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Die Berliner CDU setzt ihre Hoffnungen auf Monika Grütters.

© Paul Zinken/dpa

Berliner CDU-Parteivorsitzende: Wie Monika Grütters die Berliner CDU umbaut

Lange hieß es, sie könne sich nicht durchsetzen. Doch still und leise hat Monika Grütters die Berliner CDU nach ihrer Vorstellung verändert.

Von Ronja Ringelstein

Es sind recht kräftige Hiebe. Fünf Mal saust die Hand von Monika Grütters auf die Schulter des viel größeren Burkard Dregger hinab, der vor ihr sitzt. Sie lächelt den Mann im dunkelblauen Anzug an, als sei er ihr kleiner Bruder. Toll gemacht. Dabei ist es ihr Erfolg.

Seit ein paar Stunden ist Burkard Dregger an diesem Tag im Juni der neue Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU im Abgeordnetenhaus. Die alte Machtriege in der Partei hatte andere Pläne – und scheiterte. Es ist Monika Grütters’ jüngster Coup. Und er zeigt, wie sehr, wie lautlos sie in den anderthalb Jahren ihrer Amtszeit als Parteichefin die alten Strukturen verändert hat. Langsam wird das allen in der Berliner CDU klar.

An jenem Dienstagabend sind ihre derzeit drei wichtigsten Männer in den Festsaal der Stadtmission in Mitte gekommen und sitzen nun in der ersten Reihe: Generalsekretär Stefan Evers, der ebenfalls seit diesem Tag gewählte stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mario Czaja und Burkard Dregger warten wie rund 250 CDU-Mitglieder darauf, dass die Veranstaltung losgeht. Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin im Bund und rechte Hand der Kanzlerin, ist auf ihrer „Zuhör-Tour“ zu einer Diskussionsrunde von Grütters eingeladen worden. Doch erst einmal möchte sie Kramp-Karrenbauer ihren neuen Fraktionsvorsitzenden vorstellen. Etwas perplex sieht Dregger noch aus nach den anerkennenden Hieben. Aber auch er lächelt.

Von Grütters hieß es immer wieder, sie könne sich nicht durchsetzen, sie habe keinen Unterbau in der CDU. „Entmachtet“, „weggeputscht“, „umgangen“. Ständig beschreiben Parteimitglieder diesen oder jenen Vorgang mit solchen Worten. Nun hat sie sich einen an die Spitze der Fraktion gesetzt, der ihr treu zuarbeiten wird. Burkard Dregger ist der vielleicht wichtigste Teil ihres Plans, die Partei neu aufzustellen. Vor allem ist er die große Chance für Monika Grütters selbst. Heute, so sagen es einige, sei Grütters’ Macht und Einfluss unanfechtbar.

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Burkard Dregger soll nun viel in der Berliner CDU: die rechte Flanke schließen – neben der liberalen Monika Grütters. Der rot-rot-grünen Regierung Konter bieten und gleichzeitig Abstand zur AfD gewinnen. Dregger, 54 Jahre alt, Anwalt, seit 2011 Abgeordneter im Parlament, soll die CDU für die Berliner sichtbarer machen, damit zur Abgeordnetenhauswahl 2021 die Umfragewerte bei 30 Prozent liegen. Ein Ergebnis, das für alle Parteien derzeit utopisch ist. Die CDU träumt nun ernsthaft davon.

Das regierende rot-rot-grüne Dreierbündnis hat die sichere Mehrheit, obwohl ihm mit Michael Müller der unbeliebteste Regierungschef der Bundesrepublik vorsteht und SPD, Grüne und Linke in Umfragen einzeln jeweils auf nur rund 17 Prozent kommen. Die AfD zieht der CDU die Wähler von rechts ab. Geht Monika Grütters’ Plan nicht auf und schafft sie es auch mit Dregger an der Spitze nicht aus dem Tief, hat die Berliner CDU nicht mehr viele Möglichkeiten.

Eilig führte sie erste Gespräche

Die ordentliche Wahl des Fraktionschefs wäre eigentlich erst 2019. Überraschend hatte Florian Graf, sieben Jahre lang Fraktionsvorsitzender, Ende Mai seinen Rücktritt angekündigt. Überraschend für die Abgeordneten. Grütters wusste schon Bescheid, als Graf noch die Kollegen informierte. Und hatte die Idee, wie sie die Umstrukturierung in Partei und Fraktion angehen würde. Sie war die Erste, die zum Telefon griff, um die Nachfolge zu klären. Eilig, noch auf dem Weg nach Paris, wo Grütters als Kulturstaatsministerin die Bundeskanzlerin bei Terminen vertreten musste, führte sie erste Gespräche.

Grütters wusste, Burkard Dregger stünde bereit, wenn sie das wünschte. Sie hat ihn vom ersten Tag an aufgebaut. Auf einer Weihnachtsfeier der Unionsbundestagsfraktion 2009 waren sie länger ins Gespräch gekommen. An dessen Ende stand fest, dass Dregger in den Landesvorstand kommen sollte. Er bekam die Aufgabe, ein Grundsatzprogramm der CDU zur Integration zu schreiben, wechselte in den aussichtsreicheren Wahlkreis Reinickendorf und konnte so schließlich ins Abgeordnetenhaus einziehen.

Sie, die kein Vorschlagsrecht für einen Fraktionsvorsitz im Berliner Parlament hat, hat mit Dregger nun ihren Favoriten durchgesetzt. Einen, der es ihr erlaubt, selbst im Rennen für eine Spitzenkandidatur zur nächsten Wahl zu bleiben. Er wird Grütters die politische Starthilfe nicht vergessen – und ihr nicht im Weg stehen.

Am Tag nach seiner Wahl zum Fraktionschef sitzt Dregger auf der schwarzen Ledercouch des großen, hellen Büros im Abgeordnetenhaus, das gestern noch Florian Grafs Arbeitsplatz war. Grütters, sagt Dregger, stehe in der Mitte. Aber sie könne auch im bunten Berlin nicht alle erreichen. Wenn man selbst die liberale und vielfältige Seite anspricht, sei es gut, jemanden im Team zu haben, der die anspricht, die Wert auf Sicherheit, Recht und Ordnung legen.

Burkard Dregger.
Burkard Dregger.

© Kai-Uwe Heinrich

Die freundliche und entspannte Art der 56-Jährigen sehen viele Christdemokraten als den entscheidenden Vorteil gegenüber einem wie Michael Müller. „Von der Frau gibt es kein schlechtes Foto, das ist viel wert“, sagt ein CDU-Kollege. Mit ihrer Offenheit begeisterte sie gerade die Israelis. Auf einem Flug von Berlin nach Tel Aviv in einem Flugzeug einer Billig-Fluglinie sang und scherzte sie mit einem kleinen Mädchen. Dessen Vater war beeindruckt, dass eine Staatsministerin so bescheiden fliege. „Sie kommt dem Lebensgefühl der Berliner in ihren Haltungen entgegen. Deshalb ist sie die geborene Regierende Bürgermeisterin“, sagt Burkard Dregger. Und er sagt das häufig. Er will klarmachen, dass er ihr kein Konkurrent, sondern ein Statthalter sein will. Sollte die CDU in Regierungsverantwortung kommen, sieht Dregger sich als Innensenator.

Grütters baut die Berliner CDU derzeit um, entgegen der Vorstellungen mancher Parteiurgesteine. Eigentlich tut sie das bereits seit der niederschmetternden Wahl 2016. Kurz danach wurde sie zur Landesvorsitzenden einer Partei, die nur 17,6 Prozent der Berliner Wähler hatte überzeugen können. Heute sind es laut Umfragen zwei bis drei Prozent mehr. Das reicht nicht. Nun versucht Grütters, nach und nach Personen auf den besten Posten zu installieren, die die Schwerpunkte setzen, die ihr wichtig sind. Sie umgibt sich mit politischen Freunden.

Gegen den Willen der Kreischefs

Angefangen hatte sie damit, als sie Stefan Evers 2016 zu ihrem Generalsekretär bestimmte. Gegen den Willen einiger Kreischefs. Der tief in der CDU verankerte Spandauer Kai Wegner war damals noch Generalsekretär neben Grütters’ Vorgänger Frank Henkel. Da Grütters aber lieber ihren Vertrauten Evers an ihrer Seite wollte, musste Wegner gehen. „Das nimmt er ihr sicher heute noch übel“, heißt es in der Union. Es sind die berüchtigten Seilschaften, ohne die in der CDU früher nichts zu machen war. Wie beim Andenpakt auf Bundesebene hatten sich auch die Bezirke Spandau, Mitte, Tempelhof-Schöneberg schon vor Jahren die Treue und gegenseitige Unterstützung geschworen. Sie straften Grütters ab, indem sie Evers im ersten Wahldurchgang durchfielen ließen. Aber Evers wurde es – im zweiten Anlauf. Er wollte eigentlich nie Generalsekretär werden, tat es, weil sie ihn darum bat. Er ist loyal. Evers half Grütters bei der Umstrukturierung des Parteiunterbaus, stellte neue Fachgremien zusammen, zog Experten heran, die die fachpolitischen Sprecher inhaltlich beraten.

„Wenn ich mich nicht durchzusetzen wüsste, wäre ich nicht, wo ich bin“, sagt Grütters bei einem Gespräch Ende April. Sie ist auch Machtmensch, sagt einer, der sie gut kennt. Doch mit einer „jovialen, herzlichen Art“. Vielleicht macht sie das für die alten Machthaber in ihrer Partei so gefährlich. Gegen die muss Grütters immer wieder ankämpfen: die Kreisfürsten, die in heimlich anberaumten Runden Entscheidungen treffen.

Diesmal war es wieder so: Einige hatten Mario Czaja an der Spitze der Fraktion gesehen. Viele hielten ihn für den Mann mit mehr Durchschlagskraft im Vergleich zu Dregger. Auch Kai Wegner sah das so. Mit anderen Kreisvorsitzenden traf Wegner sich eilig, einen Tag nach dem Rücktritt Florian Grafs, um zu entscheiden, dass Mario Czaja, der ehemalige Gesundheitssenator, neuer Fraktionsvorsitzender werden solle. Grütters schlossen sie von der Entscheidung aus. Sie kam erst einen Tag später von der Dienstreise aus Paris zurück. Als die Landeschefin wieder Berliner Boden unter den Füßen hatte, titelte eine Zeitung bereits „Ex-Senator Czaja soll CDU-Fraktionschef werden“. Während Dregger sich in diesen Tagen gar nicht geäußert hatte, machte Czaja auch öffentlich klar, dass er Fraktionschef werden wolle. Das war sein Fehler. Es sah aus, als wolle auch er Grütters umgehen.

Einige denken, Wegner solle nun lieber bis zur nächsten Bundestagswahl die Füße stillhalten, wenn er sein Mandat behalten wolle. „Monika dürfte aufgefallen sein, dass er schon mehrmals gegen sie geschossen hat“, sagt einer. Zehn Tage nach Grafs Rücktritt wird Dregger schließlich von 27 der 31 Abgeordneten zu ihrem Chef gewählt und Mario Czaja zu einem der Stellvertreter gemacht. Gemeinsam treten Czaja und Dregger aus der dunklen Holztür des Sitzungsraums im Abgeordnetenhaus, in dem die Wahl stattgefunden hatte. Fernsehteams warten im Gang und bitten um Interviews, zuerst mit dem Fraktionsvorsitzenden. Mario Czaja wartet. Nach dem Interview wollen sie zur „Zuhör-Tour“ in den Festsaal. Ob er auf der Veranstaltung eine tragende Rolle habe? Nein, sagt Czaja. Er sei zur Unterstützung da. „Obwohl, das ist ja auch eine tragende Rolle“, scherzt Czaja. Er wird nicht bis zum Ende der Veranstaltung bleiben.

Czaja versucht die Sache mit Humor zu nehmen. Nach außen zumindest. „Glücklich ist der nicht“, heißt es in der Partei. Mario Czaja, dem Grütters für sein Zurückstehen ihren „großen Respekt“ aussprach, hätte ihr bei einer Entscheidung für eine Spitzenkandidatur 2021 zum Konkurrenten werden können. Er hat seine eigenen Ambitionen. So hält sie ihn sich nah genug, um von seinen Talenten zu profitieren, doch auf Abstand, falls sie selbst für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidieren will. Ihr letzter Schachzug deutet darauf hin, dass sie es will. Das Amt der Kulturstaatsministerin im Bund wird sie nach der Ära Merkel wohl nicht noch einmal antreten. Würde die CDU in Regierungsverantwortung kommen, wäre Mario Czaja als Senator gesetzt, heißt es.

Ob ihm gelingt, was sein Vater schaffte?

„Mario!“, ruft Monika Grütters zur Begrüßung. Im Festsaal, wenige Minuten bevor Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer sprechen wird, kommt Grütters zunächst auf Mario Czaja zugelaufen, der mit ein paar Parteikollegen an einem Stehtisch steht. Sie fällt ihm um den Hals und umarmt ihn wie einen Freund, den sie seit Wochen nicht gesehen hat. Sie ist erleichtert, dass er mitgemacht hat. Mit Stefan Evers als Generalsekretär und mit Burkard Dregger und Mario Czaja an wichtigen Positionen in der Fraktion zeige sich die Partei mit breitem inhaltlichen Spektrum, sagt Grütters. Es soll wohl auch bedeuten: Sie sind alle dort, wo ich sie haben wollte.

Mit dem Thema „Sicherheit und Ordnung“ gibt es einen Rechtsdrall an der Fraktionsspitze. Einen Tag nach seiner Wahl kündigt Dregger Pläne einer Änderung des Berliner Polizeigesetzes an. Es solle ein „Bollwerk gegen das Böse“ werden. Bodycams, Taser, verstärkte Videoüberwachung, Schleierfahndung. An diesem Tag muss Dregger noch zur Amtseinführung der neuen Polizeipräsidentin. Den Konservativismus hat er am Küchentisch der Eltern verinnerlicht, auf der Fahrt in der Dienstlimousine, die er nun als Fraktionschef nutzen darf, erzählt er davon. Im hessischen Fulda, als Sohn eines CDU-Politikers, der so weit rechts stand, dass seine politischen Gegner ihn der „Stahlhelm-Fraktion“ zuordneten. Die Truppe um Alfred Dregger, langjähriger Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag und Oberbürgermeister von Fulda, war in den 1970er und 80er Jahren Garant dafür, dass keine Parteien rechts von der CDU groß wurden. „Da haben wir Nachholbedarf. Aber mein Konservativismus ist ein anderer als der meines Vaters“, sagt sein Sohn.

Ob ihm gelingt, was sein Vater schaffte? Der konnte als Landesvorsitzender in Hessen die Umfragewerte in kurzer Zeit von 26 auf 47 Prozent verbessern. So machte er die CDU zur ebenbürtigen Konkurrentin der SPD. „Ich maße mir solche Ziele nicht an“, sagt Dregger. In den anderen Parteien lachen sie schon über das 30-Prozent-Ziel. Zunächst will er das drängende innenpolitische Thema um den „desolaten Zustand“ der Berliner Feuerwehr in den Fokus nehmen. Da schulde der Innensenator noch Aufklärung, findet Dregger. Doch auch ein Konzept zum Wohnungsbau ist geplant.

In Teilen der Berliner SPD sind sie froh, dass es Dregger geworden ist und nicht Czaja. Czaja wäre der schwierigere Konkurrent, der jugendliche, weltoffene Liberale. Mit „Law and Order“ habe die CDU bereits bei der letzten Wahl danebengehauen. Andere Sozialdemokraten wissen, dass Dregger auch in den Zuwanderer-Communities, etwa in seinem Reinickendorfer Wahlkreis, gut vernetzt und beliebt ist. Das ist SPD-Klientel. Die AfD sieht in Dregger eine klare Antwort auf sich selbst.

In Grünen-Kreisen fänden sie es gesamtgesellschaftlich wünschenswert, dass es Dregger gelingt, die „konservative Alternative“ zu Rot-Rot-Grün zu sein. Bei einem Treffen im April steht Grütters im achten Stock des Bundeskanzleramtes. Ihr Büro als Kulturstaatsministerin. Sie geht durch die Glastür auf die riesige Terrasse, eine Etage über der Bundeskanzlerin, mit dem wohl besten Ausblick in der ganzen Stadt. 360-Grad-Sicht, Süden und Westen, Osten und Norden. Da hinter dem Tiergarten irgendwo liegt das Abgeordnetenhaus. Sie hat es im Blick. Wer Grütters jetzt noch gefährlich werden könnte? „Niemand“, sagt ein Vertrauter. Höchstens sie selbst.

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