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Tonspurensucher. Pierre Baigorry fremdelt noch. "Alle wollen immer lässig sein, ich auch", sagt er. "Aber Politik ist halt nicht lässig."

© Kitty Kleist-Heinrich

Musiker Peter Fox macht Politik-Podcast: "Ein Song wird die Welt nicht verändern"

Musik? Interessiert ihn gerade nicht so sehr. Er konzentriert sich jetzt auf Politik. Zu Hause arbeitet Pierre Baigorry alias Peter Fox an seinem eigenen Podcast. Er sagt: "Als Einzelkämpfer habe ich da ein bisschen die Hosen voll."

Griffbereit liegt sie da, nur eine Armlänge ist die E-Gitarre von Pierre Baigorry entfernt. Das Klavier steht auch bloß ein paar Schritte weiter, das Schlagzeug ist auf der anderen Seite des Raumes aufgebaut. Doch niemand spielt auf den Instrumenten, es singt auch niemand in die Mikrofone, die auf mannshohen Ständern im Raum verteilt sind. Durch das Tonstudio von Baigorry, Frontmann der Berliner Reggae-Formation Seeed und berühmt geworden als Peter Fox, wummern an diesem Vormittag im Februar keine Beats und keine Bässe. Eine Stimme dröhnt aus den Lautsprechern, die in sachlichem Tonfall über sozial nachhaltige Finanzsysteme doziert.

Normalerweise feilt Baigorry hier im Studio im ausgebauten Dachgeschoss seines Lichterfelder Wohnhauses an Hits. In einer Ecke der Studioküche, gleich neben einer Batterie leerer Bierflaschen, lehnen zwei gerahmte goldene Schallplatten an der Wand, 150.000 verkaufte Einheiten „Haus am See“, 150.000 verkaufte Einheiten „Alles Neu“. Mit der Berlin-Hymne „Schwarz zu blau“ hat Baigorry seiner Heimat ein musikalisches Denkmal gesetzt. Doch zurzeit will der Popstar keine Platten verkaufen, sondern ein viel schwieriger zu vermarktendes Produkt: Politik.

"Technisch ist das pipifax"

Pierre Baigorry rollt seinen Bürostuhl näher an den Schreibtisch heran. Links liegt ein karierter Schreibblock mit einem hingekritzelten Songtext, in der Mitte ein Keyboard, rechts ein aufgeklappter Laptop. Vor dem 46-Jährigen zeigt ein geschwungener Bildschirm zwei Tonspuren, deren Aufs und Abs wirken wie die Ausschläge eines Wehenschreibers. Baigorry klickt mit der Maus herum, die Lautsprecherstimme stoppt, springt im Satz vor und zurück, bekommt mehr Hall oder wird gedämpfter. „Technisch ist das pipifax“, sagt Baigorry, er ist aufwendige Produktionen gewohnt. Aber diese hier ist ihm zurzeit am wichtigsten.

Seit Februar nimmt Pierre Baigorry einmal im Monat für den RBB-Sender Radio Eins einen Podcast namens „Politricks“ auf, ein im Internet abrufbares politisches Fachgespräch über Themen wie Steuergerechtigkeit oder Fluchtursachen. Für die erste Folge, die auch im Radio ausgestrahlt wurde, ist Baigorry nach Bremen gefahren, um mit dem emeritierten Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel über Steuersätze, Schattenbanken und die Regulierung der Finanzmärkte zu diskutieren.

Der Podcast beginnt mit einem rumpelnden Beat, der im Hintergrund weiterläuft, als sich Baigorry vorstellt. „Mein Name ist Pierre, manche kennen mich auch als Peter Fox oder als Bandmitglied von Seeed. Hier bei ’Politricks’ geht es aber nicht um Musik, sondern um politische Themen, die mir wichtig vorkommen.“ Er sei kein Journalist, erklärt er den Hörern, die Rolle als Fragesteller falle ihm schwer. „Aber irgendwie will ich es trotzdem machen. Also das habt ihr jetzt davon“, sagt er. „Oder ich hab das jetzt davon.“

Nicht mehr nur ärgern, was machen

Baigorry will etwas ändern und sich nicht länger nur über Politik ärgern. Zum Beispiel darüber, dass Menschen in sozialen Berufen so schlecht bezahlt sind – und das seit Jahren, egal welche Partei regiert. „Das verstehe ich einfach nicht, das ist doch zum Verzweifeln“, sagt Baigorry. „Anscheinend ist der Druck nicht groß genug.“ Er sieht es aber als seine Verpflichtung an, seine Popularität zu nutzen, um diesen Druck zu verstärken. „Darum mache ich halt jetzt ’nen Podcast“, sagt er und muss über den Anspruch seines Vorhabens selbst ein bisschen lachen.

Eigentlich hatte Radio Eins angefragt, ob er eine monatliche Musiksendung moderieren wolle, Baigorry hatte die Idee, Politik und Musik zu kombinieren. Er sah aber schnell ein, dass die Mischung nicht funktionieren würde. „Da hab ich gesagt: Ich mache beides – einen politischen Podcast und eine Musiksendung“, sagt er.

An diesem Vormittag arbeitet Baigorry in Jeans, dicken grauen Socken und kariertem Holzfällerhemd an der nächsten Folge des Podcasts, die Mitte März auf Sendung gehen soll, das gesamte Projekt ist auf ein Jahr angelegt. Die Stimme, die aus den Boxen kommt, gehört Armin Haas, einem Potsdamer Wirtschaftswissenschaftler. Die Datei auf dem Bildschirm trägt den Namen „Politricks Folge 3 roh“. Baigorry macht sich keine Illusionen darüber, dass er noch viele Stunden dafür brauchen wird, um aus dem „roh“ ein „fertig“ zu machen. Und dass er dabei immer wieder sehnsüchtig zu den Musikinstrumenten rüberschielen wird.

Auch wenn er mit Seeed wieder an einer neuen Platte arbeitet: Baigorrys Prioritäten haben sich verschoben. „Anfang, Mitte 20 hab ich mich eher für das In-einer-Band-Spielen und für Frauen interessiert“, sagt er. „Es ging darum, die Karriere in der Musik aufzubauen, davon leben zu können.“ Später langweilte ihn das Musikgeschäft sogar ein bisschen, „ich tendiere eh dazu, mich von bestimmten Sachen relativ schnell langweilen zu lassen“, das Interesse an Politik wuchs.

In der Schule wird er als "Ökopenner" beschimpft

In seinem Elternhaus in Berlin-Zehlendorf – sein Vater ist Deutscher, seine Mutter französische Baskin – waren Politik und besonders die deutsche Teilung regelmäßig Thema. Als Jugendlicher wurde er Mitglied bei Greenpeace. „Dieser Indianerspruch – ,erst wenn der letzte Baum gefällt ist und so weiter’ – der hat mich als Kind schon beeindruckt“, sagt er. Als Schüler auf dem Französischen Gymnasium trägt er den Spruch in der 7. Klasse als Aufkleber auf dem Schulranzen. „Ich habe dafür nicht auf die Fresse gekriegt, wurde aber teilweise hart angegangen und als Ökopenner bezeichnet“, sagt er. „Ich habe aber versucht, bei meiner Meinung zu bleiben: Nö, ich finde das richtig.“

Als Musiker setzte er sich für Alphabetisierungs-Kampagnen ein, überlegte, Fans vor Seeed-Konzerten auf Dynamo-Fahrräder zu setzen, um Ökostrom für Schweinwerfer und Soundanlage erzeugen zu lassen. Erst jetzt, sagt er, habe er aber die Kapazitäten, sich ernsthaft und intensiv um sein politisches Interesse zu kümmern.

An der Produktion der ersten Folge hat er tagelang gesessen. Nicht weil er mit seinem Gesprächspartner unzufrieden war, „es lag an meinen Parts“. Allein das Intro hat er etliche Male eingesprochen und wieder verworfen. „Entweder war ich nicht ich selbst, es war zu flapsig oder zu ernst“, sagt Baigorry. „Alle wollen immer lässig sein, ich auch. Cool und entspannt. Aber Politik ist halt nicht lässig.“

Im Gespräch mit Professor Hickel klingt der Musiker konzentriert und gut vorbereitet, aber auch zaghaft und fast unsicher – dabei strotzt er auf Bühnen vor Selbstbewusstsein. „Aber da bin ich reingewachsen, irgendwann waren bei Festivals eben 60.000 Leute“, sagt er. „Unser Programm ist gut geprobt, zackzack. Ich weiß, wir verkacken nicht, wir können das.“

Er hat auch schon Politiker getroffen

Sein Auftritt mit Seeed bei der Eröffnungsfeier der Fußball-WM 2006 wurde weltweit übertragen, seine 2008 veröffentlichte Solo-Platte als Peter Fox verkaufte sich mehr als eine Million Mal. „Ich seh’ besser aus als Bono und bin ’n Mann des Volkes“, singt Baigorry auf „Alles Neu“, dem programmatischen Eröffnungssong des Albums, „bereit die Welt zu retten, auch wenn das vielleicht zu viel gewollt ist.“

Doch während Bono, Sänger der irischen Rocklegende U2, in seinem öffentlichkeitswirksamen Kampf gegen Armut seit Jahrzehnten um die Welt fliegt, den Papst, Bill Gates und US-Präsidenten trifft, sitzt Baigorry lieber auf seinem Dachboden und frickelt an einem Interview mit einem Potsdamer Professor herum. Aus Überzeugung.

Auch Baigorry hat schon Politiker getroffen. Er interviewte 2014 unter anderem Sigmar Gabriel und Martin Schulz. „Da habe ich gemerkt, wie die spielen, wie die dich auch plattmachen, dass die dir schnell die Hosen ausziehen, wenn du da nicht geschult bist.“ Er erinnert sich auch an Talkshow-Aufritte von Künstlerkollegen, die mit Politikern in den Ring steigen wollten – und dabei sehr schlecht aussahen. „Die haben gedacht: Ich habe die Moral auf meiner Seite und das reicht“, sagt Baigorry. „Es reicht aber nicht.“ Um im öffentlichen Streit mit Politikern zu bestehen, müsse man viele Fähigkeiten haben, sagt Baigorry. „Als Einzelkämpfer habe ich da ein bisschen die Hosen voll.“

Statt im Anzug in Talkshows kämpft er seinen Kampf nun also auf Socken in seinem Studio.

Der Traum: ein Streitgespräch zwischen Habeck und Spahn

Neben Experten sollen auch Politik-Profis in seinem Podcast auftauchen, Baigorry hofft auf ein Streitgespräch zwischen dem neuen Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Jens Spahn von der CDU. „Habeck würde mitmachen“, sagt Baigorry. „Allerdings hat er mir das per Mail geschrieben, bevor er Grünen-Chef geworden ist.“ Als ersten Politiker hatte er Günter Nooke zu Gast, den früheren DDR-Bürgerrechtler und heutigen Afrikabeauftragten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit ein paar Klicks ruft Baigorry Nookes Interview auf den Bildschirm. „Nooke hat ’ne geile Bass-Stimme“, sagt er anerkennend. „Klingt aber ansonsten genau wie Merkel. Is echt krass. Könnte ihr Bruder sein.“

Baigorry zieht die Tonspur zu der Stelle, an der er Nooke fragt, ob der Afrikabeauftragte einen einzigen populären afrikanischen Musiker nennen könne. Nooke muss passen, erwähnt aber, er kenne den Kulturminister des Senegals persönlich. „Mit dem Redakteur von Radio Eins habe ich diskutiert, das rauszuschneiden, damit Nooke nicht vorgeführt wird“, sagt Baigorry. „Aber andererseits ist das doch bezeichnend! Der konnte nicht mal Miriam Makeba nennen!“

Miriam Makeba, Bono, Bob Geldof, Bob Marley – politische Sänger, fast schon singende Politiker. Von einem Poster an Baigorrys Studiowand schaut auch Jimi Hendrix herunter, der einst in Woodstock die amerikanische Nationalhymne auf der E-Gitarre spielte und in knapp drei atonalen Minuten die Lage einer zerrütteten Nation zusammenfasste.

"Ein Song wird die Welt nicht verändern"

Auch Pierre Baigorry hat schon versucht, politische Songs zu schreiben, zufrieden war er damit aber nie. Natürlich gebe es Lieder, die zum Straßenkampf aufrufen oder eine düstere, zynische Beschreibung einer Situation liefern. „Das kann sehr gut funktionieren, ich sehe da aber keinen Rieseneffekt“, sagt Baigorry. „Bei einem Konzert fühlen sich alle gut und singen auch mal ,We are the world, böböbö’, aber dann geht das Leben weiter. Ein Song wird die Welt nicht verändern.“

Und ein Podcast? „Natürlich auch nicht. Aber der Podcast ist wenigstens konkret.“

Für Baigorrys wahrscheinlich politischstes Lied hat er keine Goldene Schallplatte bekommen, die Seeed-Single „Deine Zeit“ stand 2013 nur eine Woche in den Charts, auf Platz 70. Das Video zu dem Song hat die Band vor dem Karl-Marx-Monument in Chemnitz aufgenommen. „Ich habe das Lied geschrieben, um mir selbst in den Arsch zu treten“, sagt Baigorry. „Es war dieses Gefühl: Es ist unsere Zeit, wir sind am Ruder, aus den Kinderschuhen raus, mündige Bürger. Entweder wir nehmen jetzt unsere Verantwortung für die nächsten Generationen wahr – oder eben nicht.“

Für Baigorry war die Antwort klar. Nicht nur weil er zwei Kinder hat, deren Spielzeuge in seinem Studio verteilt auf dem Boden liegen.

"Ich fahre gerne S-Bahn, und das soll auch so bleiben."

Tochter und Sohn sind gerade in der Schule, im Haus ist es still, nach der ersten Arbeitsstunde am Podcast braucht Pierre Baigorry eine Pause. Ein Stockwerk tiefer setzt er sich mit einem Käsebrot und einer Tasse Schwarzem Tee in die Küche. Noch ein Stockwerk tiefer lebt ein befreundeter Musiker, ganz unten wohnt seit drei Jahren eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien. Damals tauchte die Meldung „Peter Fox: Bei mir wohnt eine Flüchtlingsfamilie“ in vielen Medien auf, Baigorry spricht von einem „extrem peinlichen Moment“. Ein Reporter hatte ihn bei einer Pressekonferenz für ein Benefizkonzert darauf angesprochen, dass Syrer in seinem Haus eingezogen wären, durch eine gemeinsame Bekannte war der Journalist zufällig an die Information gelangt. Baigorry stritt die Tatsache nicht ab und beantwortete zwei Fragen dazu. Tags darauf las er genau diesen einen Aspekt der Pressekonferenz als Meldung im U-Bahn-Fernsehen und war erschüttert. Nun wirkte es so, als habe er mit seiner Hilfsbereitschaft prahlen wollen.

Die Episode ist auch ein Grund, dass Baigorry trotz seines Sendungsbewusstseins die ganz große Öffentlichkeit meidet. „Bei aller Hybris und dem Gedanken, dass ich das politische Leben verändern kann: Da bin ich dann doch zu schüchtern“, sagt er. Er habe nie ins Fernsehen gewollt, auch nicht als Musiker. „Ich fahre halt gerne S-Bahn, und das soll auch so bleiben.“

Für Talkshows hat er ohnehin nicht viel übrig, „das ist meist Theater, Pillen fürs Volk, Figurenschach“. Er ärgert sich darüber, wie viel Raum Personaldebatten und Parteipolitik in der Berichterstattung einnehmen. Wie selten Moderatoren nachfragten. „Ich finde es gut, dass zurzeit in Deutschland Politik wieder eine größere Rolle spielt“, sagt er. „Aber ich habe ein Problem mit der Art der Auseinandersetzung. Da ist viel Schwarz-Weiß-Malerei und Lust am Herumpöbeln dabei.“

37 Tonspuren, 60 Minuten

Sein Podcast soll anders sein, in der ersten Folge rechnet der Wirtschaftsprofessor Hickel detailliert vor, wie viel Geld der Staat durch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer einnehmen könnte. Die Datei auf Baigorrys Computer zu dem Gespräch – „Hickel_Interview_finalIII“ – besteht aus 37 Tonspuren, die sich überlagern, aneinander anknüpfen, sich unterbrechen. Die Redakteure von Radio Eins haben ihm empfohlen, in die gut 60 Minuten lange Sendung zur Erholung immer wieder „Inseln“ einzubauen, in denen Baigorry das zuvor Besprochene zusammenfasst oder den Hörern empfiehlt, sich zwischendurch eine Tasse Tee zu holen.

Ansonsten ist Baigorry auf sich allein gestellt. Er liest viel, macht sich Notizen, sammelt Artikel, denkt über Interviewpartner nach. Auf seinem Fernseher im Wohnzimmer laufen kaum noch Filme, lieber sieht er sich politische Sendungen an oder hört Radio. „Irgendwann haben mich diese Kopfgeburten nicht mehr interessiert“, sagt er. Wieso sollte er sich einen Krimi angucken, in dem der hundertste ausgedachte Mörder gejagt wird?

„Die Wirklichkeit“, sagt Pierre Baigorry, „ist echt spannend genug.“

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