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Am Sonntag wählt Europa.

© Jens Kalaene/dpa

Umfrage zur Europawahl: Die Angst der Flüchtlinge vor noch mehr Druck

Wie wird die Europawahl unser Leben beeinflussen? Eine Umfrage unter Geflüchteten und Einheimischen offenbart Sorgen.

Die Autorin (43) kommt aus Syrien und betreibt ihren eigenen Youtube-Kanal "Rasha and Life". Dieser Text ist im Rahmen des Exiljournalistenprojekts #jetztschreibenwir entstanden. Das mehrfach preisgekrönte Tagesspiegel-Projekt, das von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Robert Bosch Stiftung unterstützt wird, begann im Herbst 2016 mit einer ganzen Tagesspiegel-Ausgabe mit Texten von Exiljournalisten. Nach "Wir wählen die Freiheit" (September 2017) und "Heimaten" (Juni 2018) erscheint mit "Wir in Europa" (Mai 2019) die dritte Beilage, die von Exiljournalisten gestaltet wurde.

Hassan Gazy stammt aus Syrien. Mit Blick auf die Europawahl sagt er, dass der wachsende Einfluss der rechtsextremen Parteien in Europa in der Zukunft zu Entscheidungen führen werde, die den politischen Druck auf die Flüchtlinge erhöhen. "Die Rechtsextremen werden uns im Alltagsleben noch mehr mit negativen, provokativen Aktionen begegnen", fürchtet er.

So wie bei Hassan Gazy scheint die größte Sorge unter den Flüchtlingen zu sein, dass sich die Wahl auf ihr eigenes Schicksal auswirken könnte. Und zwar indem die rechte Ideologie in Europa weiteren Zulauf bekommt und sich insbesondere gegen die Flüchtlinge richtet. Das zeigt eine nicht-repräsentative Umfrage unter Geflüchteten und Einheimischen kurz vor der Wahl.

Nina Taubenreuther teilt Hassan Gazys Angst. Sie ist der Meinung, dass den nationalen politischen Strömungen, die in vielen Europäischen Ländern immer extremer zu beobachten seien, nur durch eine demokratische gemeinsame europäische Politik entgegengewirkt werden könne. Die 39-jährige ist Projektleiterin bei "Life back Home".

Dieses Projekt bringt junge Geflüchtete in Schulen, wo sie von der Situation in ihrem Heimatland, von ihrer Flucht und dem Leben in Deutschland erzählen. Nina Taubenreuther sagt: "Das Europa, an das ich glaube und in dem ich leben möchte, sollte gemeinsam eine plurale und multinationale friedliche Gesellschaft fördern und formen."

Auch Thöger T. hat Angst vor einer Fortsetzung des Rechts-Trends und der Folgen für die Flüchtlinge. Es liege daher an jedem einzelnen Zuwanderer, welche Perspektive sie hätten, denn: "Ob es sich um Urlauber handelt, die an Europas Sonnenstränden durch Alkoholexzesse unangenehm auffallen, oder eben um Zuwanderer, welche die Gesetze, Sitten und Gebräuche in der neuen Heimat nicht respektieren: Es leidet stets das Ansehen der gesamten Gruppe." Alle Migranten müssten daher seiner Meinung nach Verantwortung übernehmen und die jeweilige Sprache des neuen Heimatlandes lernen, und sich über die Gesetze, Sitten und Gebräuche informieren: "Je besser dies gelingt, umso besser funktioniert die Integration."

Das beste Benehmen reicht nicht

Der Personalberater Matthias Scharnhorst befürchtet, dass auch das beste Benehmen nicht reichen wird, wenn es in Europa zu einem weiteren Rechtsruck kommt: "Für die Flüchtlinge würde das die Reduzierung der Hilfsleistungen bedeuten. Es würde eine schon in einigen Gruppen und Staaten bestehende, latent negative Haltung zu Flüchtlingen und deren Unterstützung verstärken."

Etwas weniger pessimistisch ist der deutsch-iranische Politologe Dr. Ali Fathollah-Nejad, der in Doha, Brüssel und Berlin forscht und lehrt. Er sagt: "Die Europawahlen werden zwar kaum Auswirkungen auf die reale Situation von Geflüchteten in Europa haben. Als politische Richtschnur sind sie jedoch von Belang – je nachdem, wie die politischen Formationen, die für geschlossene oder aber offene Gesellschaften eintreten, jeweils abschneiden."

Neben der Migrationspolitik und der Situation der Geflüchteten beschäftigt einige Leute auch das Thema Brexit. Oula Suleiman, eine junge Frau aus Syrien, denkt etwa darüber nach, welche wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Veränderungen sich aus dem Ausscheiden der Briten ergeben.

"Die Menschen sind klug"

Und Matthias Scharnhorst hält die Abstimmung daher für so etwas wie eine Schicksalswahl: "Sollten die Staaten der Europäischen Union keine Einigkeit und kein zukunftsorientiertes Konzept präsentieren können, wird es die Bürger nicht gewinnen können. Dann werden die Interessengruppen Europa weiter auseinanderdriften lassen."

Das wiederum hätte aus Scharnhorsts Sicht für die einzelnen Länder verheerende Folgen: Denn alleine könnten sie im globalen Wettbewerb mit den Chinesen, Amerikanern und anderen aufstrebenden Wirtschaftsmächten nicht konkurrieren. "Die Folge wäre eine Schwächung der Industrie, die Arbeitslosigkeit würde steigen, die Kaufkraft wäre geschwächt und somit würde diese Entwicklung jeden Einzelnen, egal in welcher Position, betreffen", sagt Scharnhorst.

Deutlich optimistischer blickt Ralf Messemer auf die Europäische Union. Der 55-jährige Gründer einer Schuhmarke lebt in England und ist der Meinung, dass nur Europa als Ganzes in der Lage ist, gesellschaftliche Probleme zu lösen, zum Beispiel die Flüchtlingsfrage. Messemer glaubt: "Die rechten Parteien werden in Zukunft schwächer, weil die Menschen klug sind und wissen, dass die Isolation von anderen und ihren Problemen keine Lösung ist."

Auch der 24-jährige Syrer Abdul Abbasi sieht der anstehenden Wahl positiv entgegen: "Wenn aus dem europäischen Parlament eine gute Integrationspolitik, eine gute Migrationspolitik kommt, dann hat das natürlich Auswirkungen auf das Leben der Geflüchteten." Deswegen findet er, dass es sehr wichtig ist, dass diejenigen, die wahlberechtigt sind, auch wählen gehen. Thöger T. sieht das ganz genauso: "Ganz generell hat die EU sehr viel mehr Einfluss auf die Lebenswirklichkeit jedes Einzelnen, als den meisten von uns bewusst und manchem lieb ist. Daher wäre es sehr unvernünftig, nicht zur Wahl zugehen."

Rasha Alkhadra

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