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Das Arbeitszimmer auf dem Hof Hamsund. Hier verbrachte Knut seine frühe Kindheit.

© Christian Vooren

Norwegen vor der Buchmesse: Wie Knut Hamsun zum Freund der Nazis wurde

Knut Hamsun war einer der bedeutendsten Schriftsteller Norwegens. Und verehrte Hitler. Das Land fragt sich, wie es dazu kam - und wie es damit umgehen soll.

Als Knut Hamsun und Adolf Hitler sich im Sommer 1943 zum Kaffee trafen, war das eine Enttäuschung für beide. Sie stritten. „Na dann, meine Herren“, beendete der Reichskanzler das Treffen in den Bayerischen Alpen eingeschnappt. Dabei schätzten sich die beiden eigentlich sehr.

Joseph Goebbels notierte später in sein Tagebuch: „Leider ist der Besuch Hamsuns beim Führer etwas verunglückt.“ „Außerordentlich peinlich“ sei das gewesen. Der Propagandaminister war enttäuscht, denn auch er war ein Fan des norwegischen Schriftstellers

Zuvor hatte Hamsun dem Propagandaminister seine Nobelpreismedaille geschenkt mit den Worten: „Ich kenne niemanden, der die Sache Europas und der Menschheit so ideal geschrieben und gesprochen hat wie Sie, so unermüdlich Jahr für Jahr, wie Sie, Herr Reichsminister.“

Doch wie kam es dazu, dass Hamsun, der in seinen Büchern so vielschichtige Charaktere zeichnete, sich von einer so simplen Ideologie verleiten ließ? Wie wurde Hamsun zum Nazi?

Seine Sympathie für die Nazis ging tiefer, als dass ein missglücktes Treffen sie hätte schmälern können – wie ein Nachruf beweist. Am 7. Mai 1945 verfasste Hamsun auf der Titelseite der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ diesen Text:

Knut Hamsuns Nachruf auf Hitler in der Zeitung "Aftenposten".
Knut Hamsuns Nachruf auf Hitler in der Zeitung "Aftenposten".

© Hamsun Center

 „Ich bin dessen nicht würdig, mit lauter Stimme über Adolf Hitler zu sprechen, und zu sentimentaler Rührung laden sein Leben und seine Taten nicht ein. Er war ein Krieger, ein Krieger für die Menschheit und ein Verkünder des Evangeliums vom Recht aller Nationen. Er war eine reformatorische Gestalt von höchstem Rang, und es war sein historisches Schicksal, in einer Zeit der beispiellosen Rohheit wirken zu müssen, die ihn schließlich gefällt hat. So wird der gewöhnliche Westeuropäer Adolf Hitler sehen, und wir, seine treuen Anhänger, neigen unser Haupt angesichts seines Todes.“

Im hohen Alter wurde er deshalb wegen Landesverrats zu mehr als 400.000 Kronen Strafe verurteilt. Der Autor war damit  ruiniert, uneinsichtig blieb er bis zu seinem Tod.

Doch Hamsun war auch: ein literarisches Ausnahmetalent. Einer der wichtigsten Schriftsteller Norwegens, verehrt von Stefan Zweig und Kurt Tucholsky. 1920 wurde er für sein Werk „Segen der Erde“ mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Wer, wenn nicht Hamsun habe diesen Preis verdient, fragte Thomas Mann damals.

Und die Norweger fragen sich bis heute: Wie soll man damit umgehen? Kann man Werk und Autor trennen? Und darf man Hamsun überhaupt gut finden? Eine Reise in den hohen Norden, dorthin, wo alles anfing.

Harte Jahre: Auf dem Hof Hamsund

Wie ungemütlich es hier sein kann, davon merkt man im Sommer nichts. Die Sonne scheint nicht zu aufdringlich – weil fast Mittsommer ist, tut sie das rund um die Uhr –, das Gras vor der roten Holzhütte ist so grün, als wäre es gerade erst Frühjahr geworden, vom weißen Holzzaun blättert langsam die Farbe.

Es ist an diesem Nachmittag nicht so einfach, sich vorzustellen, wie hart die Jahre auf dem Hof Hamsund gewesen sein müssen, zumal während der Winter, wenn das Tageslicht es für Monate nicht her schafft, wenn der Frost den Boden verhärtet und die Ernte zerstört. Das Einzige, was man auch im Sommer begreift, ist die Abgeschiedenheit der Region. Hier zu leben heißt, auf sich allein gestellt zu sein.

Knut Hamsun im Konfirmationsalter.
Knut Hamsun im Konfirmationsalter.

© Hamsun Museum / Vooren

Jetzt kann man im T-Shirt auf einer Bank vor dem Haus sitzen, zur etwas versteckten Hamsun-Statue wenige Gehminuten entfernt spazieren oder eine Radtour zum Strand unternehmen. Ein Ehepaar Mitte 50 kommt auf Mountainbikes vorbei. Sie legen ihrer Räder ins Gras und betreten die Räume, die heute ein Museum sind.

Im Erdgeschoss wartet Martin Sandnes auf Besucher wie sie. Der Norweger studiert Geschichte, doch jetzt sind Semesterferien, und die verbringt er in dem Haus, in dem Knut Hamsun aufwuchs, als Museumsführer.

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Die Treppen ins obere Stockwerk sind noch enger als die Radlerhosen des Ehepaars. Es wäre fast ratsam, sie ließen ihre Helme auf, so niedrig sind die Türrahmen. Im Arbeitszimmer stehen Nähmaschinen, alt, aus Gusseisen. Hier hatte der Vater, ein gelernter Schneider, an den großen, lichtspendenden Fenstern gesessen und für Knut zwei Anzüge zur Konfirmation genäht. Nebenan liegt das Schlafzimmer, die krummen Dielen knarzen.

Sandnes ist 25, ihn fasziniert die Eindringlichkeit in Hamsuns Romanen, die Zerrissenheit seiner Figuren genauso wie die Widersprüchlichkeit dieser Person. Das bedeute aber nicht, dass er die Weltanschauung des Autors gutheiße, betont der Student, als müsse er sich rechtfertigen. Seine Großmutter war anfangs nicht begeistert, als sie erfuhr, dass er nun in dem Museum arbeitet. Die Generationen vor ihm blickten anders auf Hamsun als Sandnes:

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Hamsun verbringt seine Kindheit auf dem Hof mit den Eltern, als viertes von sieben Geschwistern. Die Mutter ist nervenkrank. Immer öfter rennt sie aus dem Haus über die Felder, schreit wirres Zeug. Die Leute im Dorf tuscheln. Sie wird zum siebten Mal schwanger, das schwächt sie weiter. Für liebevolle Zuneigung fehlt die Kraft. 

Der Vater kann nicht mit Geld umgehen, im zugigen Holzhaus ist kaum genug Platz für alle. Also wird Knut 1868 in den Nachbarort zum Onkel geschickt. Der prügelt ihn, lässt ihn schuften. Hamsun will fliehen, wieder und wieder, versucht es mit einem Ruderboot. Einmal, als es ganz schlimm wird, hackt er sich mit einer Axt in den Fuß, in der Hoffnung, verletzt zurück zu den Eltern zu dürfen. Erfolglos.

Die Freiheit erhofft er sich von seiner Konfirmation. Hamsun, so heißt es in einer Biografie, verachtet Geistliche, weil der Pfarrer im Dorf von seinem Schicksal wusste, aber es ihm gleichgültig war. Kein gütiger Gott, nur einer, der fordert. Und doch erwartet er diesen Tag sehnsüchtig, denn er weiß: Damit wird er erwachsen, das befreit ihn aus den Fesseln seines Onkels. Damals ist Knut 14 Jahre alt.

Die frühen Jahre haben Knut Hamsun geprägt. Die Härte und Strenge hat er sich zu eigen gemacht. In seinen Romanen erklärte er das Leben auf dem Land, die feudalen Strukturen, die Entbehrungen und die Einfachheit zum Ideal. Am deutlichsten wohl in „Segen der Erde“. Das Buch wurde von den Nazis später gefeiert, weil es wunderbar in ihre Blut-und-Boden-Rhetorik passte.  

Verbotene Liebe: Der erste Job

Nach der Konfirmation zieht Hamsun weiter nach Norden. Der erste bezahlte Job. Die erste Liebe. Das kleine Dorf Tranoy, 70 Kilometer vom Hof in Hamsund, wächst im 19. Jahrhundert wegen des üppigen Fischbestandes zu einem wichtigen Handelszentrum – nirgendwo sonst wird mehr Hering gefangen.

Hier baut der Unternehmer Nicolai Walsoe ein kleines Geschäftsimperium auf. Und Hamsun hilft ihm im Laden. Die Hamsun-Biografin Ingar Sletten Kolloen schreibt darüber: „Zum ersten Mal erlebte Knut einen Menschen, den er vorbehaltlos bewunderte: einen souveränen Patriarchen, einen Mann mit mysteriösem Wissen und großen Geheimnissen, unnachgiebig, wenn nötig, milde, wo Milde verdient war.“

Mehrere Boote gehören Walsoe, eine Räucherkammer, ein Lagerhaus, eine Gesindestube und ein großer Krämerladen. Hier erledigt Knut Handlangerarbeiten.

Der Laden ist heute die „Hamsun Galleriet“, Kunst aus der Region schmückt die Wände, der schwere, blaue Verkaufstresen ist noch im Original erhalten. Er steht nicht mehr wie einst mitten im Raum, doch die Dielen am Boden sind an der Stelle wie blitzblank poliert, wo die Verkäuferinnen mit den Füßen scharrten, während sie verhandelten.

Während der Sommermonate wird es im Norden des Landes nie wirklich dunkel. Von den Hügeln kann man bis zu den Lofoten sehen.
Während der Sommermonate wird es im Norden des Landes nie wirklich dunkel. Von den Hügeln kann man bis zu den Lofoten sehen.

© Christian Vooren

Es ist nicht viel los in Tranoy, das außer ein paar Galerien, einem Leuchtturm und einem kristallklaren Blick auf die Lofoten nicht viel Unterhaltung zu bieten hat. So weit Richtung Norden fahren nicht viele Touristen, Durchgangsverkehr gibt es kaum in dem Dorf, das im Grunde aus einer Straße besteht, die an einem winzigen Hafen endet.

Damals herrscht hier reger Verkehr, im Krämerladen ständig Betrieb. Mittendrin Hamsun, und mit ihm Laura Walsoe. Sie ist 16 und die Tochter von Nicolai. Knut verliebt sich, doch dem Chef gefällt nicht, dass ein junger Handlanger sich für seine Tochter interessiert. Nach nur einem Jahr muss Hamsun wieder gehen.

Vor der Galerie wartet Berit Käsli Klarer. Die 64-jährige Schweizerin zog vor vielen Jahren mit ihrem Mann nach Tranoy. „Seit ich hier bin, hat Hamsun mich nicht mehr losgelassen“, sagt Klarer, während sie sich in ihrer eigenen Galerie wenige Meter vom Krämerladen entfernt in einen Sessel fallen lässt. Und dafür wolle sie sich auch nicht rechtfertigen müssen.

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Klarer glaubt an die Theorie, dass Hamsun wegen Laura den Job verlor. Und sie ist überzeugt, dass Laura die Vorlage für viele Frauen in Hamsuns Romanen ist. Ein Indiz dafür, wie eng Leben und Werk miteinander verbunden sind. Und ein Hinweis darauf, wie sehr die Erfahrung, nicht gut genug zu sein, nicht dazuzugehören, ihn geprägt hat.

Diese Rolle hat Hamsun in seinem späteren Leben nicht nur immer wieder erlebt, er hat sie nahezu gesucht und gelernt, sich darin zu gefallen. Und was wäre die größtmögliche

Außenseiterrolle in einem Land, das gegen die Nazis kämpft, als sich für die Nazis einzusetzen?

Das Hamsun Center steht wie ein Fremdkörper im norwegischen Hamaroy.
Das Hamsun Center steht wie ein Fremdkörper im norwegischen Hamaroy.

© Christian Vooren

Gemeinsame Abneigung: Hamsun und die Deutschen

Zurück in den Süden. Nur wenige Kilometer vom Hof Hamsund entfernt steht ein schwarzer Turm in Hamaroy. Am Ufer der Glimma, dort, wo Hamsun bei seinem Onkel die elende Zeit ab dem zwölften Lebensjahr verbracht hatte. Der Turm ist ein Fremdkörper in der Landschaft, schief und bedrohlich.

Fenster, die auf Kniehöhe angebracht sind, enge Winkel, die keinen Sinn zu ergeben scheinen, auf dem Dach Hunderte klappernde Bambusstäbe, jede von ihnen mehr als zwei Meter hoch. Das Hamsun Center ist so verstörend und widersprüchlich wie Hamsuns Literatur und seine Weltanschauung.

Hier arbeitet Alvhild Dvergsdal zusammen mit ihrem Team daran, praktisch alles, was je von und über Hamsun geschrieben wurde, zusammenzutragen und auszuwerten. Die Literaturwissenschaftlerin weiß deshalb so gut wie kaum jemand sonst, wie sich der Blick der Norweger auf Hamsun über die Jahre gewandelt hat.

Person und Autor als Einheit zu betrachten, falle Dvergsdal trotzdem nicht immer leicht: „Hamsun konnte so vielschichtig und aus so vielen Perspektiven schreiben, auch psychologisch. Wieso konnte er seine Fähigkeiten nicht auf sein politisches Denken übertragen?“

In seinen Romanen zeigte Hamsun eine gewisse Sympathie für die Schwachen, gleichzeitig verherrlichte er den Hang Nazideutschlands zu vermeintlicher Stärke und zu Härte. Hamsun, berichtet Dvergsdal, verachtete die Briten mit ihrer Stiff Upper Lip, ihrer Aristokratie, der High Society und ihrem Kolonialismus. Sie waren der Gegenentwurf zu Hamsuns Lebensideal des einfachen Mannes auf dem Land.

Hamsun hasste die Engländer. Das war auch den Karikaturisten damals bekannt.
Hamsun hasste die Engländer. Das war auch den Karikaturisten damals bekannt.

© Hamsun Center / Vooren

Dvergsdal glaubt, dass all diese Faktoren begünstigten, dass Hamsun die Nazis so verehrte. Und noch ein Grund dürfte laut Dvergsdal eine Rolle gespielt haben: Während Hamsuns Erfolg als Schriftsteller sich zunächst nicht einstellen wollte, weder in England, noch in Norwegen oder Frankreich oder sonst wo in Europa, verkauften sich seine Geschichten in Deutschland schon früh sehr gut. Eine für ihn ungewohnte Erfahrung: gefragt und angesehen zu sein.

Das alles sind Indizien, wieso Hamsun so empfänglich war für die Propaganda der Nazis. Auch 160 Jahre nach dessen Geburt wird sich nicht jeder Widerspruch auflösen lassen. Doch dass die Norweger sich mit dieser Frage auseinandersetzen, hat ihr schwieriges Verhältnis zum Schriftsteller entspannt. Man kann jetzt über Hamsun reden, notfalls streitet man eben. Zumindest ist eine gewisse Entspannung eingekehrt. Vor dem Hamsun-Center steht ein dunkler Geländewagen, auf dessen Heck ein Aufkleber prangt. „Hupe, wenn du Hamsun liest“, steht da.

Die Recherche wurde unterstützt von Talents2Norway.

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