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SPD-Ministerin Franziska Giffey: Von Neukölln nach überall

© imago/Mauersberger

Große Koalition: SPD-Ministerin Franziska Giffey: Von Berlin-Neukölln nach überall

Franziska Giffey hat sich in ihren drei Jahren als Bezirkschefin viel Achtung erworben. Nun wartet die Bundesregierung – ein großer Sprung, der nicht jeden erfreut.

Als Franziska Giffey am Donnerstagabend im Norden Neuköllns, dort wo zunehmend edlere Bars und kleine Galerien zum Metropolenflair beitragen, im Ballhaus Rixdorf auftritt, möchte sie nur über eines sprechen: Frauen. Klar, die SPD hat an diesem 8. März traditionssicher zu einem Frauensalon geladen. Und so erzählt Giffey, dass es für viele Mädchen in Neukölln nicht selbstverständlich ist, dass eine Frau ihren Beruf frei wählt, gar Bürgermeisterin werden kann. Dass nicht nur Zwangsheiraten, sondern auch arrangierte Ehen nicht zu tolerieren seien, weil die Wahl zwischen „drei Cousins“ eben keine Wahl sei.

Franziska Giffey, 39 Jahre, seit 2015 Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln bleibt ihrer Linie also treu – auch wenn sie merkt, dass die SPD-Frauen an diesem Abend bei der Rede von Andrea Nahles lauter klatschen: Die designierte SPD-Chefin spricht von Kartellen, die Männer bilden, davon, „weibliche Interessen“ besser zu vertreten.

Giffey lässt sich nach ihrem Auftritt noch ein paar Minuten mit jungen und alten Sozialdemokratinnen fotografieren, verlässt dann zügig den Saal. Ob sie denn nun tatsächlich Bundesfamilienministerin werde? „Das steht noch nicht fest“, sagt Giffey knapp. „Und ich muss leider auch los – Termine.“

Als ein paar Stunden zuvor bekannt wurde, dass die Neuköllner Bürgermeisterin auf Wunsch der SPD ein Amt in der Bundesregierung bekommen soll, schrieb ein Besucher ihrer Facebook-Seite: „Gratulation zur Wahl als neue Bundes-Familienministerin! Für Neukölln sicher ein Verlust, für die Familien in Deutschland aber ein Gewinn.“ Ein anderer: „Frau Giffey, bitte bleiben Sie doch in Neukölln und lassen sich nicht von der Merkelmühle zermahlen, wir brauchen Sie hier, Sie sind charismatisch und engagiert und eine echte Hoffnung für unseren Bezirk.“

Franziska Giffey schweigt dazu. Veröffentlicht auf der Facebook-Seite stattdessen und stoisch Neuköllner Lokalneuigkeiten, von ihrer Übergabe der Baugenehmigung für ein „Deutsches Chorzentrum“ an der Karl-Marx-Straße zum Beispiel, und ruft für den 17. März zum „Frühjahrsputz in der Gerlinger Straße“ im Ortsteil Buckow auf.

Kein Wort der Ministerkandidatin zu allem, was jetzt über sie gesagt wird. Einer, der sich in der Berliner wie der Bundespolitik auskennt, macht sich keine Sorgen um die Parteifreundin: „Der Sprung ist schon groß“, sagt er, „aber ich traue ihr viel zu“.

Giffeys Neukölln ist Problemkiez, aber auch Lebenswerkstatt

Einbürgerungen mag sie besonders gern, das ist ihr anzumerken. Dann steht Franziska Giffey vor siebzig oder achtzig Menschen von diversen Kontinenten und heißt sie als Neu-Neuköllner willkommen. Um den Hals trägt sie die schwere Amtskette, ihr Kleid elegant, nicht protzig, und sie spricht über den Bezirk, dessen Verwaltung sie führt und der es längst zu einer schillernden Bekanntheit gebracht hat, als Problembezirk, gewiss, als Sammelsurium sozialer Brennpunkte und asozialer Absteiger, Wohnort krimineller arabischer Clans, aber längst auch als Lebenswerkstatt von Musikern und Malern – und endlich als Wohnraum zuziehender Neu-Berliner mit Gentrifizierungspotenzial. 330.000 Leute, 150 Nationen, zählt Giffey vor den Eingebürgerten im Rathaus auf. Und direkt an die, die nun auch amtlich und mit Pass dazugehören: „Ich brauche Sie alle!“

Danach gibt sie die Giffey, die es früh zu einem eigenen politischen Stil gebracht hat: charmant, aber mit Ansage. Vor den Neu-Bürgern spricht sie vom Grundgesetz, von Rechten. Von den böhmischen Glaubensflüchtlingen, die sich im 18. Jahrhundert in Rixdorf, einem Teil des Bezirks, ansiedelten. Dass es darum gehe, Menschen zu befähigen, für sich selbst zu sorgen. Sie könne Dinge „so erklären, dass auch Leute ohne Abitur verstehen, was sie meint“, sagt einer, der sie gut kennt.

Je nach Anlass führt Giffey sehr genau aus, dass dazu auch eigene Anstrengung gehört. Ansagen machen – das kann sie wie ihr Vorgänger und Förderer Heinz Buschkowsky, jener politische Über-Neuköllner, der früher als jeder Berliner SPD-Politiker vor dem Scheitern der Integration gewarnt hat, vor den Folgen einer drucklosen Bildungspolitik, die ganze Generationen zu Hartzern macht und vor Parallelgesellschaften, in denen arabische „Friedensrichter“ Bedeutung haben, deutsche Gerichte aber nicht.

In Buschkowskys Neukölln fing die Verwaltungswirtin Giffey als „Europabeauftragte“ an. „Holen Sie Europa-Kohle nach Neukölln“, zitiert sie ihren früheren Chef. 2007 trat sie in die SPD ein, 2010 wurde sie Stadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport. Was sie da gesehen und erlebt hat, prägt ihr Politikverständnis. Frei nach Gerhard Schröder: fördern und fordern. Noch heute, als Bürgermeisterin, weiß sie genau, wie viele Schulversäumnisfälle es gibt und wie sie sanktioniert werden. Geht es um Bildungschancen und Eltern, die im Bett bleiben, statt den Kindern Frühstück zu machen, ist Schluss mit dem Charme.

Regeln sind Regeln – für alle

Sie hat, wie Buschkowsky, etwas sehr Klares: Chancen sind Chancen, Regeln sind Regeln – und sie gelten für alle. Was Giffey in der Schul- und Bildungspolitik begonnen hat, setzte sie als Bürgermeisterin fort: die klare Kante. Vor ein paar Monaten verbündete sie sich mit der Staatsanwaltschaft – zur Polizei hat sie ohnehin beste Drähte, und das bezirkliche Ordnungsamt untersteht ihr persönlich.

Seitdem gibt es in Neukölln mehr Kontrollen: von Shisha-Bars, von Spielsalons, von Gewerbehöfen. Leute vom Zoll, vom Ordnungsamt, vom Landeskriminalamt gehen an langen Abenden dorthin, wo man nicht mit ihnen rechnet. Behörden zeigen Präsenz, Gesetze werden angewandt. Sie wolle nicht als „Hardlinerin“ angesehen werden, sagt Giffey. Sie will aber auch nicht so tun, als gäbe es keine kriminellen Clans, keine Geldwäsche in einschlägigen Läden, keine Drogenprobleme, keine Verrohung. So gibt sie den Neuköllnern Vertrauen in die Politik zurück.

In der Berliner SPD hat sie sich damit nicht viele Freunde gemacht – wie schon ihr Vorgänger. Doch gerade daran zeigt sich eine ihrer Stärken: Entschiedenheit. Franziska Giffey komme vom administrativen Denken, sagt einer, der sie schätzt: „Wenn sie ein Problem identifiziert hat, will sie es auch lösen.“

Leute mitnehmen – das kann Franziska Giffey, und nicht bloß in Neukölln. Sie kann es viel besser als der oft so trocken wirkende Regierende Bürgermeister von Berlin, ihr Parteifreund Michael Müller. Über Giffey hieß es in den vergangenen Monaten oft, sie wäre eine gute SPD-Spitzenkandidatin bei der nächsten Wahl. Sie lächelte dazu und schwieg. Schließlich ist sie erst knapp drei Jahre Bezirksbürgermeisterin von Neukölln. Und nun? Kaum Erfahrung mit Landespolitik, gleich der große Sprung nach vorn – oder besser nach oben, in die Bundespolitik, wo die öffentliche Aufmerksamkeit permanent so groß ist wie die Möglichkeit des Scheiterns? In einer Partei, deren Führung desolat, deren Zukunft bedroht ist?

Ministerin ist etwas anderes als Verwaltungschefin

Schon als Franziska Giffey Mitte Februar plötzlich als Ministerin gehandelt wurde, staunten ihre Parteifreunde: Ein solcher Karrieresprung käme zu früh, hieß es, sie habe doch kaum landes- und keine bundespolitische Erfahrung. Dazu kommt, dass Giffey bislang Politik eben im Kleinen machen konnte, als Verwaltungschefin. Als Ministerin hätte sie ganz andere Verantwortung.

Der Sprung vom Bezirksamt an die Spitze des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wäre ein weit größerer und wohl auch mit mehr Risiken behaftet als der ins Bundesfamilienministerium. Denn das Ressort, das in der vergangenen Legislaturperiode die designierte Parteichefin Nahles führte, verfügt nicht nur über einen 135-Milliarden-Euro-Etat, sondern verhandelt auch SPD-Kernthemen: die Rechte von Arbeitnehmern, die Unterstützung von Arbeitslosen.

Aber auch das Ansehen des Familienministeriums ist gestiegen, seit Schröder als erster SPD-Kanzler die Bedeutung des Themas entdeckte. Der prägte zwar den Spruch vom Ministerium „für Familie und Gedöns“, meinte das aber nicht so abwertend, wie es oft verstanden wird. Vielmehr nervte ihn der lange Titel des „Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“. Umfragen zeigen, dass immer mehr Deutsche sich wünschen, ihr Engagement in Familie und Beruf besser vereinbaren zu können.

Giffey weit weg im Bund? "Was für eine Verschwendung"

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD verspricht, die Familienpolitik zu stärken: 3,5 Milliarden Euro wollen die Parteien in die Qualität der Kinderbetreuung und den Abbau von Kita-Gebühren in ganz Deutschland investieren. Kinder sollen nicht nur verwahrt, sondern früh gefördert werden. Giffey dürfte anders als manche in der SPD nicht der Gefahr erliegen, Familienpolitik zuallererst unter dem Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter zu betrachten: Dafür scheint die Bürgermeisterin, die einen schulpflichtigen Sohn hat, zu lebensnah.

Bevor sie am Abend des Frauentags das Ballhaus verlässt, sagt Giffey den SPD-Damen noch einmal, dass Freiheit nicht nur Wahlrecht auch für Frauen bedeutet, sondern etwa auch die Freiheit einer Tochter, sich für einen Freund zu entscheiden, den die Familie nicht für sie bestimmt hat: Es gebe da gerade in Neukölln viel zu verbessern: „Wir sollten nicht so tun, als wären das alles Einzelfälle.“

Auf Facebook reagieren derweil immer mehr Menschen darauf, dass Giffey den Bezirk wohl verlässt. Einer schreibt: „Ach, Frau Bürgermeisterin, was sind das denn für Gerüchte? In die Bundesregierung? Was für eine Verschwendung…“

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