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Der Lippenbär (Melursus ursinos) wurde als „Balu, der Bär“ im Roman "Das Dschungelbuch" bekannt.

© Michael Fahrig

Tierpräparate: Ein Schatz aus Fell und Federn

Das Zoologie-Gebäude des Instituts für Biologie in Berlin-Dahlem beherbergt eine umfangreiche Sammlung an Tierpräparaten. Von ihr geht eine Faszination der Echtheit aus.

Der zottige Lippenbär blickt aufmerksam zu Boden, die lange Schnauze wie auf Futtersuche vorgereckt. Neben ihm steht sein Skelett in gleicher Pose. Zu sehen ist das Tierpräparat im ersten Stock der „Zoologie“, des Gebäudes in der Königin-Luise-Straße 1 – 3, das zum Institut für Biologie der Freien Universität Berlin gehört. Auch ein Riesensalamander, ein Baumkänguru und viele weitere Objekte sind seit der Renovierung des Hauses in den Fluren und Treppenhäusern ausgestellt. Sie stammen aus der umfangreichen zoologischen Sammlung des Instituts.

„Die Sammlung gehört schon lange zu diesem Haus“, sagt der promovierte Biologe Alexander Fürst von Lieven, der Lehramtsstudierende im Fach Zoologie unterrichtet. Das Gebäude war 1912 als Institut für Pflanzenphysiologie erbaut worden. Der erste Nutzer war Gottlieb Haberlandt, der als Professor für Botanik an der damaligen Friedrich-Wilhelms- Universität zu Berlin – der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin – forschte und lehrte.

Manche träumten von einem Naturkundemuseum für West-Berlin

Als Ende der 1940er Jahre der Lehrbetrieb an der Freien Universität aufgenommen wurde, zog die Zoologie in das Gebäude ein. Manch einer habe damals wohl davon geträumt, dort ein Naturkundemuseum für West-Berlin aufzubauen, sagt Alexander Lieven. Doch dafür habe die politische Unterstützung gefehlt. Stattdessen wurde eine umfangreiche Lehrsammlung angelegt. Wie viele Stücke sie heute enthält, sei schwer zu schätzen. „Es sind sicher einige Tausend Objekte – Stopf- und Nasspräparate, Skelette, Schädel, Insekten und Spinnen“, sagt der Biologe. Der Sammlungskatalog besteht aus Karteikarten, die bisher nicht digitalisiert wurden.

Auch Jens Rolff, Biologieprofessor und geschäftsführender Direktor des Instituts, ist der Ansicht, dass die Sammlung dem Standort einen besonderen Charakter verleiht. „Deshalb hat der Institutsrat entschieden, sie nach der Renovierung auch öffentlich zu präsentieren“, sagt der er. Seit 2014 wird das Haus Schritt für Schritt bei laufendem Betrieb saniert, die meisten Baumaßnahmen sind inzwischen abgeschlossen. Die Sammlungsräume selbst allerdings sind noch nicht renoviert. Hier stehen alte Schränke und Vitrinen dicht an dicht und bilden schmale Gänge – eine Bibliothek der Vielfalt des Lebens, die zu besonderen Anlässen – und wenn eine Pandemie nicht die Gesundheit bedroht – auch besichtigt werden kann. Die Scheibe einer großen Vitrine ist mit Papier zugeklebt. Darauf hat eine Mitarbeiterin den Hinweis angebracht: „Bitte Sichtschutz nicht entfernen – ich habe eine Spinnenphobie!“

Präparate aus der Vogelsammlung
Präparate aus der Vogelsammlung

© Michael Fahrig

Die ausgestopften Tiere und viele andere Objekte sind das Werk von Heidi Schindler. Die Biologin und ausgebildete Tierpräparatorin war bis zu ihrer Pensionierung vor einigen Jahren für Aufbau und Erhalt der Sammlung zuständig. „Wenn Kolleginnen und Kollegen oder Studierende ein totes Tier im Wald gefunden hatten – etwa eine Singdrossel oder einen Specht –, kam es zunächst in die Tiefkühltruhe und wurde später aufgearbeitet“, berichtet Alexander Lieven. Auch Zoos und Tierparks hätten dem Institut verendete Tiere zur Präparation überlassen. So stamme der Lippenbär, der eigentlich in Südasien beheimatet ist, aus dem Zoologischen Garten Berlin. „Von Heidi Schindlers Arbeit profitieren wir heute noch“, sagt der Wissenschaftler. Unter ihrer Anleitung hätten auch interessierte Studierende Präparate bearbeitet und katalogisiert. Um die Instandhaltung – etwa das Auffüllen von Flüssigkeiten bei Nasspräraten oder das Erneuern von Mottenpapier – kümmern sich nun studentische Hilfskräfte oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts auf freiwilliger Basis. Für den Einsatz in der Lehre haben zahlreiche Stopfpräparate Hauben aus Plexiglas erhalten, denn Haut, Fell und Federn wurden bis zu den 1980er Jahren mit Chemikalien haltbar gemacht, die heute als giftig gelten. Bei Knochen sind diese Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig. Die zahlreichen Greif- und Singvögel werden zum Beispiel für Bestimmungsübungen in den Bachelorstudiengängen Biologie, Biologie auf Lehramt und Grundschulpädagogik eingesetzt, denn beim Lernen spiele die unmittelbare Erfahrung eine wichtige Rolle. „Wir brauchen Impulse, etwas emotional Berührendes, um Lernmotivation zu erzeugen,“ sagt Alexander Lieven. In der Biologie gelinge das mit lebenden Organismen – etwa mit einer Tümpelprobe unter dem Mikroskop – oder eben mit Stopfpräparaten oder Knochen, die auch eine haptische Dimension haben. Auf diese Weise Erlerntes lasse sich in Prüfungen nachweislich besser reproduzieren. Filme und Bilder verleiteten Studierende, Schülerinnen und Schüler dagegen eher nicht zum aktiven Lernen, sondern förderten eine inaktive „Konsumhaltung“.

Jedes Objekt war eine Tierpersönlichkeit

Mit ethischen Vorwürfen zur Arbeit mit „toten Tieren“ sei der Dozent in seinen Seminaren bisher noch nicht konfrontiert worden – obwohl er dafür durchaus Verständnis hätte, sagt Alexander Lieven: „Jedes Objekt hat seine individuelle Geschichte: Es war eine Tierpersönlichkeit, deren konservierte Leiche wir nun zum Zweck des Lehrens verwenden.“

Für die Forschung habe diese Sammlung hingegen kaum Bedeutung, sagt Jens Rolff. Fundstücke seien nur dann wissenschaftlich verwertbar, wenn Angaben über Fundort und -zeit sowie die Finderin oder den Finder systematisch erfasst und digitalisiert seien. Darauf sei diese Sammlung – anders als etwa die des Museums für Naturkunde in Berlin-Mitte – nicht ausgelegt. „An unserem Institut gibt es keine wissenschaftliche Arbeitsgruppe mit Schwerpunkt Taxonomie der Tiere, also der Theorie und Praxis der biologischen Klassifikation“, sagt Jens Rolff.

Dennoch ist es ihm wichtig, dass angehende Biologinnen und Biologen auch Grundkenntnisse darüber erwerben, wie sich die Evolution und Entstehung der Arten anhand von morphologischen, also äußerlich sichtbaren Merkmalen, nachvollziehen lassen. Mit seinen Studierenden erarbeitet der Biologieprofessor deshalb im ersten Semester die Stammbäume verschiedener Tierarten anhand von Präparaten aus der Sammlung. „Krokodile haben zum Beispiel nur eine Sorte Zähne“, erklärt Jens Rolff. „In einem Säugetiergebiss finden Sie dagegen verschiedene Zahntypen – Backenzähne, Schneidezähne, Reißzähne.“ So ließen sich Reptilien und Säuger – beides Landwirbeltiere – schon anhand dieses einen Merkmals deutlich unterscheiden.

Manche Sammlungen liegen seit Jahrhunderten originalverpackt im Archiv

Neue Methoden der Molekularbiologie und der Bioinformatik gewännen zwar in der Taxonomie ebenso wie in der Evolutions- und Biodiversitätsforschung sowie auf vielen anderen Fachgebieten der Biologie an Bedeutung. „Aber auch für die Interpretation von morphologischen Daten gibt es weiterhin Bedarf“, sagt Alexander Lieven. So lägen in manchen Naturkundemuseen noch Jahrzehnte und Jahrhunderte alte Sammlungen originalverpackt im Archiv. „Dort hat man schon Nachwuchssorgen, weil sich immer weniger Biologinnen und Biologen auf die Sammlungsforschung spezialisieren.“

Auch deshalb setzen Jens Rolff und Alexander Lieven in der Lehre auf die Faszination der Echtheit, die von den Präparaten der zoologischen Sammlung ausgeht. Die dürfen Studierende hoffentlich bald wieder erleben, wenn die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie aufgehoben werden und Präsenzlehre wieder stattfinden kann.

Marion Kuka

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