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Wolfgang Becker.

© David Heerde

Regisseur von „Good bye, Lenin!“: Wolfgang Becker: Aus der Welle aufgetaucht

Mit „Good bye, Lenin!“ hatte er einen Welterfolg – und bereitete der DDR einen würdigen Abschied. Zwölf Jahre lang drehte Wolfgang Becker danach keinen großen Film mehr. Bis jetzt.

Warten auf den Regisseur, in seinem Büro. In den Regalen stehen Aktenordner, die verraten, was so ein Film ist, zuerst und zuletzt. Kunst? Wer interessiert sich für Kunst? Film ist Handelsware, ein teures, überaus prekäres Produkt der Kulturindustrie.

Beckers „Good Bye, Lenin!“ hatte rund 4,8 Millionen Euro gekostet und allein bis zum 6. November 2003 weltweit 55 694 557 Dollar eingespielt. Vor Beckers Bilanzen steht die bunte Rakete aus „Good Bye, Lenin!“, ganz aus Pappe. Was für eine friedliche Koexistenz von Kommerz und Seele! Die Rakete, mit der der kleine Alex (Daniel Brühl) ins All fliegen wollte wie Sigmund Jähn, der erste Fliegerkosmonaut der DDR.

Ja, „Fliegerkosmonaut“, genauso hieß das. Und am Ende von „Good Bye, Lenin!“ startet die Rakete noch einmal, die Asche von Alex’ Mutter im Bauch. Das war der Augenblick, an dem man endgültig verstanden hatte, dass mit diesem Film viel mehr verabschiedet wurde als eine hoffnungslos herzkranke Frau: „Good Bye, Lenin!“ war die Grablegung einer Untoten, war die Beisetzung der DDR, dreizehn Jahre nach ihrem Ende. Und sie besaß Würde, eine Würde, die man längst nicht mehr erwartet hatte.

Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben das verstanden, das unterschied sie von der deutschen Filmkritik. Die deutsche Filmkritik verriss den Film. Wie klein diese bunte Rakete doch ist. Schräg gegenüber wacht eine Kuckucksuhr über Beckers Zeit. Vor seinen Fenstern in der X-Filme-Villa in der Berliner Kurfürstenstraße rauschen die Bäume. Bei diesem grünen Rauschen also hat er nach seinem Welterfolg zwölf Jahre lang keinen großen Film mehr gemacht, immer die kleine Rakete vor Augen und die Kuckucksuhr im Nacken.

Als Wolfgang Becker seinen vorletzten großen Film drehte, war die Autorin dieses Porträts noch jung, und seine Schauspieler waren es auch: Jürgen Vogel, Martina Gedeck, Christiane Paul und die anderen. Das war „Das Leben ist eine Baustelle“, 1997. Dann machte Becker erst mal Pause, eine Becker’sche Ewigkeitspause, und 2003 folgte „Good Bye, Lenin!“. Wo bleibt der vielleicht langsamste Regisseur der Welt?

Als er eintritt, ist der erste Reflex, ihn gleich wieder rauszuschicken. Sieht er nicht aus wie ein Handwerker, der sich in der Tür geirrt hat? Liegt es am Gang oder an dem offenen Fleischerhemd oder an dem, was man seine kompakte Größe nennen dürfte, oder doch an der Art, wie er die Tasche auf den Tisch wirft?

Wenn einer nicht in das Interieur seines neuen Films passt, dann dieser Regisseur. In der kommenden Woche startet „Ich und Kaminski“, die grundböse, mit cineastischem Aberwitz erzählte Geschichte des fast vergessenen blinden Malers Manuel Kaminski, letzter Vertreter der klassischen Moderne, und seines Biografen, des Journalisten Sebastian Zöllner. Der Journalist schreibt die Lebensgeschichte des einzigen Malers seiner Zeit, der nicht von Picasso beeinflusst wurde, nicht deshalb, weil sie ihn interessiert, sondern weil sie nach Kaminskis Tod garantiert ein Bestseller wird. Aber sterben muss er.

Becker nennt den Journalisten ohne Zögern ein „veritables Arschloch“ und fügt hinzu, dass es sich um eine „extrem moderne Figur“ handele, denn dieser Typus nehme zu und zwar rasant, wie er beobachte, und zwar in allen Bereichen. Er meine nicht, dass dieser Zöllner für einen Erfolg seine Seele verkaufen würde, denn er kam vermutlich ganz ohne zur Welt. Becker hat jetzt einen Gesichtsausdruck, als wolle er sagen: Gott sei Dank, dass ich schon so alt bin! In einer Welt voller Sebastian Zöllners möchte ich nicht leben.

Daniel Brühl spielt den Journalisten mit dem sehr speziellen Karma, das war von Anfang an klar. Brühl ist auch alt geworden, schon richtig erwachsen, Mitte dreißig, bei „Good Bye, Lenin!“ war er noch zweiundzwanzig. Becker hat den fiesen Journalisten nicht erfunden, das war ein anderer Daniel, Daniel Kehlmann.

„Wir haben uns 2003 bei einer österreichischen Fernsehshow kennengelernt, Kehlmann sollte sein neues Buch vorstellen und wir unseren neuen Film“, erklärt der Regisseur, es waren „Ich und Kaminski“ und „Good Bye, Lenin!“. Es war gewissermaßen der letzte Augenblick, bevor Daniel Kehlmann Daniel Kehlmann wurde, denn „Die Vermessung der Welt“ hatte er noch nicht geschrieben, und auch Becker war noch nicht der „Good Bye, Lenin!“-Becker, denn außer den Verrissen seines Films und einem lang zurückliegenden Erfolg besaß er keinerlei Mitgift.

Das Altwerden berührt ihn

Wolfgang Becker.
Wolfgang Becker.

© David Heerde

Danach haben sie in der Garderobe geredet, und der noch junge Autor schenkte dem Regisseur leicht fortgeschrittenen Alters „Ich und Kaminski“. Becker las und begann spätestens auf Seite 45 zu zweifeln, ob der Autor dieses Buches tatsächlich der Autor dieses Buches war: „Was der über das Alter wusste! Ein so junger Mann?“ Diese unbarmherzig-präzisen Schilderungen.

„Und schreiben Sie auch, dass wir es nicht wussten“, sagt die Jugendliebe des blinden Malers im Buch zu dessen Biografen mit dem spezifischen Karma. „Was?“, fragt der nach. „Dass man so alt werden kann!“, antwortet die Frau. Oder die Schilderung von Kaminskis Förderer: „Sein Hals zitterte beim Schlucken.“

Also doch! Das Altwerden, das Keine-Zeit-mehr-Haben berührt ihn. Es ist diesem Regisseur also nicht gleichgültig, dass er bei seinem ersten großen Film noch gerade restjung war und beim dritten, nun ja, schon kurz vor der Rente, aber ein Filmregisseur bekommt wohl ohnehin keine.

Damals, als Wolfgang Becker „Ich und Kaminski“ las, dachte er zum ersten Mal: Könnte das nicht ein Film werden? Die Antwort lautete: Vielleicht, ganz bestimmt, aber nicht seiner, denn die Filmrechte waren schon weg. Becker las „Ich und Kaminski“ auch nicht mehr zu Ende, denn plötzlich ergriff ihn die „Good Bye, Lenin!“-Riesenwelle, hob ihn ganz weit empor und trug ihn rund um die Welt. Das dauerte ein Jahr und länger, in mehr als siebzig Länder wurde der Film verkauft.

Ja, es war großartig. Allein die Erfahrung, beim Austreten zwischen Elton John und Al Pacino stehen zu dürfen! Das ergab sich, weil „Good Bye, Lenin!“ für einen „Golden Globe“ nominiert war. Leider ist Becker, der Handwerker, bei der Gala auch einer berühmten Schauspielerin, einer der erotischsten Frauen der Welt, aufs Kleid getreten. „Ich habe kein Talent für solche Veranstaltungen“, sagt er. Auf den Partys, die er besuchte, war er der Einzige, der auffiel, denn er war der Einzige, den kein Mensch kannte.

Auf dem Tisch stehen geschälte Apfelstücke und eine große Weinrebe, wie sie die alten Niederländer auf ihren Bildern bevorzugten, und wie sie der blinde Maler Manuel Kaminski, letzter Vertreter der klassischen Moderne, Schüler von Matisse, nie gemalt hätte, weder in seiner frühen noch in seiner mittleren noch in seiner späten Periode.

Als die „Good Bye, Lenin!“-Welle den Regisseur schließlich wieder absetzte, machte Becker die irritierende Erfahrung, dass die anderen inzwischen einfach weitergelebt und weitergearbeitet hatten, ohne ihn. Tom Tykwer und Dani Levy, mit denen er einst die Firma „X-Filme“ gegründet hatte, waren gänzlich verstrickt in sich selbst. „Die schreiben ihre Filme allein“, sagt Becker, und es liegen Bewunderung und eine kleine Resignation in seinen Worten.

Er weiß, dass ihm das versagt ist. „Ich bin auf eine gute Vorlage angewiesen“, erklärt er. Da war keine. Und da kam keine. Das Drehbuch zu „Good Bye, Lenin!“ hatte er mit Tykwer zusammen entworfen, und nun? Nun gab es viel Wichtigeres als Kino: Senator Film war pleitegegangen; die glücklose Gesellschaft besaß Anteile an „X-Filme“ und die Gläubigerheuschrecken streckten ihre Fühler aus. Er habe doch gerade nichts zu tun, könnte er sich da nicht einmal um die Heuschrecken kümmern?, fragten die Künstler.

Ein wenig kränkend war das Ansinnen schon, aber Becker fand keinen Grund, Nein zu sagen. Also machte er statt eines neuen Films einen Crashkurs in Insolvenzrecht. Das war nicht umsonst, das war wirklich nicht umsonst, sagt er und sieht irgendwie unglücklich aus. Natürlich, er hat den Heuschrecken auf die Finger gehauen, und wer weiß, wozu man eine solche Spezialisierung noch brauchen kann. Aber es kostete Zeit, verdammt viel Zeit. Die Kuckucksuhr schweigt.

Immerhin waren plötzlich die Filmrechte an „Ich und Kaminski“ wieder frei und Becker entschloss sich, das als Zeichen zu verstehen. Was auch viel Zeit kostet, manchmal Jahre: Drehbuch mitschreiben, Drehbuch nicht gut finden, merken, dass das Drehbuch wirklich nicht funktioniert, Drehbuch wegschmeißen, neues Drehbuch schreiben, Drehbuch kürzen.

„Kürzen ist besonders schlimm“, erklärt Becker, „denn da ist immer die Gefahr, dass man genau an der falschen Stelle kürzt. Und ich habe eine falsche Stelle gekürzt, das weiß ich genau, schon im Drehbuch!“ Es war nur eine ganz kleine, aber die falsche. Die Präsenz des Fehlenden geht ihm noch immer sehr nah.

Die anstrengende Arbeit der Geldbeschaffung

Wolfgang Becker.
Wolfgang Becker.

© David Heerde

Ja, wenn er noch einmal von vorn anfangen könnte!

„Gott sei Dank muss ich das nicht, Gott sei Dank kann ich das auch nicht!“ Das Gesicht des Perfektionisten sagt etwas anderes. Angenommen also, er dürfte noch einmal von vorn anfangen, dann würde er den letzten Maler der klassischen Moderne mit der Makuladegeneration und seinen Biografen mit der fehlgeleiteten Selbstwahrnehmung noch viel fieser machen, und zwar der Fallhöhe wegen.

Nichts kostet so viel Zeit wie die streng außerkünstlerische Arbeit der Geldbeschaffung. Merkwürdigerweise hielten die potenziellen Förderer vor dem 60-Millionen-im-ersten-Jahr-Erfolgsregisseur ihre Geldsäcke zu. Und selbst die schon Ja gesagt hatten, überlegten es sich noch einmal anders.

Canal + zum Beispiel. Mit seiner ganzen beeindruckenden physischen Präsenz und doch wie ein Bittsteller stand Becker vor einem jungen Redakteur, der ihm erklärte, die schon fast zugesagte Förderung doch nicht gewähren zu können, denn wer wolle schon einen Film mit einer derart unsympathischen Hauptfigur sehen, und nun gar zwei! Der letzte Vertreter der klassischen Moderne und einzige Maler, der nicht von Picasso beeinflusst wurde, ist auch nicht viel besser als sein Biograf. Der Däne Jesper Christensen spielt ihn wie einen lebenden Leichnam, den vor allem sein Argwohn im Dasein hält. Das übrige Personal ist kaum hoffnungsvoller. Ein Panoptikum von greisen Künstlern, die den unverzeihlichen Fehler begangen haben, ihr Werk und ihren Ruhm zu überleben.

„Alles Wichtige erreicht man im Springen“, sagt Kaminski. Aber wie sollte Becker springen ohne Geld? „Ich und Kaminski“ ist der teuerste Film, den er gemacht hat. Allein die Eröffnungssequenz, die Kaminski seinen Platz in der Kunstgeschichte zwischen Impressionismus, Expressionismus, Dadaismus, Symbolismus und Popart anweist, kostete ein Vermögen.

Am Freitag eröffnete in der Budapester Straße, direkt gegenüber der Gedächtniskirche, die große Kaminski-Werkschau, die noch bis zum 24. September zu sehen sein wird. Denn darf man die Bilder eines großen Malers verstecken, nur weil es ihn gar nicht gibt? Soll Becker jetzt etwa alle Bilder, die für diesen Film gemalt wurden, die der frühen, mittleren und späten Periode, mit dem Gesicht zur Wand in sein Büro stellen, neben die kleine „Good Bye, Lenin!“-Rakete vielleicht oder unter die Kuckucksuhr?

Becker hat während der letzten Jahre viel Zeit auf Vernissagen verbracht. Auf Vernissagen, weiß Becker, stehen die meisten Menschen mit dem Rücken zur Kunst, trinken schlechten Wein, und wenn sie doch mal zur Kunst gucken, dann lesen sie meist die Schilder neben den Bildern. Er hat recht! Die Gemälde der großen Kaminski-Retrospektive tragen Titel wie „Selbstporträt im Streichholzlicht“ oder „Der Tod am fahlen Meer“ und sehen auch so aus. Unvorbereitete Gäste versuchen ihre Fassungslosigkeit zu verbergen: Ein blinder Maler, Schüler von Matisse, Freund von Andy Warhol und laut Picasso der Einzige, der nicht von ihm beeinflusst wurde – und sie kennen den nicht? In die würdige Ansprache des Vorsitzenden der latent inexistenten amerikanischen Kaminski-Foundation dringen Korkenknallen, Hundegebell und Kunstgewisper.

Der Regisseur mit dem ungewöhnlichen Zeitbegriff steht inmitten des Publikums wie ein Befreiter, wie einer, von dem gerade eine ungeheure Last abgefallen ist, so als wolle er sagen: Das Erstaunliche ist nicht, dass es zwölf Jahre gedauert hat, diesen Film zu machen. Das Erstaunliche ist, dass es ihn überhaupt gibt!

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