zum Hauptinhalt
Neue Sichtweise. Alexandria Ocasio-Cortez ist die bekannteste der frisch gewählten Abgeordneten.

© Carlos Barria/Reuters

Neue Abgeordnete im US-Kongress: Die First Ladies von Washington

Alexandria Ocasio-Cortez bringt frischen Wind in den US-Kongress – und mit sich viele andere Frauen. Ihr Ziel: Politik nicht alten weißen Männern überlassen.

Sie seien „nicht zum Spielen hierhergekommen“, steht da knapp, dahinter gleich viermal das Symbol einer kämpferischen Faust in vier unterschiedlichen Hautfarben – und ein Foto von sechs Frauen. Eine von ihnen trägt Kopftuch. Die 36-jährige Ilhan Omar aus Minnesota hat den Tweet abgesetzt, die erste Amerikanerin, die als einst aus Somalia Geflüchtete ins US-Repräsentantenhaus einziehen wird. Auch die anderen fünf Frauen haben auf ihre Weise Geschichte geschrieben.

Spätestens nach den Zwischenwahlen Anfang November, bei denen das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt wurden, ist 2018 in den USA zum „Jahr der Frauen“ ausgerufen worden. Das gilt besonders für die Demokratinnen: Mit mindestens 105 weiblichen Abgeordneten wird die Opposition künftig im Repräsentantenhaus vertreten sein, die Republikaner lediglich mit 13. Doch es sind vor allem die vielen women of colour, die derzeit von sich reden machen.

Der Wandel kommt in der Hauptstadt an

Nach jeder Wahl tauchen neue Gesichter in Washington auf, die politischen Verhältnisse verändern sich. Nach diesen Midterms ist alles noch ein bisschen anders: Da ist Rashida Tlaib aus Michigan, gemeinsam mit Ilhan Omar die erste Muslima im Haus, sowie Ayanna Pressley, die erste afroamerikanische Abgeordnete aus Massachusetts. Ein Titel, der erstaunlicherweise, 50 Jahre nachdem Shirley Chisholm als erste Afroamerikanerin ins Parlament einzog, noch zu vergeben war. Auch zwei Ureinwohnerinnen vertreten künftig ihr Land, Sharice Davids aus Kansas und Deb Haaland aus New Mexiko. Die Nachkommen der Native Americans machen noch zwei Prozent der amerikanischen Bevölkerung aus.

All diese Politikerinnen stehen dafür, dass die Vielfalt und der Wandel ihres Landes künftig besser als bisher in der Hauptstadt repräsentiert wird. Schon im Jahr 2050 könnte die weiße Bevölkerung im Einwanderungsland USA in der Minderheit sein, sagen Experten voraus, 1960 machte sie noch 85 Prozent aus. Das spiegelt sich nun auch stärker im Kongress: Nie zuvor war dieser so vielfältig und bunt. Dass sich Muslime, Einwanderer, Latinos und Indigene jetzt aktiv in die Politik einmischen, ist auch eine Antwort auf die ersten beiden Jahre der Präsidentschaft von Donald Trump, der immer wieder gezielt die Ressentiments weißer Männer angesprochen hat.

Konventionen? Interessieren sie nicht

In diesen Tagen absolvieren die neuen Parlamentarier ihre Orientierungswoche, in der sie lernen sollen, was ihre Rechte und Pflichten sind, wenn sie ab Januar als Abgeordnete ihr Mandat ausüben. Und bereits in dieser Einführungswoche wird klar: Hier gehen keine Einzelkämpferinnen ins Rennen, hier stürmt eine Gruppe andersdenkender Frauen den Kongress, die sich geschickt als Netzwerk formiert. Ihre inoffizielle Anführerin ist Alexandria Ocasio-Cortez, der neue Star der Linken aus New York – Latina und mit 29 Jahren die bislang jüngste Abgeordnete im Parlament überhaupt. Über ihren Instagram-Account verbreitet auch sie längst Fotos von ihrem neuen „Squad“, ihrer Truppe.

Dass die sich nicht einfach bloß einsortieren will in die Routine aus Gepflogenheiten und bestehenden Grüppchen, demonstriert Ocasio-Cortez gleich am Dienstag. Statt ehrfürchtig durch die weitläufigen Kongresshallen zu wandeln und zu lernen, wie sie künftig zum Beispiel die jeweiligen Ausschussräume findet, schließt sich die selbst erklärte demokratische Sozialistin in elegantem schwarzen Hosenanzug und Stilettos spontan dem Sit-in von rund 200 jungen Umweltaktivisten an. Die haben das Büro der demokratischen Fraktionschefin Nancy Pelosi besetzt, um für einen engagierteren Kampf gegen den Klimawandel zu protestieren. Ihren ersten Besuch im Büro der derzeit mächtigsten Demokratin im Repräsentantenhaus: Ocasio-Cortez macht ihn zur Protestaktion.

Ilhan Omar kam als Flüchtling aus Somalia in die USA.
Ilhan Omar kam als Flüchtling aus Somalia in die USA.

© M. Vancleave/Imago/ZUMA Press

War man von Neulingen bisher nicht gewohnt, dass sie, wissend um ihre im Vergleich zu den erfahrenen Kollegen eher geringe Machtfülle, relativ geräuschlos ihre Arbeit aufnehmen? Aber was passiert in diesem Amerika unter Donald Trump noch geräuschlos? Konventionen interessieren auch Ocasio-Cortez nicht.

Die Neuen wollen die ihrer Ansicht nach verkrusteten Machtstrukturen aufbrechen, neue Ansätze ausprobieren. Auf seinem jüngsten Cover zeigt das bei Intellektuellen beliebte Magazin „New Yorker“ einen Raum voller schwarz-weiß gezeichneter weitgehend älterer, weißer Männer. Rechts geht die Tür auf, und herein strömen im wahrsten Sinne des Wortes farbige junge Frauen. Darunter stehen die Worte „Welcome to Congress“.

Ein Wahlkampf, fast ohne Netzwerke

„Ich hoffe, wir öffnen die Tür für andere, damit der Kongress bald so aussieht wie unser Land“, sagt Veronica Escobar. Die zierliche Dunkelhaarige sitzt am Donnerstag in einem Tagungsraum im fünften Stock bei einer Veranstaltung auf dem „Hill“, dem Regierungsviertel in Washington, von wo man diesen Kongress bestens im Blick hat. Draußen ist es schlagartig Winter geworden, die markante Silhouette des weißen Kapitols löst sich an diesem grauen Morgen fast komplett im ersten Schneefall auf. Escobar hat nicht viel Zeit, wie die anderen Neuen nimmt sie gleich wieder an der Orientierung teil, um dieses knapp 230 Jahre alte Parlament zu erkunden.

Escobar ist nicht ganz so rauflustig und medienaffin wie Ocasio-Cortez. Aber auch sie, eine der beiden ersten Latina-Abgeordneten aus Texas, leitet aus ihrer Wahl eine historische Mission ab. „Ich will, dass sich viel mehr meiner Leute einmischen.“ Bei der Frage, warum es so lange gedauert hat, bis Texas eine Latina nach Washington schickt, muss die 49-Jährige erst lachen, wird dann aber ernst. „Für eine Frau ist es sehr schwer, für den Kongress zu kandidieren“, sagt sie. „Vor allem, wenn sie Kinder hat, die sie im Wahlkampf oft alleine lassen muss“, sagt Escobar, selbst zweifache Mutter. Aber es sei noch viel schwieriger für farbige Frauen, die weniger auf Netzwerke zurückgreifen können. Sie selbst habe in ihrem Wahlkampf eine Million Dollar Spenden auftreiben müssen, vor allem, um die Wahlbeteiligung unter den Hispanics anzukurbeln, das sei sehr aufwendig. „Wenn du nicht in der Lage bist, dir selbst einen großen Scheck auszustellen, dann ist es hart.“

Veronica Escobar setzt eher auf Versöhnung als auf Konfrontation.
Veronica Escobar setzt eher auf Versöhnung als auf Konfrontation.

© C. Kaster/AP

In ihrem Wahlkreis in El Paso an der Grenze zu Mexiko, den sie von dem knapp im Senatsrennen gescheiterten demokratischen Hoffnungsträger Beto O’Rourke übernommen hat, leben viele Hispanics, eine der wachsenden Wählergruppen, die die politischen Gewichte im ganzen Land in den nächsten Jahren verändern werden – wenn sie denn ihr Wahlrecht stärker wahrnehmen als bisher. Das gelingt vor allem, wenn sie auf den Stimmzetteln Kandidaten finden, die ihre Sorgen, Hoffnungen und Anliegen kennen oder wie Escobar den gleichen Hintergrund haben. Darauf setzen besonders die Demokraten. Und darauf, dass Trumps aggressive Migrationspolitik die Latinos nachhaltig abschreckt, die Republikaner zu wählen. Ob das reicht, ist offen. Denn von der guten wirtschaftlichen Lage profitieren auch sie.

Anders als Ocasio-Cortez hat Escobar sich vorgenommen, in ihrer neuen Aufgabe nicht nur den Streit zu suchen, sondern auf parteiübergreifende Lösungen hinzuarbeiten. Wenn man wie sie lange auf lokaler Ebene Politik betrieben habe, habe man gelernt zu kooperieren. „Die Leute haben diese ganze Polarisierung satt“, glaubt sie. Geeignet für so eine Zusammenarbeit sei zum Beispiel die Migrationspolitik oder die aktuell geplante Strafrechts- und Gefängnisreform, mit der die Resozialisierung von Häftlingen verbessert werden soll. „Es gibt doch mehr Themen, bei denen wir übereinstimmen, als Themen, bei denen wir über Kreuz liegen.“

Neue Jobs für New York? Sie ist skeptisch

Wortführerin Ocasio-Cortez dagegen will ausdrücklich unbequem sein. Konsens ist der ehrgeizigen Nachwuchspolitikerin kein zentrales Anliegen – noch nicht einmal in der eigenen Partei. Als in dieser Woche der Internetkonzern Amazon nach einem monatelangen, landesweiten Wettbewerb verkündet, sein zweites Hauptquartier auf Washington und New York zu verteilen, meldet sie sich kritisch zu Wort. Dabei haben New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo und New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio – beides demokratische Parteifreunde – die Entscheidung als großen Erfolg gefeiert. In mehreren Tweets spricht Ocasio-Cortez von der Wut in ihrer Community, die sich davor fürchte, wegen steigender Lebenshaltungskosten aus der Nachbarschaft vertrieben zu werden. Und sie stellt die Erwartung infrage, dass mit der Ansiedelung Tausende neue und gut bezahlte Jobs entstehen.

Wie können und sollen sich wachsende Städte künftig entwickeln? Ocasio-Cortez ist da anderer Meinung als viele Demokraten und scheut sich nicht, das kundzutun. Ihr Credo lautet: Die Art und Weise, wie bisher Politik gemacht wurde, hat keine Ergebnisse gebracht. Also müssen neue Methoden her.

Das macht Alexandria Ocasio-Cortez zur Hoffnungsträgerin – aber auch zu einem Feindbild. Fox News, der Haussender von Donald Trump, alarmiert seine Zuschauer auf Twitter scheinbar entsetzt mit den Worten: „Radikale neue Idee der Demokraten: Verzicht auf Studiengebühren, kostenlose Krankenversicherung für alle, Abschaffung des ICE“ – der Behörde, die für Abschiebungen zuständig ist –, „ein New Green Deal“, ein neues Abkommen für den Klimaschutz. Dazu zeigt Fox vier der neuen weiblichen Kongressabgeordneten, natürlich auch Ocasio-Cortez. Die twittert zurück: „Oh nein! Sie haben unsere gigantische Verschwörung aufgedeckt, mit der wir uns um Kinder kümmern und den Planet retten wollen.“ Der Tweet endet nicht mit Fäusten, sondern mit einem lachenden Smiley.

Zur Startseite