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Wie lange soll eine Garantie gelten? 24 Monate? Oder 36?

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Verbraucherschutz in der EU: Sicher shoppen

Vom Schadenersatz bis zur Rücknahmepflicht: Das EU-Parlament will Verbraucherrechte harmonisieren. Das ist nicht einfach im digitalen Zeitalter.

Das ist ärgerlich. Um das Spiel des Lieblingsvereins zu sehen, hat der Kunde eigens eine App im Internet heruntergeladen. Nicht eine der vielen Gratis-Anwendungen, die es gibt, sondern eine kostenpflichtige. Und dann springt die App nicht an. Es funktioniert nicht, die Minuten nach dem Anstoß rinnen dahin. An wen soll sich der Fußballfan wenden? Hat er eine Chance, Schadenersatz für die entgangene Spielfreude zu bekommen? Bislang ist es schwierig. Wer es versucht, scheitert. Um die Rechte des Verbrauchers bei digitalen Dienstleistungen ist es in der Welt des Internets noch schlecht bestellt.

Das könnte sich bald ändern. Brüssel hat sich vorgenommen, die Rechte von Verbrauchern an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Die Kommission hat dafür im vergangenen Jahr einen Vorschlag gemacht, jetzt läuft das parlamentarische Verfahren. Gerade haben sich die beiden Spezialisten im Europa-Parlament, Evelyne Gebhardt (SPD) und Axel Voss (CDU), die Berichterstatter in diesem Gesetzgebungsverfahren, abgestimmt. Ihr Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, wird derzeit in die offiziellen EU-Sprachen übersetzt und Ende November erstmals in den Ausschüssen im Parlament diskutiert.

Die EU hat sich damit viel vorgenommen. Bislang hat sich kein EU-Mitgliedsland zugetraut, eine vergleichbare Regelung zu treffen. Das ist kein Zufall: Es ist kompliziert, weil die Geschäftsmodelle im Netz, zu denen die neuen Vorschriften passen müssen, vielfältig sind und permanent neue dazukommen. Der Anspruch der gesetzgeberischen Operation ist also groß. Noch ist nicht absehbar, ob sich die EU dabei nicht übernimmt.

Daten sind die Währung im Netz

Zurück zur defekten Fußball-App: Die meisten Apps sind in diesen Tagen gratis. Der Verbraucher zahlt für die digitale Dienstleistung also kein Geld. Irgendwie zur Kasse gebeten wird er dennoch, er zahlt ja mit seinen Daten. Die App verschafft sich Zugang zu vielen persönlichen Daten des Benutzers. Es geht um seine Kontakte in den sozialen Netzwerken, es geht um seine Bewegungsdaten, um seine Fotos. Es geht häufig um den Datenschatz, aus dem dann für den Adressaten Werbung zusammengestellt wird. Daten sind die Währung, mit der im Netz bezahlt wird. An dieser Stelle plant Brüssel eine regelrechte Revolution. Künftig sollen die persönlichen Daten, die der Verbraucher Google, Facebook und Co. zur Verfügung stellt, rechtlich behandelt werden wie Geld. Das heißt: Die Daten sollen künftig vertragsrechtlich als geldwerte Gegenleistung angesehen werden. Sie sind damit die Basis dafür, dass der Verbraucher völlig neue Ansprüche gegenüber den Digital-Unternehmen erwirbt. Auch bei Apps und anderen Dienstleistungen, bei denen kein Geld fließt, bekommt der Verbraucher dann den Anspruch zu reklamieren oder Schadenersatz geltend zu machen. Etwa wenn die App einen Trojaner enthält und Schaden am Handy anrichtet. Im Fall der defekten Fußball-App könnte dies heißen: Auch bei einer Kostenlos-App könnte der Fan, der das Tor seiner Lieblingsmannschaft in der 15. Spielminute verpasst, dann Schadenersatz fordern.

Noch ist es Zukunftsmusik. Dass aber Daten demnächst wie Geld behandelt werden sollen, ist unumstritten. Ebenfalls einig sind sich die beiden Experten aus dem Parlament über den zweiten großen Schritt bei den Rechten von Verbrauchern. Künftig soll es keinen Unterschied mehr machen, auf welchem Vertriebsweg ein Geschäft zustande kommt. Derzeit ist es noch so: Wer im Netz kauft, der hat in Deutschland das Recht, binnen 14 Tagen von dem Geschäft zurückzutreten. Das gilt zum Beispiel für ein Buch, das wenige Euro im Onlineshop kostet. Wer das Buch in einer Buchhandlung kauft, hat dieses Recht nicht. Zumindest nicht in Deutschland. In anderen EU-Ländern sieht es anders aus. In Portugal und dem Vereinigten Königreich kann man vom Kauf binnen einer Frist ohne Angabe von Gründen zurückzutreten.

Das Ziel: Gleiche Rechte beim Kaufen – online und im Geschäft

Die beiden Experten aus dem Europaparlament streben EU-weit jetzt eine einheitliche Regelung an: Künftig gelten bei einer CD, die im Geschäft gekauft wird, die gleichen Verbraucherschutzrechte wie bei einer CD, die im Onlineshop erworben wurde, und auch dann, wenn der Verbraucher die Musik gegen Geld aus dem Internet bezieht.

Geklärt ist damit auch, wie mit jenen internetfähigen Verbrauchsgütern umzugehen ist, die voll digitaler Technik sind. Zum Beispiel mit Autos, die autonom fahren. Deren Computer mit anderen Computern kommunizieren, Daten sammeln und austauschen. Oder der Kühlschrank, der online Fischstäbchen ordert, wenn sich die Bestände dem Ende zuneigen. Welches Recht gilt, das für Autos und Kühlschränke, oder das für Software-Produkte? Künftig soll eine Unterscheidung nicht mehr nötig sein. Der Verbraucher soll die gleichen Rechte haben.

So weit sind sich Voss und Gebhardt einig. Damit endet aber das Einvernehmen. Uneinig sind sich beide, wie die Verbraucherschutzrechte konkret durchbuchstabiert werden sollen. Es geht um Fragen wie die Dauer der Garantie. In Deutschland sind es etwa 24 Monate, in Frankreich gelten 36 Monate. Oder darum, wie viele Monate nach dem Kauf der Kunde einen Defekt reklamieren kann: nur sechs oder 36 Monate?

Für Evelyne Gebhardt steht der Verbraucherschutz im Mittelpunkt. "Ich will auf keinen Fall, dass bestehende Verbraucherschutzrechte auch nur in einem Mitgliedstaat der Union durch die Richtlinie infrage gestellt werden." Sie werde sich dafür einsetzen, dass EU-weit "ein hohes Schutzniveau bei Käufen verankert wird, unabhängig vom Vertriebsweg". Ihr Kollege bei den Christdemokraten ist von Haus aus Rechtspolitiker, Axel Voss setzt daher andere Prioritäten. "Ich plädiere für klare Regelungen für alle Beteiligten. Ich möchte, dass nicht neue Hürden für Unternehmen aufgebaut werden, die ins Geschäft einsteigen wollen." Er setzt sich etwa dafür ein, dass die neue Datenschutz-Grundverordnung, die die EU gerade erst verabschiedet hat und die 2018 in Kraft tritt, auch bei den digitalen Inhalten gilt. Bei den Sozialdemokraten will man eher draufsatteln: "Die Grundverordnung sieht keine Regelung vor, wenn etwa die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) rechtswidrig sind. Das können wir nicht hinnehmen."

Der Text erschien in der "Agenda" vom 15. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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