zum Hauptinhalt
CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer.

© imago/ Metodi Popow

Nach der Bayernwahl: Was Horst Seehofer derzeit noch schützt

Er schlägt Haken, dass einem schwindlig wird. Die Landtagswahl in Bayern hat aus Horst Seehofer einen Gejagten gemacht.

Von Robert Birnbaum

Wenn der Hase Unheil wittert, rennt er los und schlägt Haken. Horst Seehofer ist mit dem Langohr schon aus Tempo-Gründen sicher nur begrenzt vergleichbar. Am Dienstag schreitet er noch gravitätischer als sonst die Treppe zum Saal der Bundespressekonferenz hinauf, nimmt acht Minuten zu früh auf dem Podium Platz und lächelt bereitwillig jeder Kamera zu. Wer nach Gehetztem sucht in Auftritt und Mimik des CSU-Vorsitzenden, muss sich also mit der Beobachtung begnügen, dass er gleich eine gute Dreiviertelstunde lang die Arme verschränkt halten wird, bevor die Hände sich frei bewegen dürfen zur Untermalung des Gesagten. Ein Gejagter ist er trotzdem. Und Haken schlägt er, dass es jedem echten Hasen schwindlig würde.

„Auswirkungen der Landtagswahl in Bayern mit Blick auf die Bundespolitik“ heißt das amtliche Thema, zu dem der Parteichef die Hauptstadtpresse eingeladen hat. Das ist ungewöhnlich genug, zumal in heutigen Zeiten, wo sich Seehofers Münchner Auftritte zwischen Wahlabend und CSU-Vorstandssitzung bequem in Mediatheken abrufen lassen. Aber die Jäger sind im Anmarsch. Da braucht es ständig neue Volten, um aus der Schusslinie zu kommen.

Zum Beispiel sind keine 26 Stunden vergangen zwischen einem Parteivorsitzenden, der früh am Morgen nach der Wahlschlappe im Foyer des Franz-Josef-Strauß-Hauses einen Sonderparteitag überflüssig findet, denn um eine Koalition mit den Freien Wählern abzusegnen brauche es das nicht – und demselben Horst Seehofer, der einen Sonderparteitag als das „beste Instrument“ zur Aufarbeitung der Schlappe empfiehlt.

Sein Lernprozess ist kaum zu glauben

Zwischen beidem liegt eine Vorstandssitzung, in der von etwa 30 Rednern „20 kritisch und fünf richtig hart“ mit dem Vorsitzenden umgegangen sind, wie ein Teilnehmer hinterher summiert. Daran schloss sich abends eine Sitzung des mächtigen CSU-Bezirksverbands Oberbayern an, der auf dem Parteitag bestand.

Nun darf jeder auch mal über Nacht klüger werden. Aber Horst Seehofers Lernprozess reicht derart weit über alles hinaus, was er bis zu diesem Wahlabend verkündet hat, dass es kaum zu glauben ist. „Mutter aller Probleme ist die Migration“ hat er vor fünf Wochen verkündet. Als ihn jetzt jemand daran erinnert, winkt er müde von oben herab ab: „Ach, kommt das Thema auch noch!“ Die Sache sei doch die, dass die Integration jetzt immer besser gelinge und die vereinbarte „Obergrenze“ von 200 000 Zufluchtsuchenden in diesem Jahr nicht erreicht werde. „Das ist schon ein schöner Erfolg“, sagt Seehofer. Und wenn sich alles so gut entwickele, „da sagt die Bevölkerung: Das ist jetzt nicht mein erstes Thema.“

Die Erkenntnis ist nur für ihn neu. Andere hat er dafür noch vor einem Vierteljahr in der legendären Vorstandssitzung, die in seinem Rücktritt vom Rücktritt gipfelte, als „die Dummen“ beschimpft. Jetzt nach der Wahl hat im gleichen Kreis Theo Waigel unwidersprochen die Konzentration auf das Flüchtlingsthema als Stockfehler gegeißelt.

Der Ton: „völlig daneben“

Noch deutlicher wird Alois Glück. Der langjährige Landtags-Fraktionschef beklagt in einem Thesenpapier eine „fatale Fixierung auf die AfD“ – mit der Folge von hohen Verlusten in der bürgerlichen Mitte und einer „Aushöhlung der Volkspartei“. Glück nennt keine Namen, aber es ist eh klar, wen er meint: Seehofer an erster Stelle, den Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an zweiter. Die AfD, schreibt der Altvordere, strebe eine „konservative Revolution“ an – bei Dobrindt hieß das „konservative Revolution der Bürger“. Am Montag im Vorstand erntete der Landesgruppenchef mit dem Versuch, seine Anti-AfD-Strategie zu rechtfertigen, keinen Zuspruch.

Am Dienstagfrüh setzt es obendrein offenen Widerspruch aus der eigenen Landesgruppe. Fünf Abgeordnete kritisieren den Plan, Wahlanalyse und Führungsdebatte zu vertagen, bis in Bayern die Regierung steht; einer tut es öffentlich: Es brauche jetzt „ein klares Signal zur Neuordnung an der Parteispitze“, sagt der Würzburger Alexander Hoffmann. Warum warten? Als Theo Waigel und Erwin Huber nach Wahlschlappen anstandslos zurückgetreten seien, habe das die Partei schließlich auch nicht destabilisiert. Die Analyse sei auch nicht kompliziert, jeder habe sie schon im Wahlkampf ständig zu hören bekommen: Euer Inhalt ist richtig, aber Ton und Stil sind völlig daneben – vor allem bei Seehofer.

Dass ein CSU-Abgeordneter das offen ausspricht, ist im Moment noch bemerkenswert; ansonsten teilt diese Sichtweise in der CSU aber praktisch jeder. Infolgedessen – der Hase lässt grüßen – teilt sie nunmehr auch der Vorsitzende. „Die Sache ist nach wie vor richtig“, sagt Seehofer zum Streit über Zurückweisungen. „Über Stil, Ton – da war durchaus Kritikwürdiges dabei.“

Er hat es auf die Spitze getrieben

Aber er will schon noch festgehalten wissen, dass in der Sache damals alle hinter ihm standen, die Bundestags- und die Landtagsfraktion, der eigens nach Berlin gereiste Spitzenkandidat – „es war ein einvernehmliches Handeln!“ Das stimmt schon, so wie es richtig ist, wenn Seehofer einmal mehr für die Eskalation im Streit um den Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen die SPD-Chefin Andrea Nahles verantwortlich macht. Aber auch das sehen manche in den eigenen Reihen inzwischen differenzierter. Ein Verfassungsschutzchef, hat Waigel am Vortag im Vorstand in München geraunzt, habe das Maul zu halten und keine „Bild“-Interviews zu geben. Wollte sagen: Statt den Mann zum Musterbeamten zu verklären, wäre eine Rüge angezeigt gewesen.

Und zum Flüchtlingskrawall mit Merkel merkte schon am Wahlabend ein Söder-Parteigänger an, die letzte Steigerung, der Rücktritt vom Rücktritt, der Wutausbruch gegen die Kanzlerin, die ihm ihr Amt verdanke – das gehe alles auf Seehofers Privatkonto: „Das Ding hat er ganz allein auf die Spitze getrieben.“

Diese letzte Passage im Unionsspektakel kommt in Seehofers Rückblick auf die Abläufe nicht vor. Und dass er Merkel damals die Machtfrage gestellt haben soll – ja wie man denn darauf nur kommen könne! „Was soll ich denn für Machtfragen verfolgen? Ich werde 70! Ich kann mich kaum zu Hause durchsetzen!“

Die CSU muss sich ums Klima kümmern

Es gab eine Zeit im Leben des Horst Seehofer, da wäre das als Schelmenspruch durchgegangen. Aber die Hundertschaft Journalisten im Saal hat in den letzten Jahren schon zu oft erlebt, wie dieses Verschmitzte nur mehr als taktisches Mittel zum Einsatz kam, hinter dem sich anderes verbarg: Revanche, Rechthaberei, uralte Rechnungen. Als eine Zeitung ein Porträt mit „Crazy Horst“ überschrieb, witterte er eine böse Anspielung. Dabei erinnert sich längst niemand mehr daran, dass Angela Merkels damaliger Generalsekretär Laurenz Meyer im Streit um die Gesundheitsprämie sich einmal am Rand eines CSU- Parteitag echauffiert hatte, der Mann brauche doch „einen Arzt!“

Er erinnert sich, als ob es gestern gewesen wäre. Das ist eins seiner Probleme. Am Dienstag entwirft er große Pläne für die Zukunft, für das „große Werk“, das er in einem Interview kurz vor dem Wahltag angekündigt hatte – von einer „neuen Islamkonferenz“ bis zum Erhalt der Bundesstützpunkte für Leistungssport auch in Mecklenburg-Vorpommern. „Wir sind eben nicht mehr so tief verwurzelt in der Bevölkerung wie es mal war“, sagt er. Theo Waigel lobt er: Der habe im Vorstand „zu Recht gesagt: Wer das C im Namen führt, muss das C auch ausfüllen.“ Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Klima – da muss sich die CSU kümmern!

Mit ihm an der Spitze? „Ich führ’ jetzt keine Personaldiskussionen“, sagt Seehofer. Die Wahlanalyse erfordere einen „breiteren Ansatz“. Und danach erst stehe die Frage nach personellen Konsequenzen an – oder keinen Konsequenzen, je nachdem. Dass Ministerpräsident und Parteichef zwei Personen sind, müsse kein Schaden sein: „Das hat mit dem Dualismus aus meiner Sicht bestens funktioniert!“

Es wäre am Besten, er sähe es selbst ein

Markus Söder sieht das möglicherweise anders. Ob er seinen Anspruch anmeldet, ist aber eine offene Frage. Für den Moment schützt es Seehofer, dass der ewige Rivale erst einmal in Ruhe seine Landeskoalition zustande bringen will. Aber danach? Die ersten Kreisvorstände verlangen Seehofers Kopf. Es wäre am Besten, er sähe es selbst ein, bescheiden sie ihn aus Bayreuth. Er mag das nicht hören. „Ich bin nicht süchtig“, versichert Seehofer. Aber müde sei er nicht: „Ich hab’ keinen Zweifel, dass ich noch länger durchhalte.“ Und was bitte heißt „länger“? „Länger heißt: auf Dauer.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false