen, die längst nicht nur Verbraucherschützer umtreiben. Auch manch ein Gründer hat inzwischen Zweifel an der Finanzierung aus der Crowd.

Waren es anfangs nur Großinvestoren, die Start-ups ihr Geld liehen, können sich seit gut fünf Jahren auch Kleinsparer an ihnen beteiligen. Sie geben Geld für die Entwicklung und bekommen dafür als Erste das fertige Produkt – das nennt sich dann Crowdfunding. Oder sie geben Geld für Gründer mit der Chance, die Summe nach ein paar Jahren vervielfacht zurückzubekommen – so funktioniert Crowdinvesting. Die Idee: Viele Menschen investieren zusammen in eine Firma, teilen sich Risiko und Erfolg. Doch so euphorisch Anleger wie Gründer zunächst waren, so groß ist inzwischen die Enttäuschung.

Geht das Geschäftsmodell nicht auf, ist das Geld weg

Dabei hat alles so vielversprechend begonnen. Auch bei Tollabox. In jeder ihrer Kisten sollte etwas zum Basteln stecken, zum Lesen und Hören. Dazu gab es weitere Tipps, wie man Kinder pädagogisch sinnvoll beschäftigen kann. Bei den Eltern kam das gut an, nach wenigen Monaten hatten bereits 2500 Kunden die Tollabox abonniert. Das Problem war nur: Auch wenn die Eltern von den Spielzeugkisten begeistert waren, wollten sie nicht ständig eine neue zugeschickt bekommen. Nach acht Monaten kündigten die meisten ihr Abo – damit sich das Geschäftsmodell trägt, hätten sie jedoch elf Monate oder länger dabeibleiben müssen. Als dann auch noch ein Großinvestor absprang, war das Start-up zahlungsunfähig. „Unser Geschäftsmodell hat sich schlechter entwickelt, als wir das geplant hatten“, sagt Gründer Tobias Zumbült heute.

Dabei ist Tollabox nur ein Beispiel von vielen Start-ups, die Geld bei der Crowd eingesammelt haben und dann scheiterten. Auch die Berliner Yogastudiokette Unyte Yoga hat Geld bei Schwarminvestoren geliehen und später Insolvenz angemeldet. Ebenso wenig ist etwas aus der Idee von Vibewrite geworden, einen Stift zu verkaufen, mit dem Handgeschriebenes digitalisiert werden kann. Berater Peter Barkow stuft bereits jedes zehnte Unternehmen, das Geld bei der Crowd eingesammelt hat, als Problemfall ein: Das heißt, es ist in die Insolvenz gegangen oder steht kurz davor. Die Ausbeute der Anleger ist entsprechend mau. Während seit 2013 nur eine Million Euro ausgeschüttet worden sind, haben die Kleininvestoren zehn Millionen Euro verloren.

Manche sehen Parallelen zum Neuen Markt

Großinvestoren wie Hendrik Brandis fühlen sich deshalb bereits an den Neuen Markt erinnert. Auch damals, Ende der neunziger Jahre, haben Kleinsparer ihr Geld in junge Firmen gesteckt und vom großen Gewinn geträumt. Doch statt den Jackpot zu knacken, haben sie nach dem Platzen der Dotcom-Blase viel Geld verloren. „Wie damals wollen Kleinanleger auch heute wieder mitspielen, ohne dass die meisten von ihnen beurteilen können, in was sie da eigentlich investieren“, sagt Brandis, Partner beim Berliner Wagniskapitalgeber Earlybird. Auch er legt sein Geld in Start-ups an – doch anders als die Kleinanleger dreht er bei den Firmen jeden Stein um, bevor er investiert. Drei bis sechs Monate prüfen seine Mitarbeiter die Zahlen, holen Referenzen ein, analysieren den Markt. Einen so tiefen Einblick können Kleinanleger gar nicht bekommen. Das Risiko sei für sie deshalb viel zu groß, meint Brandis. Zumal es nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal sei, wenn eine Firma sich Geld bei Kleinanlegern leiht. Im Gegenteil. „Oft ist das eine Verzweiflungstat.“

Die Plattformen, die Kleinanleger und Start-ups zusammenbringen, sehen das naturgemäß anders. So heißt es beim Schwarmfinanzierer Companisto, jeden Monat würden sich bei ihnen bis zu 100 Firmen bewerben. Doch nur knapp ein Prozent von ihnen werde angenommen, so gründlich würden die Unternehmen im Vorfeld geprüft.

Anleger wollen am Start-up-Boom teilhaben

Anleger wie Jörg Diehl vertrauen darauf. Der 49-Jährige aus Frankfurt am Main schätzt es, sich über die Crowd auch als Kleinsparer an Start-ups beteiligen zu können. Im Hauptberuf ist Diehl Flugbegleiter, in seiner freien Zeit durchforstet er die Geschäftspläne junger Gründer. 250 und 1000 Euro steckt er per Crowd in eine Firma, an 60 Unternehmen hat er sich bereits beteiligt. Gewinne und Verluste halten sich derzeit bei ihm die Waage, sagt er. Auf den großen Erfolg wartet Diehl zwar noch, doch er ist guter Dinge. Schließlich zahlen Start-ups nach Plan ihre Crowdinvestoren erst nach vier bis fünf Jahren aus.

Das Problem ist nur: Bei Start-ups läuft oft vieles eben nicht nach Plan. Ihre Pleite ist dabei nur ein Risiko, das Kleinanleger tragen. Ein anderes ist der Erfolg der Firma. Denn auch wenn sich das Geschäft zu gut entwickelt, ist die Crowd schnell draußen. Das ist meist dann der Fall, wenn ein Großinvestor anklopft. Denn der sieht es nicht gerne, wenn neben ihm hunderte Kleinsparer an der Firma beteiligt sind. Oft stehen die Gründer dann vor der Wahl: Sie nehmen das Geld vom Großinvestor und schmeißen die Crowd raus. Oder sie verzichten auf das frische Kapital.

Läuft das Geschäft zu gut, fliegt die Crowd raus

Passiert ist das etwa bei Bloomy Days, einem Berliner Start-up, das Blumensträuße im Abo verkauft. 100 000 Euro sammelte Gründerin Franziska von Hardenberg 2012 bei der Crowd ein. Die Anleger rissen sich geradezu um die Beteiligungen: Bereits nach 19 Minuten hatte von Hardenberg das Geld zusammen. Doch als dann ein Großinvestor bei ihr einstieg, stellte sie die Anleger vor die Wahl: Sie geben ihre Anteile gegen eine Rendite zurück – oder akzeptieren neue Konditionen. Von Hardenberg begründet den Schritt heute so: Erst dem Großinvestor sei aufgefallen, dass der Crowdinvesting-Vertrag einen Haken hatte. Das Start-up hatte sich verpflichtet, die Anleger am Umsatz zu beteiligen – was fatale Folgen hätte haben können. Schließlich machen Start-ups schnell viel Umsatz, aber nicht zwangsläufig auch schnell viel Gewinn. Die Anleger hatten dennoch wenig Verständnis, sie fühlten sich herausgedrängt. Einer schreibt, das zeige, „wie Crowdinvestoren billig abgespeist werden“. In diesem Fall: Abgespeist mit einer Rendite von 30 Prozent.

30 Prozent? Das klingt für Laien nach einem sehr guten Geschäft. Sparer, die mickrige Zinsen gewöhnt sind, können davon nur träumen. Doch in der Welt der Crowdanleger sind 30 Prozent nicht viel. Die Rendite, die sie an der einen Stelle kassieren, muss die Verluste an anderen Stellen wettmachen. Bedenkt man, wie viele Start-ups scheitern, müsse die Rendite dreistellig sein, sagen Experten.

Streit gibt es auch oft über den Unternehmenswert

Verbraucherschützer sind daher skeptisch, was das Crowdinvesting angeht. Und zwar auch, weil Gründer der Crowd einen Unternehmenswert nennen müssen, auf dessen Basis ihre Beteiligungsquoten berechnet werden. Elisabeth Nanakkal vom Projekt Marktwächter Finanzen hält es für fraglich, wie realistisch diese Angaben sind: „Die Crowdinvesting-Plattformen legen nicht offen, wie diese Unternehmensbewertung zustande kommt.“ Das Berliner Start-up Foodies hat zum Beispiel eine Bewertung von 5,5 Millionen Euro angegeben, um Geld bei der Crowd einzusammeln: Jetzt ist es erfolgreich verkauft worden – für zwei Millionen weniger.

Bei Anlegern hinterlässt das Fragezeichen. Umso wichtiger ist, dass sie wissen, worauf sie sich einlassen. Wer per Crowd in junge Firmen investiert, erwirbt nämlich meist ein partiarisches Nachrangdarlehen: eine Beteiligung mit vielen Nachteilen. Geht die Firma pleite, sind die Anleger die Letzten, die ausgezahlt werden. Auch haben sie keinerlei Mitspracherecht. So etwas wie eine Hauptversammlung, bei der sie Frust und Fragen loswerden, gibt es für die Crowd nicht.

In Frankreich bekommen die Anleger Mini-Aktien

Selbst Branchenvertreter sehen das Nachrangdarlehen kritisch. Theoretisch würde es bessere Formen geben, um die Anleger am Erfolg zu beteiligen, sagt Jamal El Mallouki, Vorsitzender des Bundesverbands Crowdfunding. Er denkt etwa an Aktien. Dass es für die Crowd dennoch nur das Nachrangdarlehen gebe, liege am Gesetzgeber. Denn nur beim Nachrangdarlehen gilt eine Ausnahme für Schwarmfinanzierer: So müssen die Firmen erst dann einen Anlageprospekt veröffentlichen, wenn sie mehr als 2,5 Millionen Euro einwerben wollen. In Frankreich dürfen die Start-ups dagegen eine Art Mini-Aktien an die Crowd ausgeben: Weil sie frei handelbar sind, können sich die Anleger von ihnen zum Beispiel schneller trennen. „Auch deshalb hat Frankreich uns beim Volumen des Crowdinvestings überholt“, sagt El Mallouki.

Hierzulande distanzieren sich inzwischen selbst Gründer zunehmend von der Schwarmfinanzierung. So sagt Tobias Zumbült, einer der Tollabox-Macher, bei seiner nächsten Neugründung würde er eher aufs Crowdinvesting verzichten. Derzeit berät Zumbült Konzerne in Sachen Digitalisierung. Damit will er langfristig genug Geld zu verdienen, um sein nächstes Start-up anfangs selbst finanzieren zu können. Und zwar nicht bis die Crowd einsteigt. Sondern bis er einen ganz normalen Bankkredit bekommt.

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