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Heino Fröhlich würde einen Nachfolger gerne selbst noch anlernen, zwei Jahre kann das allerdings schon dauern.

© Thilo Rückeis

Traditionshandwerk in Gefahr: Warum einer der letzten Berliner Drucker aufhört

Visitenkarten, Briefbögen, Geburtsanzeigen: Der Drucker Heino Fröhlich liebt sein Handwerk. Seinen Laden in Charlottenburg muss er trotzdem aufgeben.

Von Andreas Austilat

Es klingt wie Ächzen, wie ein Stöhnen oder vielleicht doch eher ein Stampfen – als ob die schwarze Maschine zum Leben erwacht. Vielleicht ist es alles zusammen, ächz, stöhn, stampf, immer schneller, 5.000 bedruckte Bögen wirft der Heidelberger Tiegel, Baujahr 1982, in der Stunde raus, wenn man ihn loslässt, wenn alles gut läuft – und wenn irgendjemand bei Heino Fröhlich tatsächlich 5.000 bedruckte Bögen bestellt.

Heino Fröhlich, barfuß in Sandalen, längere weiße Haare, dazu Seehundschnauzer, hält die Maschine wieder an. Wollte nur mal zeigen, was sie kann. Er nimmt Platz hinter seinem Schreibtisch. Der ist gleichzeitig eine Art Tresen, darauf liegen verstreut die Post, ein paar Bücher und jede Menge Visitenkarten, von Fröhlich gedruckt. Er hält ein paar hoch, dem Regisseur Volker Schlöndorff gehört eine, dem Architekten Hans Kollhoff eine andere, alles seine Kunden.

Draußen über dem Geschäft in der Charlottenburger Leibnizstraße hängt die Leuchtschrift: „Otto Wentzel Druckerei“. Die Schrift sieht alt aus, wie jene, die man von manchen S-Bahnhöfen kennt. Es ist die Type „Claudius“, erfunden in den 1930er Jahren. Tatsächlich gibt es diesen kleinen Laden in Charlottenburg seit 1974. Und seit 2004 führt Heino Fröhlich ihn. Jetzt, im Alter von 69 Jahren, will, nein, muss er ihn verkaufen.

Früher, so geht die Legende, war ein guter Butler in der Lage, einen Besucher allein schon nach seiner Visitenkarte zu beurteilen. Indem er sie betastete, beschnupperte, der Prägung nachspürte, die die Lettern vielleicht im Papier hinterlassen hatten. Und dann wusste er: Der Gast hat Geld, Geschmack, Sinn für Qualität. Oder eben nicht.

Die Diagnose: ALS

Heute gibt es solche Butler wahrscheinlich nicht mehr. Und Drucker wie Heino Fröhlich, die kleine Bleilettern von Hand ins Winkeleisen klemmen, die ihr Handwerk noch ausüben wie – nun, vielleicht nicht ganz, aber wenigstens doch beinahe wie weiland Johannes Gutenberg, von denen gibt es in Berlin vielleicht noch eine handvoll. Schon bald wird es sehr wahrscheinlich einer weniger sein.

Mitten im Schaufenster in der Leibnizstraße hängt ein Zettel. Darauf steht: „Wer hat Freude am Traditionshandwerk und möchte meine Buchdruckerei fortführen?“ Sie wollen aufgeben, Herr Fröhlich? Er lächelt, bleckt die Zähne. Er will nicht aufgeben. Aber wahrscheinlich muss er es. Fünf Jahre ist es jetzt her, dass einer seiner Stammkunden, ein Arzt aus Potsdam, seine Visitenkarten abholte, seinen Drucker ganz genau beobachtete und zu ihm sagte: „Ich möchte Sie mal in meiner Praxis sehen.“ Und so bekam Heino Fröhlich die Diagnose: Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS.

Die Krankheit wird ihn lähmen, wird die Nerven zerstören, die alle Muskelbewegungen steuern. Schon jetzt muss Fröhlich um jedes Wort ringen, wenn er mit seinen Kunden spricht, was ihm sein Geschäft sehr schwer macht.

Aber leicht ist das schon lange nicht mehr. „Wer achtet heute noch auf Qualität?“, fragt er mit hörbarer Mühe. Qualität, die Zeit braucht und Geld kostet.

Fröhlich legt eine seiner Visitenkarten auf den Tisch, sie fühlt sich schwer an. 100 Stück kosten 90 Euro. Im Internet finden sich mit wenigen Klicks ganz andere Angebote. 4,98 für 100 Stück zum Beispiel. Natürlich würde jeder Butler, der etwas auf sich hält, solch eine Karte nur mit Handschuhen anfassen. Aber wen interessiert das noch?

Nicht Gott, aber kurz davor

Im offenen Nebenraum stehen seine Setzkästen. Fröhlich nimmt sich das Winkeleisen, pickt sich die Lettern aus dem Setzkasten, fügt sie zu einem Schriftzug zusammen. An der Wand hängt sein Gautschbrief vom 27. März 1969, da war er knapp 19 Jahre alt. Die verschnörkelte Urkunde bescheinigt ihm, das Handwerk des Buchdruckers gelernt zu haben. Gautschen, das ist eine Art Taufzeremonie, wie sie früher im graphischen Gewerbe üblich war. Der angehende Drucker wurde nach seiner Prüfung in einen Wasserbottich getaucht, wobei, gern fügte man auch noch Farbe hinzu, soll ja nach etwas aussehen. Der Brauch geht auf das 16. Jahrhundert zurück, heute wird er kaum mehr ausgeübt.

Buchdrucker, das waren neben den Schriftsetzern die Topleute des Gewerbes, in dem man sich früher mit der Formel „Gott grüßt die Kunst“ gegenübertrat. Fröhlich frickelt mit einer Pinzette einen Buchstaben an die richtige Stelle, er erstellt eine Hochzeitseinladung. Solche Einladungen, Briefpapier und Visitenkarten sind sein Hauptgeschäft. Manche beflügeln in dürren Zeilen die Phantasie zu einer kleinen Geschichte. Die kann glänzend sein, wie der geplante Empfang auf einer Burg, mit anschließendem Fest im Schloss. Oder tieftraurig wie die Geburtsanzeige, die gleichzeitig Trauer bekundet, weil das Datum der Geburt zugleich das Todesdatum ist.

Wer bei Heino Fröhlich etwas bestellt, bekommt Handarbeit geliefert.
Wer bei Heino Fröhlich etwas bestellt, bekommt Handarbeit geliefert.

© Thilo Rückeis

Wer früher Schriftsetzer und Buchdrucker gelernt hatte, der war nicht Gott, aber doch kurz davor. Facharbeiter im Druckereigewerbe durften in den 1960er Jahren noch mit 120 Prozent vom Tariflohn rechnen. So begehrt waren sie. Heute gibt es keine Schriftsetzer mehr. Und keine Buchdrucker, heute heißen sie alle Medientechnologen.

Buchdruck, das war Magie

„Ich kann lesen“, steht auf dem Rücken von Fröhlichs grauem T-Shirt. Ist wohl so etwas wie sein ironischer Kommentar zur Situation. Auf einer Art Handwalze demonstriert er, wie der Probedruck aussieht, anhand dessen der Kunde entscheidet, ob alles zu seiner Zufriedenheit ist.

Warum ist seine Gautsch-Urkunde auf den Namen Heino Hartig ausgestellt? „Fröhlich gefiel mir besser“, auch diese Worte muss er sich abringen, sein Lachen aber kriegt er noch gut hin. Fröhlich ist der Name der Frau, von der er inzwischen geschieden ist, den er aber behalten hat. „Ich hatte wohl zu wenig Zeit für die Familie“, räumt er ein, jedenfalls seit er den Laden übernommen hat. Früher, da seien sie auch in den Urlaub gefahren, mit dem VW-Bus nach Dänemark, oder an die Müritz. Seit 15 Jahren kommt er nicht mehr oft raus aus Berlin.

Fröhlich stammt von einem Bauernhof aus der Gegend um Bremervörde. Auf Landwirt hatte er keine Lust, Buchdrucker, das war Magie, Gedanken verewigen, immerhin haben Bücher bewiesen, dass sie als Medium hunderte Jahre halten können. Bei Festplatten oder in den Cloudspeichern steht der Beweis noch aus.

Fröhlich erinnert sich. Landkarten hat er gedruckt, von Sibirien zum Beispiel. Aber der Buchdruck war in den 60er Jahren bereits in der Krise. Er ging 1984 nach Berlin und schulte um, auf Offsetdruck, keine Lettern mehr, sondern Fett, Wasser und ein bisschen Chemie. Offsetdruck, das wurde die alles beherrschende Technik des Gewerbes, ist es noch. Denn es ist ja keineswegs so, dass es keine Druckereien mehr gibt.

Die ganz große Krise ist vorbei

„Zwei Prozent“, erklärt Henning Marcard vom Berliner Verband Druck und Medien. So viel beträgt der Anteil des Gewerbes an der gesamten Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik. Immerhin, der Anteil ist seit Jahren unverändert. Die ganz große Krise, sie ist vielleicht vorbei. Auch in Zukunft werden Drucker gebraucht, aber das Gewerbe hat sich verändert. Die kleinen und mittleren Betriebe sind oft verschwunden, das Geschäft auch mit den Privatkunden wird jetzt online betrieben, bundesweit, europaweit, manchmal sogar weltweit. Firmen wie Flyeralarm sind hoch automatisiert und unterhalten mehrere Produktionsstandorte. Da werden in Sammelformen 1.000 verschiedene Visitenkarten auf einem Bogen gleichzeitig ausgeworfen, nicht 5.000 mal sondern 18.000 mal in der Stunde.

Im Offsetverfahren bedruckte Heino Fröhlich in einem größeren Berliner Betrieb Faltschachteln für Zigarettenpackungen. Den Betrieb gibt es nicht mehr, Anfang der 2000er Jahre wurde Fröhlich arbeitslos. Kein guter Zeitpunkt. Im Gewerbe nicht und für einen über 50-Jährigen schon gar nicht. Das war der Moment, in dem er von Otto Wentzel den Laden übernahm, um künftig als sein eigener Chef weiterzumachen.

Vielleicht hat Otto Wentzel zum richtigen Zeitpunkt verkauft, vielleicht hätte Fröhlich sein Geschäftsmodell ein wenig anpassen müssen – mit einem eigenen Internetauftritt zum Beispiel.

Doch Otto Wentzels Nachfolger ist offensichtlich zufrieden, wie es läuft. In seinem Schaufenster hängen Bilder von Keith Richards, Willy Brandt und Johnny Cash. Es sind die Helden seiner Jugend, denen er bis heute die Treue hält. Drinnen hat er seinen Laden mit weiteren Bildern dekoriert, und mit vielen Zeitungsartikeln. Zum Beispiel über Gabriel Garcia Marquez. Er sei ein Büchermensch, wie er selber sagt.

Einen Nachfolger sucht er seit zwei Jahren

Die Tür geht auf, ein hochgewachsener Mann in dunkelblauen Hosen und dazu passendem hellblauem Hemd kommt herein, wahrscheinlich hängt sein Jackett irgendwo in einem Büro in der Nachbarschaft. Er stellt sich als Rechtsanwalt vor, braucht Briefpapier und Visitenkarten. Fröhlich kennt ihn. Ob er das Schild im Schaufenster bemerkt hat, es hängt schon länger dort. Der Mann stutzt. „Das wäre schade“, kommentiert er das mögliche Verschwinden seines Druckers. Er komme doch schon seit Jahren.

5000 bedruckte Bögen wirft der Heidelberger Tiegel, Baujahr 1982, in der Stunde aus.
5000 bedruckte Bögen wirft der Heidelberger Tiegel, Baujahr 1982, in der Stunde aus.

© Thilo Rückeis

Wenn Fröhlich seine Arbeit hier vergleicht mit der, die er zuvor gemacht hat, dann würde er nicht mehr tauschen wollen. Urlaub hin oder her. Hier kann er seine Kunst ausüben, sein Handwerk, wie er es vor vielen Jahren mal gelernt hat. Und er hat Kontakt mit den Kunden, das sei es, was er besonders schätzt. Manche kämen ja auch, weil sie sich unterhalten wollten. Gesprächsanlässe gibt es hier genug. Willy Brandt zum Beispiel oder Keith Richards, der Geruch nach Papier und Farbe.

Nur über seine Krankheit, über die spricht Heino Fröhlich nicht. Das Problem ist, dass sie ihm das Gespräch mit den Kunden immer schwerer macht. Und dann hat ihn vor zwei Wochen auch noch sein einziger Mitarbeiter verlassen. Der Mann ist inzwischen 80 und hat einen Hörsturz erlitten. Fröhlich geht regelmäßig zum Logopäden, um sein ihm verbliebenes Sprachvermögen zu trainieren.

Einen Nachfolger sucht er nun schon seit zwei Jahren, mal mehr, mal weniger intensiv. 35.000 Euro will er haben. Eine Menge Geld für einen Laden, der nur gemietet ist? Immerhin sei allein das Papier in seinem Lager 10.000 Euro wert, sagt er. Man nehme nur mal das ganze Bütten, zum Beispiel. Und dann sind da noch die Bleilettern, auch noch mal 5.000 Euro, wie er vorrechnet. Die bekommt man nicht an jeder Ecke, er zum Beispiel bezieht sie aus Frankfurt. Und die Maschinen, allen voran sein Heidelberger Tiegel. Nicht zu vergessen: seine Stammkunden.

Billig sein oder Luxus bieten

Für Handwerksbetriebe wie den von Heino Fröhlich wird es immer eine Nische geben, glaubt Henning Marcard vom Branchenverband. Jedenfalls in Städten wie Berlin, die locker mehrere solcher Werkstätten tragen könnten. Man denke nur an die vielen Diplomaten, gerade die hätten doch Bedarf an besonderen Visitenkarten.

Nein, an Kunden, die ein Auge für besondere Qualität hätten, fehle es nicht. Es sieht wohl so aus, dass man heute entweder billig sein muss, oder Luxus bieten. Nur dazwischen wird es schwierig.

Immerhin, das sagt Marcard ebenfalls, inzwischen gebe es einige jüngere Drucker, die die Tradition pflegen. Er nennt Betriebe wie die Druckerey in Weißensee oder die Lettertypen in Adlershof, die mit genau diesem Anspruch unterwegs sind. Ob es für einen Nachbarschaftsladen wie den von Fröhlich in Charlottenburg reicht, das ist angesichts der Situation auf dem Berliner Mietmarkt fraglich.

Wie geht es also weiter? Heino Fröhlich traut sich zu, auch jemanden anzulernen, wenn der Interesse und Geschick mitbringe. Dazu muss man kein Meister mehr sein. Wie lange würde das dauern? Schon so zwei Jahre, sagt Fröhlich.

Wie viel Zeit billigt er sich selber noch zu? Noch ein Jahr. Wenn nichts dazwischenkommt. Was man nie weiß. Vor ein paar Jahren hat ihn ein SUV vom Fahrrad geholt, Trümmerbruch im rechten Oberschenkel. Nein, ein Glückskind ist er irgendwie nicht. Dann widmet er sich wieder seiner Maschine. Ächz, Stöhn, Stampf, tatsächlich, es klingt, als ob sie lebt.

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