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Fremde nicht erwünscht: Ein Polizeibeamter kontrolliert vor der Ziegelgrabenbrücke den Verkehr in Richtung der Insel Rügen.

© Stefan Sauer/dpa

Touristen verboten: So vergiftet das Coronavirus die Atmosphäre in deutschen Urlaubsgebieten

Tagsüber verstecken sie sich, Freunde stellen Essen vor die Tür. In der Corona-Krise werden Urlauber an der Ostsee, in Brandenburg und anderswo zur Zielscheibe.

Es musste jetzt schnell gehen. Was, wenn sie die Insel dichtmachen? Wenn es nicht mehr möglich wäre, in ihr Sommerdomizil zu gelangen?

Der Gedanke ist Frieda und Paul Franke* (Namen von der Redaktion geändert) ein Graus, in der Berliner Wohnung eingesperrt zu sein. Womöglich monatelang. Der frühere Schulleiter wäre mit über 80 Jahren an die Stadtwohnung gebunden, könnte sie nicht verlassen als Teil der Risikogruppe, zu dem ihn sein Alter macht. Seine Frau hat einen Fluchtplan. Aber er hat die Steuererklärung noch nicht fertig.

Frieda Franke, 73, sagt, er soll hinnemachen, es gehe hier um Leben und Tod.

Eine unsichtbare Grenze hat sich geschlossen

Es gibt da eine Insel in der Ostsee, ihr Name tut nichts zur Sache, nur dass sie zu Mecklenburg-Vorpommern gehört, sei erwähnt, das Bundesland hat in der Coronakrise scharfe Regeln zum Aufenthaltsrecht erlassen. Am 15. März spätabends heißt es plötzlich, dass die Inseln abgeriegelt würden.

Bis nachts um drei sitzt Paul Franke an den Unterlagen. Er sei „ein bisschen pingelig“, sagt Frieda Franke. Morgens läuft sie los, Besorgungen erledigen, sie stopfen den Großeinkauf ins Auto, den Hund dazu – und sind unterwegs.

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Die Frankes besitzen ein einsam gelegenes Haus auf der Insel, umgeben von 13 Hektar privatem Land. Man kann das Wasser vom Fenster aus sehen. Dorthin wollen sie nun. Die Zeit der Selbstabschottung, die die Bundesregierung anmahnt, sei in einem von Wald und Wiesen umgebenen Refugium besser zu ertragen als in der Enge der Stadt, denken sie. Es ist auch sicherer für Paul Franke.

Eine Stunde nachdem sie ihr Haus erreichen, beginnt die Polizei, sämtliche Autos, die auf die Insel wollen, an der Brücke zu kontrollieren. Eine unsichtbare Grenze hat sich hinter den Frankes geschlossen.

„Du bringst uns Corona“

In Mecklenburg-Vorpommern sind – ähnlich wie in Schleswig-Holstein – mit Wirkung vom 19. März „touristische Reisen aus privatem Anlass“ untersagt. Das Aufenthaltsverbot gilt auch für jene, die einen Zweitwohnsitz an der Küste unterhalten. Ausnahmen gelten nur für jene, die „einer erwerbsmäßigen und selbstständigen Tätigkeit“ nachgehen, „also wenn sie zum Arbeiten ins Land kommen“.

Zur Seuchenbekämpfung trägt die Regelung kaum bei – bleibt zu Hause, lautet die von den Virologen ausgegebene Losung. Dabei ist es unerheblich, wo man zu Hause bleibt. In Mecklenburg-Vorpommern und im brandenburgischen Landkreis Ostprignitz-Ruppin sieht man das anders.

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Auch im niedersächsischen Cuxhaven wurde mit Blick auf die eigenen begrenzten medizinischen Ressourcen ein Einreiseverbot für Besitzer von Ferienhäusern verfügt.

Und vielerorts, wo sich Einheimische, bestärkt von dieser Regelung, zu Hütern der Corona-Quarantäne aufschwingen, berichten Menschen von einem Klima der Einschüchterung und offener Feindseligkeit. „Du bringst uns Corona“, war auf einen Zettel geschrieben, der bei Otterndorf – an der Elbmündung gelegen – an der Windschutzscheibe eines ortsfremden Autos klebte.

Auf Usedom sollen Autos mit Nummernschildern vom Festland mit Steinen beworfen worden sein. So findet man nun vermehrt Hinweiszettel an ihnen, auf denen die Halter in großen Lettern mitteilen, „kein Tourist“ zu sein.

Klare Ansage: Ein Schild an der A20 unweit von Burow im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.
Klare Ansage: Ein Schild an der A20 unweit von Burow im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.

© imago images/BildFunkMV

Wenn man sie aufspüren würde, müssten sie die Insel verlassen

Die angespannte Situation lässt Gräben zwischen Nachbarn entstehen, von denen die gar nichts geahnt haben. Es ist ein altes Gift. Das Virus macht es sichtbar. Frieda Franke fällt dazu nur gallig ein: „Die wollen hier unter sich bleiben.“

Dabei betrachtet sie sich keineswegs als Fremde. Seit 30 Jahren ist Frieda Franke Halbinsulanerin, und sie weiß Einheimische mit der Feststellung zu bezirzen, dass sie und ihr Mann „sogar auf der Insel geheiratet“ hätten.

Von Ostern an verbringen die Frankes sechs Monate im Jahr in ihrem Inselhaus. Im Winter unternehmen sie Reisen oder sind in Berlin, wo sie Theater-Freundeskreisen angehören, Ausstellungen besuchen, wo sie bis spätnachts unterwegs sind und morgens spät aufstehen. Und Frieda Franke zitiert ein Sprichwort: „In der Stadt lebt man wegen der Unterhaltung, auf dem Land ist man die Unterhaltung.“

Zur Unterhaltung zu werden, ist in diesen Tagen allerdings gefährlich. Nichts fürchtet die Dame mehr. Wenn man sie aufspüren würde in ihrem Haus, und Freunden ist das auf der Insel bereits passiert, droht ihnen, dass sie des Ortes verwiesen werden.

Frankes lassen einen Mann aus dem Nachbardorf nach ihrem Haus sehen, wenn sie nicht da sind. Der hat in all den Jahrzehnten, die das nun schon so geht, nicht ein Mal angerufen. Jetzt klingelte das Telefon nach ihrer Ankunft, und der Mann fragte, ob sie denn jetzt da wären.

Über die Offensichtlichkeit dieser Tatsache musste Frieda Franke herzlich lachen. Sie war gewarnt.

Das perfekte Werkzeug zur Gängelung

Die nächste Warnung kam von einer Freundin, die in der Nähe einen Gutshof mit Ferienwohnungen betreibt und ihre hochbetagte Mutter bei sich aufgenommen hat. Das Ordnungsamt machte ihr seine Aufwartung. Mehrmals, unangenehm sei das gewesen. Der Gewerbeschein rettete die Situation. Aber es empört Frieda Franke, wie nun der Untertanengeist aus den Löchern gekrochen komme.

Die AfD habe in ihrer Gegend Mecklenburg-Vorpommerns eine große Wählerschaft, kommt auf mehr als 20 Prozent. Einige würden nun durch die allgemeinen Beschränkungen das perfekte Werkzeug zur Gängelung erhalten.

Nicht mit ihr. Sie ruft das Amt an, Einwohnerbehörde. Man sagt ihr, dass sie keinen Erstwohnsitz hier anmelden könne, weil sie ja nicht auf der Insel sei. Doch, bin ich, sagt sie. Kunstpause. Was sie tun könne?

Viele aus dem weitverzweigten sommerlichen Bekanntenkreis der Frankes gehen diesen Weg. Das weiß Frieda Franke jedoch nicht. Denn die Freunde berichten erst davon, nachdem ihr Antrag genehmigt ist. Alle haben das Gefühl, den Schutz eines Dokuments zu brauchen.

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Das Auto mit Berliner Kennzeichen haben sie versteckt

Ungefähr zur selben Zeit an einem anderen Ort will Jens Richter endlich Sicherheit. Er fragt sich schon seit einer Weile, darf er bleiben oder muss er raus? Raus aus dem brandenburgischen 60-Seelen-Dorf im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, das ihm in den vergangenen zehn Jahren ans Herz gewachsen ist.

Raus aus der Gemeinschaft, in die er sich eingebracht hat. Raus aus der Wohnung, in der er seit drei Wochen eine Bronchitis auskuriert. „Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir gut integriert sind“, sagt Richter.

Eigentlich. Nun fühlten er und seine Frau Melak sich wie „Aussätzige“. Das Auto, das sie als Berliner erkennbar macht, haben sie versteckt, das Tor zur Einfahrt geschlossen, die Vorhänge zugezogen.

Deutliche Warnung. Auf der Insel Usedom werden Autofahrer kontrolliert.
Deutliche Warnung. Auf der Insel Usedom werden Autofahrer kontrolliert.

© Tilo Wallrodt

Um zu wissen, woran er sei, suchte er den Ortsvorsteher auf, sagt Richter. Die beiden kennen sich, sind per Du. Hier kennt jeder jeden. Doch nun scheint Richter nicht mehr der Jens zu sein, sondern der Fremde.

Der Ortsvorsteher, „blieb total passiv, da war keine Hilfe, keine Solidarität zu erwarten“, sagt Richter. Stattdessen habe ihn der Ortsvorsteher auf die Internetseite der Kreisverwaltung verwiesen. Auf der heißt es begraben unter Paragrafen verkürzt: raus!

In Richters Kopf schwingt noch der Satz nach, den der Ortsvorsteher ihm mit auf den Weg gegeben habe: „In so einer Situation gibt es nur Schwarz oder Weiß.“

Die „Situation“ ist eine Allgemeinverfügung des Landkreises „Zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus“ aus der vergangenen Woche. Demnach darf kein Tourist mehr den Landkreis betreten, wer schon da ist, muss nach Hause. Betroffen waren auch hier anfangs Menschen mit einem Zweitwohnsitz wie der 55-jährige Theaterbeleuchter Richter. Mittlerweile gibt es einen ergänzenden Erlass des Landkreises: Wer von ihnen schon da ist in Ostprignitz-Ruppin, der darf bleiben.

Wem sollte er zur Gefahr werden?

Je weniger Menschen, desto weniger Kontaktmöglichkeiten, desto weniger Covid-19-Ansteckungen. Diese Maxime gilt auch in der spärlich besiedelten Ostprignitz. Auf einen Quadratkilometer kommen 39 Personen. Deutschlandweit gibt es nur zwei Landkreise, die dünner besiedelt sind, einer davon ist der Nachbarlandkreis Prignitz. Dort – sowie in allen anderen Landkreisen Brandenburgs – gibt es eine vergleichbare Verordnung nicht.

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Natürlich habe er Verständnis dafür, sagt Jens Richter, dass in diesen Zeiten keine Touristenmassen in den Urlaub fahren könnten. Aber mit seiner Frau auf dem großen Anwesen in dem kleinen Dorf Wulkow? 15 Kilometer sind es bis zur nächsten Kleinstadt, zwei Mal am Tag hält ein Bus im Dorf, aus seinem Fenster kann Richter Schafe weiden sehen. Wem sollte er da zur Gefahr werden?

Richter hält es jetzt für sicherer, mit der Nachbarin zum Einkaufen zu fahren, deren lokales Nummernschild falle nicht auf. Sicher ist sicher.

„Früher nannten wir es Stasi, jetzt fehlen mir die Worte“

Sichtbarer ist der Konflikt im Nachbardorf Teetz. Rund 200 Menschen leben hier, fast die Hälfte kommt aus Berlin. Die meisten sind nur am Wochenende da, trotzdem versteht man sich. Im Sommer gibt es ein gemeinsames Festival, in einer Whatsapp-Gruppe werden Dorfthemen besprochen, Witze verschickt.

Als in der vergangenen Woche die Verfügung bekannt wird und sich Berliner beschweren, schreibt ein Alteingesessener: Die Diskussion ist überflüssig und unangebracht. Ein anderer antwortet im Namen der gebürtigen Teetzer – Daumen hoch.

„Mein Weltbild ist erschüttert“, sagt Elisabeth Kohler*, 75 Jahre alt, als sie davon erzählt. Niemand habe widersprochen. „Es ging sofort los, plötzlich waren diese Stimmen da“, sagt sie und stapft über den gefrorenen Waldweg am Dorfrand. Aus der Ferne beobachten sie ein paar Wasserbüffel, auf dem Feld sind Wildgänse und Kraniche zu sehen. Corona scheint weit weg, doch das Virus hat auch das Dorf erreicht.

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Kohler fühl sich an alte Zeiten erinnert, sagt sie. Zeiten, in der sie aus der DDR zu fliehen versuchte und im Gefängnis landete. Vor zehn Jahren zog sie nach Teetz. „Ich habe ein tolerantes Dorf kennengelernt“, sagt Kohler. Nun fühle sie, wie etwas auseinanderbreche. „Früher nannten wir es Stasi, jetzt fehlen mir die Worte.“

Hinter Gardinen würden sich Nachbarn beobachten, im Dorf gebe es keine Menschen mehr, nur noch Gesetze. Kohler, die sich eigentlich als Vermittlerin zwischen Berlinern und Alteingesessenen sieht, schockiere das.

In der Whatsapp-Gruppe hat eine widersprochen: Wie würden die Dörfer ohne die Investitionen der Berliner aussehen, fragt sie. Wie würden die Dörfer aussehen, wenn das Virus eingeschleppt wird, fragt einer zurück. Im Chat wird nun dezidiert unterscheiden. Zugezogene und Alteingesessene.

Bis zu fünf Petzeranrufe am Tag

An der Ostsee suchten derweil Mitarbeiter der Ordnungsämter die Feriensiedlungen nach letzten versprengten Touristen ab – entsprechende „Hinweise aus der Bevölkerung“ waren eingegangen, wie es offiziell hieß. Zwischen zwei und fünf solcher „Petzeranrufe“ habe es pro Tag gegeben, sagt der Chef eines Ordnungsamts auf Usedom.

Viele Einheimische seien in der Gastronomie beschäftigt und jetzt überwiegend in Kurzarbeit. Die säßen zu Hause, von existenziellen Sorgen geplagt, und wenn die ein ortsfremdes Kfz-Kennzeichen sehen würden, fragten sie sich, warum ist uns etwas verboten, was anderen gestattet werde. Dann meldeten sie sich eben. „Ist vielleicht normal unter diesen Umständen.“

Was ist noch normal?

Einen Tag nach ihrem Anruf beim Einwohneramt öffnet sich im Hinterhof des Amtsgebäudes vor Frieda Franke ein Fenster. Ein Mann mit Gesichtsmaske und Einweghandschuhen nimmt den ausgefüllten Antrag entgegen. Kurz darauf kann sie ihren Personalausweis wieder abholen. Und das Erste, was sie macht: einen Scan des Dokuments an eine Reihe von Einheimischen zu schicken, die, wie sie weiß, ein Gerücht entweder verbreiten oder zum Schweigen bringen können.

Selbstverteidigung. Auf Usedom sollen Autos von Ortsfremden mit Steinchen beworfen worden sein.
Selbstverteidigung. Auf Usedom sollen Autos von Ortsfremden mit Steinchen beworfen worden sein.

© Tilo Wallrodt

Während in den folgenden Tagen bei sämtlichen ihrer Freunde die Polizei auftaucht, sehen sie und ihr Mann niemanden. Das müsste reichen, denken die Frankes. Tut es aber nicht.

Ein in der Landeshauptstadt erlassenes Gesetz schreibt nun vor, dass auch der Gatte den ersten Wohnsitz auf der Insel haben muss. Von nun an verlässt Paul Franke tagsüber das Haus nicht mehr.

Menschen ausgrenzen? Das sei nicht die Absicht, sagt der Landrat

Der, der für so viel Unsicherheit und Wut in Landkreis Ostprignitz-Ruppin gesorgt hat, ist Landrat Ralf Reinhardt. „Wir hatten Angst vor einer unkontrollierten Entwicklung“, sagt der SPD-Politiker am Telefon. Nach der Quasi-Grenzschließung im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern und den ersten warmen Frühlingstagen sei es zu einem Touristen-Rückstau gekommen.

Schon spazieren gehen ist verdächtig: Eine Szene am Strand.
Schon spazieren gehen ist verdächtig: Eine Szene am Strand.

© Tilo Wallrodt

Die Ordnungsämter hätten viele fremde Autokennzeichen beobachtet und volle Ferienhaussiedlungen in Rheinsberg und Linow gemeldet, genaue Zahlen hat er nicht. Ob es sich dabei um Eigentümer oder Urlauber handle, sei nicht ermittelbar gewesen. Trotzdem sagt Reinhardt: „Wir haben gemerkt, dass wir schnell handeln müssen.“

Dass durch die Verordnung Kurzzeit-Touristen und Menschen mit jahrelangem Zweitwohnsitz gleich behandelt werden, sei notwendig. Gegen den Vorwurf, er setze den sozialen Frieden aufs Spiel, wie es ihm sein Amtskollege und Parteifreund aus dem Landkreis Märkisch-Oberland vorwirft, verwahrt sich Reinhardt jedoch.

„Es geht nicht darum, Menschen gegeneinander aufzuhetzen oder auszugrenzen. Wir wollen lediglich eine Pause der vermeidbaren Reisen. Durch ständig einpendelnde Reisende mit touristischen Motiven wird das konterkariert.“

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Der Landrat argumentiert mit möglichen Belastungen für das Gesundheitssystem: „Die Krankenhäuser im Kreis sind sehr, sehr knapp ausgestattet mit Schutzmaterial.“ Und der Verteilungsschlüssel für Krankenhausbetten im Landkreis orientiere sich an der Einwohnerzahl, an jenen mit Erstwohnsitz hier.

Ein Gericht widerspricht der Anordnung des Landkreises

Dieser Argumentation folgt das Verwaltungsgericht Potsdam jedoch nicht. Am Mittwoch gibt es zwei Berlinern mit Zweitwohnsitz in Ost-Prignitz recht, die im Eilverfahren gegen die Verfügung geklagt hatten. Im Urteil wird angezweifelt, dass es wegen der „bevorstehenden Anreise von Zweitwohnungsnutzern“ zu einer „Kollabierung des Gesundheitssystems des Landkreises“ komme.

Die Frankes, die aus Berlin an die Küste Geflüchteten, leben in Selbstquarantäne, „was natürlich mit Haus und Hof privilegiert ist“, wie sie sagen. Sie backen ihr Brot selbst, gehen nicht einkaufen, durchstreifen höchstens mal die Wälder mit dem Hund. Oder es werden ihnen Eier und Kuchen vor die Tür gestellt. Bis August dürfte sich die Situation hinziehen, glauben sie. Vielleicht sogar ein Jahr. „Ich überlege schon, ob ich mir Hühner kaufe.“

Aber was, wenn irgendein missgünstiger Typ sie nun anzeigen würde? Von solchen Gestalten, sagt Frieda Franke, gebe es in ihrer Umgebung nicht wenige. Und sie wird lebhaft, wenn sie von dem Argwohn gegen ihresgleichen berichtet und dass man ihr hier ihr westdeutsches Leben übel nehme.

Ostdeutsche in ihrem Alter hätten eben nicht dieselbe Chance gehabt, sich etwas aufzubauen, wovon sie jetzt zehren könnten. „Die sind total frustriert. Und das leben sie jetzt aus.“

Das mit den Petzern habe sich mittlerweile gelegt, sagt der Verwaltungschef von Usedom-Süd, René Bergmann, ein jovialer Typ, herzlich, direkt.

Meistens seien die verdächtigen Personen ohnehin „berechtigt“ gewesen, sich in ihren Wohnungen aufzuhalten, sagt er mit einer Stimme, die wie ein kräftiger Händedruck wirkt. Und dann meint er noch: „Trotz der Lage müssen wir alle Menschen bleiben.“

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