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Plantage des Cannabis-Produzenten Tilray in Portugal

© AFP/PATRICIA DE MELO MOREIRA

Der Rausch hat gerade erst begonnen: Wie Cannabis zum Wirtschaftsfaktor wird

An der Börse erzielen Cannabis-Aktien spektakuläre Kursgewinne. Davon wollen viele Anleger profitieren – doch was sind die Risiken und Nebenwirkungen?

Seit 2017 können Ärzte Patienten mit Rheuma, Asthma, Multipler Sklerose, Migräne und vielen anderen Erkrankungen in Deutschland Marihuana verschreiben. 30.000 Deutsche sollen davon bereits Gebrauch gemacht haben. Auch in 20 anderen europäischen Staaten, in manchen US-Bundesstaaten und in anderen Ländern ist Cannabis, hochrein produziert und staatlich kontrolliert, für medizinische Zwecke inzwischen erlaubt. Doch vor allem die Freigabe für das Freizeit-Kiffen in Uruguay 2014 und in Kanada im Herbst 2018 hat die Anleger in eine Art Cannabis-Rausch versetzt.

Kursgewinne von mehreren tausend Prozent sind bei vielen Cannabis-Aktien keine Seltenheit. Anleger, die bereits früh auf die Branche aufmerksam wurden und beispielsweise mit Canopy Growth einen der großen Player im Markt noch als Pennystock an der Börse Toronto (Börsenkürzel WEED) gekauft hatten, hätten in der Spitze 290.000 Prozent verdienen können. Zwar hat die Branche inzwischen schon diverse Achterbahnfahrten bei den Kursen hinter sich. Dennoch hätte der Mutige, der vor sechs Jahren 1000 kanadische Dollar in die Marihuana-Aktie investiert hätte, heute 2,2 Millionen auf dem Konto.

Immer noch herrscht Goldgräberstimmung in der Branche, immer mehr Unternehmen wollen die krautige, einjährige Pflanze anbauen, zu Tabletten verarbeiten oder getrocknete Blätter als "Gras" beziehungsweise das Harz als Haschisch vermarkten. Vor allem in Kanada sprießen Firmen wie Pilze aus dem Boden. Denn nun könnte nach Colorado und Kalifornien auch in bis zu 18 anderen US-Bundesstaaten eine weitgehende Legalisierung anstehen.

In Europa hat sich Luxemburg in eine Vorreiterposition gebracht. Trotz erheblicher Widerstände aus Deutschland und Frankreich, die einen Kiff-Tourismus befürchten, plant das Großherzogtum im Herbst ein Gesetz zur Freigabe. Die Regierung in Luxemburg möchte Cannabis aus der kriminellen Ecke holen und den Staat mit einer – vielleicht 17-prozentigen – Steuer davon profitieren lassen.

Wie sich der Markt entwickelt

Ohnehin gilt Europa vielen kanadischen Unternehmen als Zukunftsmarkt. Aurora Cannabis etwa aus dem kanadischen Edmonton operiert in 24 Ländern und verfügt über Hanf-Produktionsstätten in Uruguay, Kanada, Dänemark und Portugal. Gerade hat das Unternehmen, das sich, anders als Canopy Growth, eher auf medizinisches Cannabis fokussiert, vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte das Okay für den Anbau in Deutschland erhalten. Ab Oktober 2020 will Aurora in Leuna jedes Jahr etwa eine Tonne Cannabis für den deutschen Markt ernten. Der Bund hat 2017 extra eine Cannabis-Agentur gegründet, die den Hanfanbau kontrollieren soll.

Zwar wird der private Cannabis-Konsum kleiner Mengen in Deutschland meist nicht verfolgt, dennoch stehen sowohl Anbau als auch Besitz, Kauf und Konsum weiter unter Strafe. Cannabis-Befürworter und auch Aktienbesitzer hoffen dennoch, dass sich der von Kanada und den USA ausgehende Trend zur Liberalisierung auch des privaten Marktes fortsetzt. Das Geschäft der Branche ist gigantisch. Allein in Deutschland werden Schätzungen zufolge pro Jahr etwa 200 bis 400 Tonnen illegal vermarktet und geraucht, zu Preisen von sechs bis 14 Euro je Gramm. Hinzu kommt die Nutzung für medizinische Zwecke.

Eine Legalisierung könnte die Branche zu einem Wirtschaftsfaktor werden lassen, der zwar mit zwei bis vier Milliarden pro Jahr deutlich unter der Zigarettenindustrie, beispielsweise aber über der Musikindustrie liegen könnte. Wenige Monate nach der Freigabe hat sich in Kanada der Cannabis-Verbrauch verdoppelt. Weltweit wurden 2017 nach Zahlen von BDA Analytics für legales Cannabis 9,5 Milliarden Dollar ausgegeben, vor allem in Kanada und den USA. 2022 könnten es 32 Milliarden sein, schätzt der Marktforscher.

Cannabis als Lifestyleprodukt ist in den USA en vogue, wie etwa diese Cannabis-Kekse in San Diego, Kalifornien.
Cannabis als Lifestyleprodukt ist in den USA en vogue, wie etwa diese Cannabis-Kekse in San Diego, Kalifornien.

© REUTERS

Das Marktpotenzial liege weltweit bei etwa 180 Milliarden Dollar. Andere Marktforscher sehen allein in Europa und nur für medizinisches Cannabis ein Marktpotenzial von etwa 110 Milliarden Dollar. Rechne man den privaten Freizeitkonsum hinzu, so können Summen zwischen 250 und 500 Milliarden Dollar pro Jahr zusammenkommen, glaubt Michael Lavery, Analyst bei der US-Investmentbank Piper Jaffray.

So investieren Sie in Cannabis

Anleger, die an die optimistischen Schätzungen glauben, stehen vor der Frage: Wer kann diese Potenzial am besten abschöpfen? Analysten der Berenberg-Bank sehen hier die Großen der Branche am besten positioniert, also vor allem die beiden Kanadier Canopy Growth und Aurora Cannabis. Marktführer Canopy, dessen Aktie mit 12,75 Milliarden. Euro ungefähr ebenso schwer ist wie die der Deutschen Bank, hat starke Partner im Boot.

Vor rund einem Jahr beteiligte sich der große Getränkehersteller Constellations Brands, bekannt vor allem durch Marken wie Corona, Tsingtao oder Black Velvet, zu 38 Prozent an Canopy – mit dem Ziel, zunächst vor allem für den kanadischen und den US-Markt cannabishaltige Getränke zu produzieren, also beispielsweise Softdrinks mit dem im Hanf enthaltenen Rauschmittel THC. Zudem streckt Canopy nach allen Seiten die Fühler aus: Gerade sicherte sich das Unternehmen das Recht, den US-Konkurrenten Acreage Holdings zu übernehmen, allerdings nur, wenn der Cannabis-Markt in den USA weiter legalisiert wird.

Die Umsätze mit Cannabis sollen weiter steigen.
Die Umsätze mit Cannabis sollen weiter steigen.

© Tsp/

In Deutschland schnappte sich Canopy das Cannabis-Geschäft von Bionorica und will stärker im medizinischen Bereich expandieren. Aurora wiederum hat sich mit Zukäufen von CannaMed und MedReleaf von den Kleineren in der Branche abgesetzt und konnte den Umsatz um 260 Prozent steigern. Beim Produzenten Cronis ist gerade der Marlboro-Hersteller Altria eingestiegen. Coca-Cola wiederum soll ein Auge auf Aurora geworfen haben.

Auch Aurora Cannabis, die ihren Umsatz zuletzt um 260 Prozent steigern konnten, oder Aphria, die ebenfalls zu den größeren Playern in der Branche und seit der Übernahme der rheinland-pfälzischen CC Pharma auch Importeur für den deutschen Markt, litten seit Herbst unter gesunkenen Kursen und einer Neubewertung der Branche, konnten sich inzwischen jedoch wieder deutlich erholen. Aphria liegt auf Jahressicht immer noch 27 Prozent im Minus, während Canopy und Aurora inzwischen wieder deutlich die Pluszone erreicht haben.

Welche Risiken gibt es?

Kritiker warnen Anleger vor allem vor Firmen, die noch keine Lizenzen besitzen oder mit nicht zertifizierten Produkten handeln. Vor allem bei Börsengängen versuchen Anleger, günstig an neue Marihuana-Werte zu kommen. So war der erste europäische Börsengang im Herbst 2018, StenoCare aus Dänemark, 20-fach überzeichnet. StenoCare besitzt eine Lizenz zur Herstellung, zum Import und zum Verkauf von Cannabis-Produkten in Dänemark. Hauptrisikofaktor ist der Preis für die Hanfpflanze, der sich bei zunehmender Legalisierung deutlich verringern könnte.

Auch die hohen Lagerbestände machen Analysten Sorgen. Erhebungen des kanadischen Gesundheitsministeriums ergaben einen Anstieg der Lagerbestände von getrocknetem Cannabis um 60 Prozent auf 30,8 Tonnen im ersten Quartal 2019. Weitere 143 Tonnen befanden sich in fast getrocknetem Status. Die Verkäufe hingegen stiegen nicht weiter. Wieder massiv steigende Kurse, geben Kritiker zu bedenken, seien also nur bei zusätzlichen Legalisierungen und erhöhter medizinischer Verwendung zu erwarten.

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