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Thomas Manns Wohnhaus ist seit Juni 2018 Residenzhaus der Bundesrepublik Deutschland. Dort sollen Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und andere Intellektuelle den geistigen und kulturellen Austausch zwischen Deutschland und den USA pflegen.

© VATMH

Transatlantische Begegnungsstätte: Mythos Los Angeles

Als Stipendiat des Thomas-Mann-Hauses erforscht Stefan Keppler-Tasaki den Einfluss der Stadt und ihrer Geschichte auf die deutsche Gegenwartsliteratur.

Los Angeles war schon immer ein Sehnsuchtsort für Deutsche – und Fluchtpunkt für Verfolgte. Als während des Nationalsozialismus in Deutschland viele Intellektuelle das Land verlassen mussten, erwies sich die Westküste der Vereinigten Staaten als Schutzzone und Ort des Asyls. Philosophen wie Theodor W. Adorno oder Max Horkheimer, aber auch Schriftsteller wie Thomas Mann, Bertolt Brecht und Alfred Döblin flüchteten in die USA, um nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten weiterhin schreiben, arbeiten und frei leben zu können.

Der Germanist und Literaturwissenschaftler Stefan Keppler-Tasaki lebt derzeit in Los Angeles an einem zentralen Ort des deutschen Exils: Er ist Stipendiat am Thomas-Mann-Haus, jenem Anwesen, das Thomas Mann mit seiner Familie während seines Exils von 1942 bis 1952 bewohnte. Damals war das moderne Haus im mondänen Stadtteil Pacific Palisades ein Ort des Dialogs, der Feiern und der intellektuellen Salons. Diese Tradition soll nun fortgeführt werden.

2016 hat die Deutsche Bundesregierung das Haus gekauft, anschließend saniert, 2018 wurde es feierlich eröffnet. Deutschsprachige Intellektuelle, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dort im Rahmen eines mehrmonatigen Aufenthalts Raum und Zeit, über deutsch-amerikanische Themen zu reflektieren.

Die Literatur gibt Aufschluss über die Veränderungen in der Gesellschaft

Seit Ende August ist Stefan Keppler-Tasaki in Los Angeles, er bleibt bis Ende des Jahres. „Ich arbeite an einem Überblick zur Literatur der Villa Aurora.“ Die Villa Aurora bewohnte der Schriftsteller Lion Feuchtwanger mit seiner Frau Marta nach der Emigration in die USA. Sie liegt nur ein paar Kilometer vom Thomas-Mann-Haus entfernt und ist ein Rückzugsort für zumeist deutschsprachige Schriftsteller und andere Künstlerinnen und Künstler, die mit einem Stipendium in der Villa an einem Projekt arbeiten.

„Ich untersuche Texte, die dort entstanden sind, die Villa Aurora als literarisches Motiv behandeln oder sich darüber hinaus mit Los Angeles beschäftigen“, sagt Keppler-Tasaki. Dazu gehören die seit der Jahrtausendwende erschienenen Bücher „Pazifik Exil“ von Michael Lenz, „Sunset Bouelvard“ von Kevin Venemann, „Glückliches Sterben“ von Volker Harry Altwasser, Thomas Hettches „Woraus wir gemacht sind“ und Jan Brandts „Stadt ohne Engel“.

Durch das US-amerikanische Prisma ließen sich auch Fragen der Flucht verhandeln, die derzeit in Deutschland vor dem Hintergrund des Zuzugs von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten eine große Rolle spielen. Wie verändert sich eine Gesellschaft durch Migration? Und wie prägt Einwanderung das Selbstverständnis eines Landes?

Im Fokus steht die Migration während der NS-Herrschaft

Stefan Keppler-Tasaki hat bereits zum Thema der deutsch-amerikanischen Beziehungen gearbeitet. Der Professor für Germanistik, der an der Universität Tokyo lehrt und sich regelmäßig als Gastwissenschaftler an der Freien Universität Berlin aufhält, hat ein Buch über Alfred Döblin geschrieben, der 1940 wegen des NS-Terrors über Lissabon nach Los Angeles emigrieren musste. „Er hatte ein schwieriges Verhältnis zu den USA. Und nicht zuletzt auch zu Thomas Mann, dem er seinen Erfolg nicht gönnte“, erläutert Keppler-Tasaki.

In seinem Buch „Massen, Medien, Metropolen“ beschreibt der Wissenschaftler, wie der deutsch-jüdische Exilant auf die Bedingungen in den USA reagierte, über die Nazi-Herrschaft nachdachte – und wie die finanziellen Schwierigkeiten den Autor des großen Berlin-Romans „Berlin Alexanderplatz“ immer mehr isolierten und an den Umständen verzweifeln ließen.

Der Germanist, Literaturwissenschaftler und Stipendiat des Thomas-Mann-Hauses: Stefan Keppler-Tasaki
Der Germanist, Literaturwissenschaftler und Stipendiat des Thomas-Mann-Hauses: Stefan Keppler-Tasaki

© Mike Kelley

„Los Angeles ist ein Ort, der grandiose Erfolgserzählungen mit Geschichten des Scheiterns verbindet“, sagt Keppler-Tasaki. Das fasziniert den Wissenschaftler ebenso wie die kulturelle Vielfalt, die die Stadt bis heute ausmacht. Keppler-Tasaki ist selbst ein Grenzgänger, durch dessen Leben sich der kulturelle Austausch wie ein roter Faden zieht. Seine Dissertation über Goethe schloss er mit einer Analyse des Romans „Wilhelm Meisters Wanderjahre“, der die Emigration Deutscher im frühen 19. Jahrhundert in die USA verarbeitet.

Förderung der deutsch-japanischen Beziehungen

Als Assistent und Juniorprofessor an der Freien Universität war Keppler-Tasaki 2008 Mitbegründer der Friedrich-Schlegel-Graduiertenschule für literarturwissenschaftliche Studien, die vor allem transnationale Projekte fördert. 2012 folgte er dem Ruf auf eine Professur für moderne deutsche Literatur an der Universität Tokyo, von dort aus fördert er den deutsch-japanischen Austausch.

Nach dem Los-Angeles-Aufenthalt will Stefan Keppler-Tasaki die Zusammenarbeit zwischen der Universität Tokyo und der Freien Universität weiter vorantreiben. Am Exzellenzcluster „Temporal Communities“ vertritt er die Universität Tokyo im Beirat des internationalen Partnernetzwerks.

Leonard Fischl

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