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Wenn Gott will. Den Segen eines orthodoxen Priesters hat die Brücke.

© Foto: Alexandr Polegenko/dpa

Brücke zur Krim: Wie ein Schlussstrich unter die Annexion

Vier Jahre Bauzeit, 19 Kilometer lang – für den Straßenbauingenieur Roman Nowikow ist die Brücke zwischen der Halbinsel Krim und dem russischen Festland zum Lebensprojekt geworden. Nun ist sie eröffnet.

Als Roman Nowikow zum ersten Mal die Krim besuchte, reiste er im klapprigen Moskwitsch seiner Eltern an. Es war Sommer, Nowikow war 13, die Fahrt war lang und die Krim sowjetisch. Im Schwarzmeerkurort Jewpatorija verbrachte die Familie zwei Urlaubswochen, dann ging es mit dem Moskwitsch zurück in ihre 700 Kilometer entfernte Heimatstadt Belgorod.

Als Nowikow gut drei Jahrzehnte später zum zweiten Mal die Krim besuchte, rückte er mit Kränen, Baggern, Bohrern, Lastern und Schiffen an. Die Krim war nicht mehr sowjetisch und nicht mehr ukrainisch, sondern russisch annektiert, und Nowikow, der Ende 40 war und Straßenbauingenieur, sollte die „Baustelle des Jahrhunderts“ leiten.

Taman, ein staubiges Steppenstädtchen am Ostufer der Straße von Kertsch, die das Schwarze mit dem Asowschen Meer verbindet. Im Minutentakt donnern Baufahrzeuge über die Zubringerstraße zur Küste. Roman Witaljewitsch Nowikow, breiter Brustkorb, breiter Bizeps, breites Grinsen, deutet auf die andere Seite der Meerenge, wo im Morgendunst die Uferlinie der Krim zu erkennen ist. Dazwischen liegen 19 Kilometer, die nun überbrückt sind. „Seit vier Jahren“, sagt Nowikow, „arbeiten wir ohne Unterbrechung an diesem Ding.“

Vier Jahre ist es her, dass sich Russland in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Krim einverleibte. Das atemberaubende Tempo, das Putin beim Anschluss der Halbinsel vorlegte, hat er bei ihrer Umstrukturierung beibehalten. In kürzester Zeit wurde die ukrainische Krim russifiziert, wurden Behörden und Bildungseinrichtungen umgekrempelt, das Renten-, Steuer- und Gesundheitssystem angeglichen, die ukrainische Hrywnja durch den Rubel ersetzt, die Krim mit Unterwasserkabeln, Gaspipelines und neuen Kraftwerken an Russlands Energienetz angeschlossen.

Roman Nowikow leitet die „Baustelle des Jahrhunderts“.
Roman Nowikow leitet die „Baustelle des Jahrhunderts“.

© promo

Allein verkehrstechnisch blieb die Halbinsel bisher von Russland abgeschnitten – nur auf dem Luft- und Wasserweg war sie erreichbar. Diese letzte Lücke wird mit Nowikows Brücke nun geschlossen. Mitte Mai wurde das Bauwerk für den Autoverkehr geöffnet, an der Spitze des Einweihungskonvois steuerte Wladimir Putin persönlich einen Lkw über die Brücke. Ab Winter 2019 sollen auch Züge über die Meerenge von Kertsch rollen, bis dahin wird weiter an der Brücke gebaut. Es ist der aufwendigste und vorerst letzte Schritt, mit dem der Kreml die Aneignung der Krim unumkehrbar machen will.

Die Gefahr: treibende Eisschollen

Beißender Teergeruch liegt in der Luft, mit riesigen Walzen wird der frische Asphalt auf der Brückenoberfläche geglättet. Nowikow präsentiert stolz sein Jahrhundertbauwerk: 19 Kilometer, die längste Brücke Europas, an der zu Spitzenzeiten 14 000 Menschen arbeiteten, knapp 600 Pfeiler, im schlammigen Untergrund verankert mit 7500 Pfählen, die bis zu 95 Meter tief in den Schwarzmeerboden gedrillt wurden.

Es ist nicht der erste Versuch, die Straße von Kertsch zu überbrücken. Als die Nazis im Zweiten Weltkrieg die Krim eroberten, begannen sie mit dem Bau einer Eisenbahnquerung, die unvollendet blieb, als der deutsche Rückzug begann. Stalin ließ die angefangene Brücke im Kriegsjahr 1944 fertigstellen, doch schon im nächsten Frühjahr wurde sie von treibenden Eisschollen wieder eingerissen. Wohlweislich wurde die heutige Brücke ein gutes Stück weiter südlich gebaut: Die Meerenge, erklärt Nowikow, sei hier zwar fast viermal so breit, dafür staue sich an dieser Stelle weniger Treibeis.

Drei Tage nach der international nicht anerkannten Volksabstimmung über den Anschluss an Russland trug Putin im März 2014 seinem Verkehrsministerium auf, eine Auto- und Bahnverbindung zur Krim zu konzipieren. Nur ein paar Wochen später wurde die Baubehörde ins Leben gerufen, als deren Chef nun Nowikow den Brückenbau überwacht. Er war Putin bis dahin nie begegnet, aber etwas verband den Ingenieur mit dem Präsidenten: Beide sind Träger des schwarzen Judogürtels. Nowikow hat zusätzlich den ersten Dan, einen Judo-Meistergrad. Welchen Dan Putin hat, weiß Nowikow nicht genau. „Aber er ist besser als ich.“

Noch besser ist nur Arkadi Rotenberg, Putins ehemaliger Judo-Trainer aus St. Petersburg und der dritte Schwarzgürtelträger im Brückenbunde. Die Baufirma des Oligarchen bekam im Januar 2015 von Nowikows Behörde den Auftrag zum Brückenbau zugesprochen, zu festgeschriebenen Baukosten von 228 Milliarden Rubel – nach damaligem Kurs rund 3,5 Milliarden Euro.

Rotenberg, der wegen seiner Nähe zu Putin unmittelbar nach der Krim-Annexion auf den Sanktionslisten der USA und EU gelandet war, ließ kurz darauf in einem Zeitungsinterview durchblicken, dass er sich um den Auftrag nicht eben gerissen habe. „Es ist mein Beitrag zur Entwicklung des Landes“, erklärte er gegenüber der russischen Tageszeitung „Kommersant“. Viele lasen die Worte als Eingeständnis, dass sich Rotenberg von seinem ehemaligen Judo-Schützling Putin in die Rolle des international geächteten Brückenbauers hatte drängen lassen – als Erkenntlichkeit für all die lukrativen Staatsaufträge, die ihm über die Jahre sein enger Draht zum Präsidenten beschert hatte.

Patriotische Lobpreisung

Beim Gang über die Brückenbaustelle springen Besuchern allenthalben Logos internationaler Baumaschinenhersteller ins Auge: Kärcher, Komatsu, Deere, Daimler. Gefragt, ob die Sanktionen den Einkauf westlicher Technik erschwert hätten, schüttelt Nowikow den Kopf. „Mir ist kein solcher Fall bekannt.“

Sollte es anders sein, würde es der Bauleiter vermutlich nicht laut sagen. Im Mai hat in den Niederlanden die Staatsanwaltschaft angekündigt, gegen sieben Unternehmen zu ermitteln, die mit Maschinenlieferungen sanktionswidrig den Brückenbau unterstützt haben sollen.

Im Steppenstädtchen Taman wirken diese internationalen Verwerfungen weit entfernt. Man findet hier niemanden, der über den Brückenbau nicht froh wäre. Froh sind die Menschen, die Arbeit auf der Baustelle gefunden haben oder darauf hoffen, vom Krim-Tourismus zu profitieren, der bald durch ihren Heimatort fließen wird. Froh sind alle, die Verwandte auf der Halbinsel haben und sie bald nicht mehr mit der lahmen und im Sommer chronisch überfüllten Autofähre besuchen müssen. Froh ist die Leiterin des örtlichen Heimatmuseums, weil sich ihre Vitrinen mit archäologischen Fundstücken aus den Brückenbaugruben gefüllt haben. Geteilt wird die Freude der Tamaner nicht zuletzt von den 2500 Teilnehmern eines russlandweiten Lyrikwettbewerbs, mit dem die Brückenbehörde kürzlich zur patriotischen Lobpreisung ihres Bauwerks aufrief. Kostprobe: „Die Krim und Russland, unzertrennlich für immer, vermählt durch eine Brücke, die einem Tempel gleicht …“

Wer weniger begeisterte Stimmen hören will, muss weiter entfernt danach suchen. Schlicht als „illegal“ bezeichnet die Brücke Jusuf Kurktschi, Erster Vizeminister im ukrainischen Ministerium für die besetzten Gebiete. „Die Inbetriebnahme der sogenannten Krim-Brücke sollte ein ernster Grund für die Verstärkung des diplomatischen und Sanktionsdrucks auf Russland durch die internationale Gemeinschaft sein“, erklärt Kurktschi auf Anfrage, die Brücke verletze nicht nur ukrainisches und internationales Recht, sie diene Russland zudem für illegale Militärtransporte auf die besetzte Krim und behindere die ukrainische Seefahrt.

Letzteres bestreitet Nowikow, der Bauleiter. Die Entfernung von der Meeresoberfläche bis an die Brücke betrage 35 Meter, während die Wassertiefe in der Straße von Kertsch ohnehin nur Schiffen von bis zu 33 Metern Höhe die Durchfahrt erlaube. „Alle Schiffe, die vor dem Brückenbau hier durchfahren konnten, können das immer noch.“

Ein trotziger Schlussstrich

Dem widerspricht Olexandr Olyjnyk, Direktor des Handelshafens der ukrainischen Stadt Mariupol, die nördlich der Krim-Brücke am Asowschen Meer liegt. „Bereits 2014, als die Russen den Brückenbau ankündigten, haben wir ihnen mitgeteilt, dass unser Hafen von 44 Meter hohen Schiffen angesteuert wird“, erklärt Olyjnyk. Wegen der Brücke könnten nun knapp 150 Handelsschiffe die Stadt nicht mehr erreichen, wodurch dem Hafen jährlich 1,5 Millionen Tonnen an Stahlexporten entgingen – den Verlust beziffert Olyjnyk auf 13 Millionen Euro im Jahr.

Auch für Russland selbst scheint fraglich, ob sich die 3,5-Milliarden-Euro-Investition und die mit ihr verbundenen politischen Schäden je bezahlt machen werden. Für 40 000 Autos und 50 Züge am Tag ist die Brücke ausgelegt, die Planer kalkulierten mit 100 Millionen Tonnen Fracht im Jahr. Ähnliche Zahlen kursierten bereits ein paar Jahre vor der Annexion, als Russland und die Ukraine noch gemeinsam über den Bau einer Krim-Brücke nachdachten. Die war damals allerdings als Teil einer durchgehenden Trasse zwischen den umliegenden Ländern geplant, um den Weg über das Schwarze Meer zu verkürzen. Seit der Annexion aber ist die Landverbindung zwischen der Krim und dem ukrainischen Festland unpassierbar für Züge und Frachtfahrzeuge geworden. Ob sich die Brücke sinnvoll auslasten lässt, solange die Krim für Russland eine Sackgasse bleibt, ist fraglich.

Für Nowikow, den Bauleiter, ist die Brücke längst zum Lebensprojekt geworden. Als im vergangenen Oktober die beiden zentralen, mehrere Tausend Tonnen schweren Brückenbögen über dem Schifffahrtskanal eingehängt wurden, war der Bauleiter doppelt angespannt: Am 16. Oktober hievten die Kräne erfolgreich das zweite der beiden Stahlteile in Stellung, am 18. kam Nowikows fünftes Kind zur Welt – Ilja, ein Sohn.

Zwei von Iljas Geschwistern sind längst erwachsen und selbst im Straßenbau tätig. Der zweitälteste, Nikolaj, baut gerade eine Brücke über den Amur, den Grenzfluss zwischen Russland und China. Nowikow erzählt das mit Stolz. Vielleicht, weil es zu dem passt, was er vorher über den russischen Umgang mit den Sanktionen gesagt hat. „Wir sind nicht auf ausländische Unterstützung angewiesen. Unsere Kompetenz und Erfahrung reichen aus, um Projekte wie die Krim-Brücke alleine zu stemmen.“ Es klingt so, wie einem manchmal diese ganze Brücke vorkommen kann: wie ein trotziger, teurer Schlussstrich.

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