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Teilnehmender Beobachter. Jens Spahn wartet auf einen Anruf aus dem Kanzleramt.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

CDU-Politiker Jens Spahn: Der junge Gebrauchte

Seit Jahren schon schart er in der CDU diejenigen um sich, die auf die Zeit nach Angela Merkel warten. Jetzt könnte Jens Spahn für ein Ministeramt reif sein.

Von Antje Sirleschtov

Man könnte ja auf die Idee kommen, dass die dubiose Liste aus seinem Umfeld stammt, dass sie vielleicht sogar eine Entwicklung befördern sollte, nämlich jenen nützen, deren Namen dort ausgerechnet nicht notiert waren. Seiner nämlich zum Beispiel, wo er doch Hoffnungsträger und Medienstar in einem ist und viele einen Karriereschritt erwartet haben. Und auch, wenn ein bisschen Lust an der Verschwörung zu dieser Idee gehört: Ihren Zweck, wenn es denn wirklich einen solchen gegeben haben sollte, diesen Zweck hätte die Liste der geplanten Ministerbesetzungen der CDU für die Groko-Regierung auf jeden Fall erfüllt. Denn nun steht er mit einem Schlag im Zentrum, an ihm wird Angela Merkels Fähigkeit gemessen, Modernität und Erneuerung in ihre letzte Amtszeit zu tragen. Gemeint ist, natürlich, Jens Spahn.

Am vergangenen Mittwoch, die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag waren gerade seit ein paar Stunden beendet, tauchte die Liste in der CDU urplötzlich auf. Hermann Gröhe stand darauf als künftiger Bildungsminister, Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin, Peter Altmaier, Annette Widman-Mauz und auch Julia Klöckner. Doch außer der Rheinland-Pfälzerin las man dort nur Namen alter Bekannter der Kanzlerin.

Merkel hat verstanden, das Ziel ist erreicht

Das Finanzministerium der SPD überlassen, das Innenministerium Horst Seehofer – und dann auch noch die wichtigsten Posten mit Langweilern besetzen? Die CDU war auf der Palme. Am Sonntagabend musste Angela Merkel den tagelang wogenden Ärger ihrer Partei schließlich mit der Zusage drosseln, dass sie neben den Erfahrenen auch junge Gesichter der CDU in ihr Kabinett berufen und auch in der Parteizentrale für Erneuerung sorgen will.

„Na also“, hieß es am Montag im Kreise der Merkel-Kritiker unisono, und niemand in der CDU will noch etwas mit der unglückseligen Liste der vergangenen Woche zu tun haben. Vergessen. Merkel hat verstanden, das Ziel ist erreicht. In den nächsten vierzehn Tagen wird die Chefin eine neue Liste mit einer neuen Mannschaft vorstellen.

Und Jens Spahn? Für den Aschermittwoch hat sich der 37-jährige Münsteraner gleich zwei öffentliche Auftritte in den Kalender geschrieben. Morgens um zehn im baden-württembergischen Fellbach und am Abend im thüringischen Apolda. Beide Male eher konservatives Publikum.

Seine Botschaft könnte nicht eindeutiger sein

Spahn gehört seit zwei Jahren zu den bekanntesten Kritikern des Flüchtlingskurses von Angela Merkel, warnt vor islamistischen Machos, fordert ein Islamgesetz und postete am vergangenen Freitag Fotos vom Wiener Opernball mit dem österreichischen Jung-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Seine Botschaft in die CDU hinein könnte nicht eindeutiger sein: Die deutsche Gesellschaft muss sich mit den Folgen von allzu ungeregelter Zuwanderung beschäftigen.

Aschermittwochsreden von Politikern haben traditionell gute Einschaltquoten. Wer hier rhetorisch überzeugt, und Jens Spahn gilt als guter Redner, darf sich der öffentlichen Aufmerksamkeit gewiss sein. Spahn wird die Bühnen in Fellbach und Apolda nutzen, das ist gewiss. Und ansonsten wartet er jetzt mal auf einen Anruf aus dem Kanzleramt.

Angela Merkels Augenmerk mag sich in diesen Tagen auf eine viel wichtigere Frage richten, als die, was aus Jens Spahn werden wird. Es ist jetzt mehr als vier Monate her, dass die Wähler ihr, wenn auch mit magerem Ergebnis, den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung übertragen haben. Es wird ihre letzte Amtszeit sein, so viel ist sicher. Und man muss kein Politpsychologe sein, um zu mutmaßen, wie wichtig auch dieser Regierungschefin das Bild ist, das sie nach so vielen Jahren der Regierung im Geschichtsbuch hinterlässt. Und dass natürlich auch geprägt sein wird von den letzten Jahren.

Zukunftsoption oder Scherbenhaufen?

Eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen hat Merkel nicht zustande gebracht. Und auch die nächste große Koalition ist wegen des ungewissen Ausgangs des SPD-Mitgliederentscheids noch längst nicht beschlossene Sache. Merkel hatte sich nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen klar gegen eine Minderheitsregierung ausgesprochen. Zu instabil schien es ihr angesichts der internationalen Turbulenzen und der Aufgaben in Europa, sich für jede Entscheidung neu Mehrheiten im Bundestag suchen zu müssen. Doch nun schließt sie auch das nicht mehr aus, will sich der Kanzlerwahl stellen, auch wenn das SPD-Mitgliedervotum schief geht.

Ob Groko oder nicht, daneben muss Merkel jedoch auch an die Zukunft ihrer Partei denken. Denn auch diese Frage wird irgendwann Teil der Geschichtsschreibung sein: Hat diese Kanzlerin ihrer Partei eine Zukunftsoption oder einen Scherbenhaufen hinterlassen?

Wobei wieder der hochgewachsene – und gut vernetzte – Mann mit der markanten Brille ins Spiel kommt. Der seit 2002 seinen Wahlkreis sicher für die CDU gewonnen hat, zuletzt mit 51 Prozent sogar. Der sich früh in der Bundestagsfraktion als Gesundheitspolitiker einen Namen als kenntnisreicher Fachpolitiker erwarb und vor allem eines besitzt: ein sicheres Gespür dafür, welche Leerstellen eine Parteiführung im alltäglichen Regierungsgeschäft hinterlässt und wie man sie füllt.

Jung - und konservativ

Als Staatssekretär im Finanzministerium unterstützte Jens Spahn in den letzten Jahren die Sparpolitik von Wolfgang Schäuble. Als Präsidiumsmitglied seiner Partei zog er beim Parteitag 2016 sogar öffentlich gegen seine Parteivorsitzende ins Feld und kämpfte für das Bauchgefühl der Parteibasis und gegen den Doppelpass. Mit Erfolg. Mancher in der CDU beschied ihm damals schon, in ihm stecke das Zeug zur Merkel-Nachfolge. Und zwar gerade weil er all jene wirtschaftsliberalen und konservativen Positionen besetzt, die die CDU traditionell für sich in Anspruch nimmt und die die Parteivorsitzende auf ihrem Weg der Modernisierung der CDU vielfach hintangestellt hat.

Für ein Ministeramt könnte Jens Spahn jetzt reif sein. Eines, in dem er staatspolitische Verantwortung beweisen, Strukturführung lernen und zugleich Parteiprofil für die Zeit nach Merkel entwickeln könnte.

Aber auch das ist nicht ausgeschlossen: Merkel zieht ihren Generalsekretär Peter Tauber aus der Kritiklinie der Partei und setzt Spahn an seine Stelle. Tauber galt der Vorsitzenden einst als jemand, der junge und neue Wählerschichten für die CDU erschließen kann.

Nach der letzten Bundestagswahl weiß man nun, dass nicht nur diese Hoffnung nicht aufgegangen ist. Auch den Zugang des Konrad-Adenauer-Hauses zu den traditionellen, den konservativeren Wählerschichten hat Tauber nicht halten und den Wahlerfolg der AfD nicht eindämmen können. Spahn, sagen seine Unterstützer, würde das nicht passieren. Mit ihm könnte die CDU wieder beides werden: jung und konservativ.

Spahns Boygroup hat ihre Chancen nutzen können

Ob Merkel aber so viel Vertrauen zu ihm aufbauen kann? Schließlich hätte die Berufung Spahns zum Generalsekretär nicht nur den Charme, dass sie ihren Kritiker in der Parteizentrale unter Kontrolle hat. Es liegt auch die Gefahr einer vier Jahre dauernden Opposition im eigenen Haus darin.

Wie sich Merkel auch entscheiden wird, eine Rechnung ist aufgegangen: Spahns Boygroup hat ihre Chancen im Spiel um Einfluss und Macht in den politischen Wirrungen nutzen können. Das wurde schon im letzten Herbst deutlich, als der Strippenzieher Spahn beim Deutschland-Treffen der Jungen Union in Dresden mit frenetischem Beifall für seine Kritik am Wahlergebnis der Union gefeiert wurde und Merkel der Forderung des JU-Chefs Paul Ziemiak nachgeben musste, Koalitionsverträge wider jede Gewohnheit in Zukunft von einem Parteitag abstimmen, statt sie im kleinsten Führungskreis absegnen zu lassen.

Und auch jetzt, nach dem Ende der Groko-Verhandlungen, waren es wieder die Enden des Spahnschen Netzwerkes, die Merkel von allen Seiten in die Ecke trieben. Der Wirtschaftspolitiker Carsten Linneman, der den Verlust des Finanzministeriums und damit christdemokratischer Haushalts- und Finanzpolitik beklagte. Ziemiak, der auf mehr Macht für die Jungen drängte. Michael Kretschmer, der neue Regierungschef Sachsens und Mike Mohring, der die CDU in Thüringen bei der nächsten Landtagswahl wieder an die Macht bringen will. Seit Jahren schon schart Spahn in der CDU die um sich, die auf die Zeit nach Merkel warten. Und wie zur Erinnerung nannte er all die Namen am vergangenen Freitag in einem Interview: „Überall gute Leute“.

Noch zwei andere kommen ins Spiel

Wer jetzt aber hofft, dass Spahns Jungs allesamt in Partei, Fraktion und Regierung aufsteigen werden, könnte sich zu früh gefreut haben. Sie kennen mich, hatte Merkel ihnen am Sonntagabend im ZDF zugerufen, wenn auch in etwas abgewandelter Form. Sie sagte, sie wolle neben erfahrenen Politikern auch jungen Chancen geben. Auch jungen, nicht: allen jungen. Womit noch zwei andere ins Spiel kommen: Julia Klöckner und Daniel Günther.

Die eine, eher konservativ, erdverbunden, schon im engsten Führungszirkel der CDU erfahren und nun chancenreiche Anwärterin auf ein Ministeramt, in dem sie sich bundespolitisch profilieren kann. Und der andere, der erst in Schleswig-Holstein für die CDU die Landtagswahl gewonnen, dann zum Erstaunen vieler trotz seiner erst 44 Lebensjahre eine Jamaika-Koalition geschmiedet hat und seither beweist, dass man sich in der Merkel-CDU auch republikweit Gehör verschaffen kann, wenn man nicht offen gegen die Politik der Chefin zu Felde zieht.

Eine „Neuaufstellung“ nicht nur in der CDU-Regierungsmanschaft, sondern auch in der Partei hat Merkel am Sonntag versprochen. Und der Blick ins Präsidium zeigt, dass mit dem Ausscheiden von Thomas de Maizière auch dort Platz für einen Neustart wird.

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