zum Hauptinhalt
Auch weiterhin herrscht Krisenstimmung an der Frankfurter Börse.

© dpa

Coronavirus: Was die fallenden Kurse sämtlicher Anleihen für Anleger bedeuten

Die Corona-Pandemie belastet die Anleihen von Staaten und Unternehmen enorm. Ein Überblick über einen Markt in Aufruhr.

An den Anleihemärkten bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. Die Kurse sämtlicher Staatsanleihen der Euro-Zone fallen massiv. Mit den Verkäufen reagieren Anleger auf die Multimilliarden-Hilfsprogramme aller betroffenen Staaten, die zu deutlich höheren Staatsverschuldungen bei gleichzeitigen starken Rückgängen der Wirtschaftsleistung führen werden. Gleichzeitig brauchen viele Großinvestoren nun Liquidität oder nehmen jetzt bislang aufgelaufene Kursgewinne mit. „Vermögensverwalter verkaufen alles, was noch einigermaßen liquide und nicht unter Wasser ist“, sagt Anleiheexperte Christoph Rieger von der Commerzbank. Ein Überblick über einen Markt in Aufruhr.

UNTERNEHMENSANLEIHEN

Besonders dramatisch ist die Lage bei Unternehmensanleihen. Während bei Staatsanleihen noch ein Handel möglich ist, liegt der Markt bei den Papieren von Konzernen weithin auf dem Trockenen, berichten Händler. Wer Firmenanleihen hält und sie zu Cash machen will, findet je nach Unternehmen derzeit keine Käufer mehr. So seien Lufthansa-Anleihen zum Beispiel praktisch unverkäuflich. „Die Preise, die auf den Bildschirmen angezeigt werden, sind nichts mehr wert“, sagte Friedrich Luithlen, der bei der DZ Bank für das Anleihegeschäft zuständig ist, dem „Handelsblatt“.

[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]

Die Rating-Agentur Moody’s gibt den Anlegern recht. Gestern stufte sie die Schulden der Lufthansa auf „Junk“ zurück. Damit gelten sie nun als Schrottpapiere – und das hat Folgen. Mit einem Ba1-Rating zählen Lufthansa-Anleihen nicht mehr zum „Investment grade“, also zu jenen Bonds, in die Fonds und andere große Investoren mit vertretbarem Risiko investieren können.

STAATSANLEIHEN

Bei Staatsanleihen verlangen neue Anleger nun querbeet deutlich höhere Zinsen für ihr Geld. Die zehnjährige deutsche Staatsanleihe, eine Art Messlatte für das Geschehen an den Märkten, ist inzwischen wieder bei einer Rendite von minus 0,28 Prozent angelangt. Am 9. März lag sie noch bei minus 0,909 Prozent. Die Renditen vieler Anleihen aus der EuroZone sind inzwischen sogar wieder deutlich in positives Terrain gedreht. Frankreich etwa muss für eine zehnjährige Verschuldung inzwischen wieder 0,40 Prozent zahlen. Am 9. März konnte sich Paris noch für minus 0,45 Prozent verschulden. Auch aus italienischen Staatspapieren flüchten die Anleger scharenweise. Am Markt wird spekuliert, es könne in Kürze zu höher verzinsten „Coronavirus- Bonds“ kommen, um klammen Staaten der Euro-Zone unter die Arme zu greifen. Auch Ifo-Chef Clemens Fuest warnte vor einem Vertrauenskollaps in hoch verschuldete Staaten der Euro-Zone, mit stark steigenden Zinsen. Hier müsste die Europäische Zentralbank signalisieren, dass Ausfälle ausgeschlossen seien.

Rom muss inzwischen für frisches Geld (zehn Jahre) wieder 2,87 Prozent hinblättern. Anfang März waren es nur 0,9 Prozent. Die Rating-Agentur Moody’s befeuerte den Ausverkauf weiter, indem sie den Ausblick für die Euro- Zone von „stabil“ auf „negativ“ senkte.

FOLGEN FÜR ANLEGER

Wer sein Geld in Anleihen deponiert und im Zuge des Crashs an den Aktienmärkten in Bonds getauscht hat, wird im Depot Achterbahnfahrten beobachten können. Denn zunächst bewegten sich Bonds wie im Lehrbuch: Wenn die Aktienmärkte crashen, steigen die Kurse von Anleihen, weil Anleger Sicherheit suchen. Vor allem deutsche, niederländische, amerikanische und finnische Staatsanleihen sind eigentlich stets beliebt, wenn die Börsen in raues Wasser gerieten.

Auch diesmal war das zunächst so: Erschreckte Anleger brachten ihr Geld in Anleihen in Sicherheit. Doch diesmal blieb es nur kurz dabei. Der Kurs einer zehnjährigen Staatsanleihe ist zunächst bis 9. März stark gestiegen, um seither massiv zu fallen. So ist die 30-jährige deutsche Staatsanleihe mit einer Restlaufzeit bis Januar 2030 seit 9. März von knapp 110 auf jetzt 102 gefallen, das ist ein Minus von 7,3 Prozent. Auch viele Anleihefonds sind im Minus, im Wochenvergleich oft zwischen zwei und sechs Prozent. Damit haben sie sich bisher dennoch besser gegen die Krise gestemmt als Aktienfonds. Hier liegt das Wochenminus häufig bei rund 25 Prozent.

Auch die weltweit am stärksten beachtete zehnjährige US-Staatsanleihe reagierte ähnlich: Lag die Rendite Mitte Februar noch bei 1,6 Prozent, kippte sie bis 9. März auf 0,318 Prozent ab, um sich seither wieder auf 1,08 Prozent zu erholen, bei fallenden Kursen.

Die massiven Schwankungen haben mit der Systematik von Anleihen zu tun. Wenn viele Anleihen kaufen und die Kurse steigen, erhalten neue Käufer den jährlich ausgezahlten fixen Zins (den Kupon) nur auf einen deutlich höheren Einstiegskurs. Der Gewinn gemessen am Kurs – die Rendite – sinkt also. Da alle deutschen Staatsanleihen, ebenso wie die meisten Langläufer aus der Euro-Zone, vor allem jene mit hoher Bonität, schon vor der Coronakrise nur negative Renditen abwarfen, drückten die zunächst massiven Käufe die Renditen weiter ins Minus. Die anschließenden Verkäufe ließen die Renditen umgekehrt wieder markant klettern. Dies löst derzeit weitere Verkäufe aus, denn Anleger trennen sich in Erwartung höher verzinster Titel von alten, niedriger verzinsten Papieren. Zudem wird überall Liquidität benötigt. Bei den Unternehmensanleihen ist der Renditeanstieg noch massiver, vor allem bei kleineren Unternehmen. Hier befürchtet der Markt eine steigende Zahl zukünftiger Ausfälle. Allerdings steuern alle großen Notenbanken weltweit dagegen und haben verstärkte Käufe von Corporate Bonds angekündigt. Anleihen großer Unternehmen und der Mitgliedsstaaten der EU werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausfallen. Anleger, die hier investiert haben, leiden zwar nun unter Umständen unter Buchverlusten, werden jedoch am Ende der Laufzeit 100 Prozent erstattet bekommen.

DIE AUSSICHTEN

Ob sich die Lage von Besitzern von Anleihen weiter eintrüben könnte, hängt damit vor allem von der Dauer der Krise und einem raschen Gegensteuern von Notenbanken und Politik ab. „Das sich verschlechternde globale Umfeld wird das Wachstum in den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 2020 belasten, obwohl eine robuste Binnennachfrage, eine lockere Geldpolitik und eine gewisse fiskalische Lockerung die Auswirkungen abschwächen werden“, glaubt Kathrin Muehlbronner, die Vizepräsidentin von Moody’s. Allerdings seien bei vielen Staaten in der Europäischen Union die Möglichkeiten zur Krisenbekämpfung angesichts bereits hoher Verschuldungsquoten nicht unbegrenzt vorhanden. Erleichterung für die Anleihemärkte könnten beispielsweise von Italien und Deutschland ins Spiel gebrachte, gemeinsam besicherte Coronavirus-Anleihen bringen, die zur Finanzierung von Konjunkturpaketen herangezogen werden könnten.

WAS EXPERTEN RATEN

Viele Vermögensverwalter und Fondsmanager raten zunächst zur Zurückhaltung. Man agiere derzeit sehr vorsichtig und habe nur vereinzelt Anleihen mit sehr kurzen Laufzeiten gekauft, sagt Ariel Bezalel, Strategiechef für Festverzinsliche beim Vermögensverwalter Jupiter. Er geht davon aus, dass noch größer angelegte, koordinierte fiskalpolitische Maßnahmen nötig seien, damit die Märkte sich wieder beruhigen. Das Coronavirus sei ein Extremereignis, ein sogenannter Schwarzer Schwan, und habe sehr viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt. Derzeit sei der Markt dabei, Risiken neu zu bepreisen. Dies werde noch andauern.

Auch die Deutsche Bank betont, dass die Unsicherheiten über die Entwicklung der Virus-Pandemie alle Prognosen für die nahe Zukunft erschwerten. Hilfreich sein könnte hier der Blick nach China. Das Land werde als erstes zeigen, wie schnell sich Volkswirtschaften nach dem Virus-Schock erholen könnten.

Allerdings gibt es auch Anleihen, die in der aktuellen Coronavirus-Krise keine massiven Verluste verzeichnen, sondern sich im Gegenteil freundlich entwickelt haben. Dazu zählen vor allem die Staatsanleihen eines Landes, das bisher mit am stärksten von der Epidemie betroffen war: China. Seit Jahresbeginn sind die Renditen zehnjähriger chinesischer Staatsschulden von 3,17 auf jetzt 2,76 gefallen, die Kurse umgekehrt klar gestiegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false