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Steht wie ein Architektur-Hexenhaus mitten im Wald: das Tretopphytter nahe Oslo.

© Travels by Marc

Trend Baumhaus-Hotels: Holz vor der Hütte

Ist das ein Baumhaus wie aus Kindertagen? Nein. Eine Boutique-Hotel-Suite inmitten der Wipfel. Über das Abschalten in der Einsamkeit des Waldes.

Komm schon! Fünf Minibriketts sind bereits verfeuert, ganze Zeitungsstapel zu Asche zerfallen, die weißen Wachsplättchen schmelzen dahin – nur das Holz will nicht. Fast eine Stunde ist vergangen, bis die Scheite im Ofen endlich Feuer fangen.

Indianergeheul, Pfadfinderstolz: Geschafft! Dann legt man nach, bis die Wangen glühen. Bloß nicht ausgehen lassen.

Und wenn man’s nicht geschafft hätte? Pech gehabt. Mitten im dunklen norwegischen Wald, nach Sonnenuntergang, allein in 18 Meter Höhe kann man niemanden um Hilfe bitten. Dann wäre man ins warme Bad gegangen, mit den kleinen grünen Designer-Fliesen, wo es leicht nach Sauna duftet.

Oder hätte sich in der kleinen feinen Küche einen Kaffee gekocht und aus dem schwarzen Emaillebecher getrunken, wie einst der Marlboro-Mann am Lagerfeuer, und in die mollige Wolldecke gewickelt.

Bisher gehören zwei Hütten zu dem Baumhotel-Projekt in Norwegen.
Bisher gehören zwei Hütten zu dem Baumhotel-Projekt in Norwegen.

© Travels by Marc

Auf jeden Fall wäre man nicht erfroren. Denn auch wenn es sich, müde von der langen Anfahrt und aus der Kälte kommend, erst mal nicht so anfühlt: Die Hütte hat Fußbodenheizung. Anders würde sie nie warm werden.

Denn das zeltförmige Häuschen hat keinen wärmenden Untermieter. Es steht in der Luft, auf dunklen verschränkten Stelzen, die Designfreunde an den Unterbau eines Eames-Chairs erinnern. Nachts, wenn nur die Lampen im Inneren leuchten, könnte man aus der Ferne meinen, es schwebe.

„Haben Sie Höhenangst?“ Zu spät. Die Frage der Hotelbesitzerin kommt oben auf der kleinen Brücke zwischen Treppenturm und Zuhause, die nur aus löchrigem Gitter besteht. Jetzt nicht runtergucken. Drinnen angekommen, hat man wieder festen Holzboden unter den Füßen.

Die Hütte namens „Pan“, zwei Autostunden nordöstlich von Oslo gelegen, ist mehr Boutique-Hotel-Suite auf Augenhöhe mit den Wipfeln als das, was man sich so unter einem Baumhaus vorstellt: eine selbstgezimmerte Bretterbude auf Ästen.

Christine Mowinckel und Kristian Rostad haben 2018 das Pan Tretopphytter in Norwegen eröffnet.
Christine Mowinckel und Kristian Rostad haben 2018 das Pan Tretopphytter in Norwegen eröffnet.

© Promo

„Die Interpretation eines Baumhauses“, nennt Christine Mowinckel ihre Herberge, die seit Herbst 2018 in Betrieb ist. Zeitgenössische Architektur mitten in der Natur, Küche, Wohnzimmer, Schlafkoje, Bad.

Einige der Möbel sind extra angefertigt, die Holzschemel in Pilzform etwa, die, wie die Sofas, Moderne mit Gemütlichkeit vereinen, wie es nur den Skandinaviern gelingt.

Gebaut wurden die beiden Pans in wenigen Monaten, denen vier Jahre Planung vorausgingen. Natürlich hat sich das Betreiberehepaar, dem auch der Wald gehört, vorher andere Baumhaushotelprojekte angeschaut.

Seit fünf, zehn Jahren gibt es ja immer mehr, in Bangkok und auf Bali, auf Vancouver Island und selbst in Berlin. Hotels sollen heute schließlich mehr als Unterkunft sein, nämlich ein Erlebnis.

Wobei die meisten dieser Häuser, so wie die norwegischen, nicht in den Bäumen selbst, sondern zwischen ihnen stehen. Man will der Natur ja nicht wehtun, ihr nur nah sein.

Jedes Haus von einem anderen Architekten entworfen

Im hohen Norden Schwedens etwa kann man in einem Ufo nächtigen oder in einem riesigen Vogelnest; aus sieben Hütten besteht das Treehotel, jedes von einem anderen Architekten entworfen.

Das erste deutsche Baumhaushotel wurde 2005 in Sachsen eröffnet, die „Kulturinsel“, deren Unterkünfte rustikaler und im wahrsten Sinne schräger sind als die skandinavischen – eher was für Trolle als für Designfans.

Wer in den Hütten des niedersächsischen „Tree Inns“ eincheckt, schläft mitten im Wolfscenter, im ammerländischen Resort Baumgeflüster hat man’s nicht weit zum Meer, und im hessischen „Robins Nest“ kann man sogar in Baumzelten schlafen – wenn man denn zur Ruhe kommt: Man liegt darin wohl wie auf einem Trampolin.

Ein Kontrast aus Stahl und Holz

Christine Mowinckel und Kristian Rostad wollten was anderes. Etwas in der Art der modernen Kirche in ihrer Nachbarschaft: „ein kühnes Statement“. Also kontaktierten sie den Architekten, Espen Surnevik, trafen sich immer wieder mit ihm, bis ihre Vision eine Form hatte, die inzwischen schon mehrfach preisgekrönt wurde.

Ein eleganter Kontrast aus schwarzem Stahl und Holz, der sich im Inneren fortsetzt. Da kommt nichts von der Stange. Neulich haben Chinesen bei ihr angerufen und gefragt, wo man denn so ein Treppenhaus kaufen kann. „Das kann man nicht kaufen,“ hat sie ihnen geantwortet. „Man muss es sich ausdenken.“

Die Stelzen reichen sechs Meter tief in den Boden. Das war die Bedingung der Baubehörde: damit die luftigen Hütten auch einem Hurrikan trotzen können. Aber alles, erzählt Christine, lässt sich spurlos entsorgen.

Schauspielunterricht und Schuhdesign

Das nennt man Nachhaltigkeit, ohne die ein solches Projekt nicht auskommt. In ihrem gelben Mantel stürmt Christine durch den Wald nach Hause. Die quirlige 40-Jährige, die immer wieder über sich selber lachen muss, ist eigentlich Schauspielerin.

Knapp fünf Jahre hat sie in Australien gelebt, nach ihrer Rückkehr lernte sie in Oslo ihren Mann kennen, einen Fernsehjournalisten, der hier auf der Farm groß wurde, auf der die junge Familie nun lebt.

Als wären der Hof und die Ferienhäuser und die beiden Kinder noch nicht genug, gibt Christine Jugendlichen Schauspielunterricht im nahen Flisa, hat mit einer kolumbianischen Freundin eine Schuhkollektion gestartet.

Im sogenannten Mirror Cube übernachten Gäste im schwedischen Treetop Hotel.
Im sogenannten Mirror Cube übernachten Gäste im schwedischen Treetop Hotel.

© Treehotel

Und das Treetop-Projekt soll weiterentwickelt werden. Wie, das ist noch nicht entschieden, so viel steht fest: Es wird kein Feriendorf, mehr als vier Hütten sollen es nicht werden. Vielleicht kommt noch eine Sauna hinzu, das würde zur Region Finnskogen passen.

Im 16., 17. Jahrhundert kamen die Waldfinnen in das norwegisch-schwedische Grenzgebiet, brannten Bäume ab, um Roggen anzubauen. Ein hartes Leben in Armut, bei minus 25, 30 Grad, aber mit vielen Mythen und Geschichten.

Heute wird die Kultur wiederentdeckt, Nachfahren der Waldfinnen sind eine von fünf anerkannten Minderheiten in Norwegen. Auch der Name der Baumhäuser spielt auf die Mythen der Ureinwohner an: Pan ist der Gott des Waldes und der Natur.

Einmal Peter Pan sein

Nach der sehnen sich die urbanen Bewohner der digitalen Welt, Waldbaden ist angesagt. Aber möglichst mit Komfort. In den Baumhäusern haben die Besucher das Gefühl, wieder Kind zu sein. So wie Peter Pan, der Knabe, der nie erwachsen wurde. So sorgenfrei. In den Wipfeln ist man dem Alltag entrückt.

Jugendliche, die hochkommen, sind gleich begeistert: „Cool! So viele Lautsprecher!“ Von wegen, das sind nur die schwarzen Lüftungsdeckel im hellen Holz. Im Vogelhaus gibt’s keinen Fernseher, kein Radio, kein W-Lan, nur die Empfehlung, das Handy wegzulegen.

Es geht darum, die Stille, und damit zwangsläufig sich selbst, zu erleben. Die Vorstellungen von Luxus haben sich stark gewandelt. War es früher ein Zimmer mit Klimaanlage am Meer, goutieren ökobewusste Großstädter heute eher umweltfreundliche Resorts, Grün und Ruhe.

Doch was ist das, dieses Knacken? Der Wind? Ein Specht? Oder doch ein wildes Tier? Bären, Wölfe, Elche sollen hier leben, Rehe sowieso. Die Wendeltreppe werden sie wohl kaum hochsteigen. Und sowieso, sagt Christine Mowinckel, nehmen die sich vor Menschen in Acht.

Unheimliche Stille

Wenn man gar nichts mehr hört, kommt einem die Ruhe am Abend fast ein wenig unheimlich vor. Kein Straßenlärm, kein Türenschlagen, kein Mülltonnengeklapper. Kein Hupen, keine Stimmen. Vorsichtshalber schließt man die Tür ab.

Auf dem Sofa liegt eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit der stillen Natur: „Shinrin – Yoku. Die Kunst und Wissenschaft des Waldatmens.“ Von Dr. Quing Li, Generalsekretär der International Society of Nature and Forest Medicine.

Gut, in zwei Tagen (so lange bleiben die meisten Gäste im Pan, drunter lohnt sich’s auch nicht) wird man wohl kaum den ganzen Stadtstress weggebadet haben. Andererseits scheint die Zeit sich hier angenehm zu dehnen. Wie lang so ein Abend ohne die üblichen Zerstreuungen ist! Nicht mal einkaufen muss man hier.

Elchsalami und Käse

Ein Rotkäppchen bringt auf Bestellung Lebensmittel im Korb vorbei. Die Betreiberin einer Pension in Flisa stellt alles zusammen, Milch, Apfelmost, Eier, Gurken, Brot, brauner Käse mit Karamellgeschmack, Elchsalami, das meiste kommt aus der Region.

Die Zutaten fürs Abendessen sind schon abgewogen, alles in der Portion, die man für den Jägertopf braucht: zartes Elchfleisch, Gemüse, zum Abschmecken Blaubeersaft und Thymian. Statt auf dem Lagerfeuer auf dem Miele-Induktionsherd gegart, im roten Schmortopf vor schwarzer Wand, ein Kontrast, der so gut harmoniert wie das dunkle Wildfleisch mit der sauren Sahne.

Genau das Richtige für das winterliche Schmuddelwetter, das zu mild ist für die Jahreszeit. Egal. Wer will denn im Wald rumlaufen, wenn er in ihm schlafen kann?

In Südtirol wartet das San Luis mit eher traditionellen Stelzenhäusern im Forst auf.
In Südtirol wartet das San Luis mit eher traditionellen Stelzenhäusern im Forst auf.

© Stefano Scatà

Vom Wohnzimmer führt eine Leiter zur Koje unterm spitzen Dach. Wenn man in diesem Himmelbett erst mal unter der kuscheligen Bettdecke liegt, mag man nicht mehr aufstehen. Auch am nächsten Morgen nicht. Lieber durch die Fensterfront dem Tag beim Aufwachen zuschauen.

Bis die Lust auf Kaffee übermächtig wird. Zum Frühstück gibt’s ein fast unwirklich orangefarbenes Kompott aus Moltebeeren. – Da! Ein Mensch! Roter Pullover, Daunenweste, die Mütze tief über die Ohren gezogen, läuft der Mann zögernd draußen herum.

Ein Feuer in der Schale

Das muss der Nachbar sein, aus Pan 2, das man erst im Hellen entdeckt. Die beiden Hütten halten Abstand und haben einander die Dächer zugewandt, sodass man den anderen nicht in die Koje guckt.

Es gibt auch sonst genug zu sehen. Pan, der Name kommt auch von Panorama. Der Blick fällt über den See, in dem sich sommers gut angeln lässt, die Hügel dahinter.

Als der Nebel sich lichtet, sieht man allerdings auch die Zivilisation blinken. Also runter, auf den Waldboden, da sieht man sie vor lauter Bäumen nicht mehr. Am Fuße der Hütte brennt schon ein Feuer in der Schale, von Knut Egil Bekkevold entzündet, der das besser als die Touristin kann. Der Tourguide bringt es auch jedem bei, der es lernen möchte.

Bambus der Skandinavier

In diesem Open-Air-Wohnzimmer, zu dem Tisch, Bänke, zwei breite Holzsessel sowie brennende Kerzen in Laternen gehören, erzählt der Outdoor-Spezialist, was er so macht.

Die Waldfinnen-Schuhe, die er zum Ausprobieren mitgebracht hat, sind aus Birke geflochten, „dem Bambus der Skandinavier“. Einmal ums Feuer geschlurft, schon hat man nasse Füße. Gesegnet seien die Wanderstiefel. Die Zivilisation hat durchaus ihre guten Seiten.

Der 41-Jährige, der neben dem Zweitagebart ein jugendliches Strahlen im Gesicht trägt, ist selber Waldfinne, seine Ahnen sind im 16. Jahrhundert eingewandert. Bis vor einem Jahr hat er an der Uni „outdoor life und public health“ unterrichtet: wie sich der Aufenthalt in der Natur auf die physische und psychische Gesundheit auswirkt.

Natur light

Ein großes Thema in Norwegen, wo inzwischen immer mehr Menschen in den Städten leben. Ein großes Thema für den Urlauber von heute.

Jetzt hat Knut sich selbstständig gemacht, lässt Touristen erleben, wie gut die Natur ihnen tut. „Hier draußen sinkt der Puls, die Erfahrung der Stille, der Freiheit – das ist sehr existenziell. Man benutzt seine Sinne, seinen Körper auf eine ganz elementare Weise.“

Für viele, gerade junge Leute, sei das schwer, die Konfrontation mit sich selbst, ganz ohne Ablenkungen. Besonders merkt er das, wenn er mit Einzelnen unterwegs ist. Er organisiert ja kein Bungee-Jumping. „Für manche ist es extrem genug, allein im Wald zu zelten und sich das Essen zuzubereiten.

Der Baumhausbewohner erlebt die Natur eher light. Und wer Stille und Nichtstun als zu bedrückend empfindet, bucht Ablenkungen hinzu. Mietet ein Kanu oder Rad, macht Pferdeschlitten- oder Kutschfahrten, eine Massage im Luftraum – oder eben einen Ausflug mit Knut, dem Waldfinnen.

Der bietet Eulen- und Sumpfsafaris an, einige Besucher kommen extra wegen der Tiere, 160 verschiedene Vogelarten leben am See, ein Mekka für Ornithologen. Und wenn er selber Urlaub machen will? Der Outdoor-Anbieter und Paddeltourenautor lacht: Dann fährt er in die Stadt.

HINKOMMEN

Am einfachsten mit dem Auto. Oder mit Air Norwegian nach Oslo, ab 90 Euro. Mit dem Zug bis Kongsvinger und Bus nach Flisa.

UNTERKOMMEN

Pan Tretopphytter, die Hütte kostet ab 388 Euro pro Nacht, je nach Wochentag, Saison und Personenzahl (bis zu sechs). Mehr Infos unter panhytter.no

Die Reise wurde unterstützt von Visit Norway und Tretopphytter.

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