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Hutmacher Philip Treacy lässt seit 30 Jahren Blumenschmuck bei den Steyers anfertigen.

© Kurtiss Lloyd

Seidenblumen aus Sachsen: Seidenblumen für Paris und London

Die Seidenblumen von Heide und Gerald Steyer schmücken die Hüte von Designern wie Philip Treacy und die der britischen Königsfamilie.

Etwas exotisch wirkt das Plakat in Neonfarben schon vor dem soliden Fachwerkhintergrund. Es zeigt ein Model mit einem gigantischen Kopfputz aus Seidenblumen. „Who is Next?“ lautet der Werbeslogan darauf für eine der größten Pariser Modemessen. „Wer ist der oder die Nächste?“ lautet auch die Frage, die über dem schmucken Vierseitenhof in der sächsischen Provinz schwebt. Heide und Gerald Steyer sind stolz darauf, dass ihre exklusiven Kunstblumen in ganz Paris plakatiert waren. Sie sind aber auch beide Mitte 70 und würden ihre Manufaktur gerne in jüngere Hände übergeben. Seit Jahren sind sie auf der Suche, und darin erfolglos. Es ist eine der letzten Manufakturen für Seidenblumen in Europa, die wenigen verbliebenen Kollegen sind in Paris beheimatet. Das Metier der Steyers ist speziell und sie haben sich ganz nach ihren Bedürfnissen darin eingerichtet.

Der VEB Kunstblume diente der Devisenbeschaffung

Die beiden Möchtegern-Rentner sitzen in ihrer schmucken Schauwerkstatt und erzählen, dass ihre Firmengeschichte mit einem Berliner Kapitel begann. 1972 übernahmen die Steyers hier die Kunstblumen-Produktion der Firma Carl Morgenstern, die in den fünfziger Jahren aus dem sächsischen Sebnitz, nur 40 Kilometer von Wallroda, nach Berlin gegangen war, um der drohenden Verstaatlichung zu entgehen. Andere Kollegen aus dem Traditionsort der deutschen Seidenblumenproduktion gingen nach Süddeutschland. Wer blieb, wurde Teil des VEB „Kunstblume“.

Zu ihrer standesamtlichen Trauung mit Prince Charles trug Camilla einen Hut mit Blumen aus Sachsen.
Zu ihrer standesamtlichen Trauung mit Prince Charles trug Camilla einen Hut mit Blumen aus Sachsen.

© picture alliance / dpa

100 Firmen wurden zur VEB Kunstblume zusammengeführt, der auf die Devisenbeschaffung ausgerichtet war und die Kunstblumen exportierte. Mit rund 3000 Mitarbeitern war er einer der größten Arbeitgeber der Region. Dieses System brach nach der Wende zusammen. Heute firmiert nur noch eine Schauwerkstatt unter dem Namen „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ mit 12 Arbeiterinnen in der Seidenblumenstadt, die vor allem dem Stadtmarketing dient. Sie hat sich auf die naturnahe Herstellung von Wiesenblumen und Gräsern spezialisiert, im Gegensatz zu den Steyers, die sich von Trends inspirieren lassen.

Der Vorgänger der Steyers, Carl Morgenstern, arbeitete vor allem mit dem Großhandel und mit der Konfektion zusammen, die damals noch stark war in Berlin. Dieser Kundenstamm begann in den siebziger Jahren zu schwinden und mit dem Großhandel wurde es immer schwieriger. „Wir haben dann umgestellt und nur noch mit den Hutmachern und der Konfektion gearbeitet und das mehr oder weniger bis zur Wende durchgehalten“, sagt Gerald Steyer. „Wir hatten das Glück, dass wir in Berlin sowieso nicht billig produzieren konnten.“ In Konkurrenz mit der staatlich subventionierten DDR-Produktion aus Sebnitz zu treten oder den zunehmenden Mitbewerbern aus Fernost wäre unmöglich gewesen. „Unsere Kollektionen wurden kopiert. Da haben wir alles anders gemacht und sind zu den Ursprüngen zurück, so, wie man ganz früher gearbeitet hat.“

Doch bereits 1972 wurde der Lehrberuf des Kunstblumenmachers abgeschafft, so dass kein Nachwuchs nachkam, der die anspruchsvollen Techniken hätte umsetzen können. Anfang der neunziger Jahre kam dann alles zusammen. Die letzten Facharbeiterinnen der Steyers gingen in Rente und die Miete der Produktionsräume verdreifachte sich nach der Wende. Da sind die Steyers gerade 50 und wollen es noch einmal wissen.

Ihre Gänseblümchen sind ihre vielblätterigen Meisterwerke

Um ihren Traum von Exklusivität zu verwirklichen, zogen sie dorthin, wo es noch Fachkräfte gab. Und das war beim alten Konkurrenten in Sebnitz, wo bis zur Wende ausgebildet worden war. Die Idee die VEB „Kunstblume“ zu übernehmen scheitert, doch mit dem Vierseitenhof in der Nähe fanden die Steyers den perfekten Produktionsort. „Hier waren wir noch konsequenter und haben alles mit der Hand verformt“, sagt Heide Steyer.

Die Form des Hofs von 1830 erwies sich als ideal für die Produktionsstraße der Manufaktur auf einer Ebene. Im Materiallager türmen sich die bunten Stoffrollen Meter an Meter. Davor hat die Maschine Platz, die aus Schrägband Blumenstiele und Schnüre dreht. Im nächsten Raum zeugen unzählige Rahmen davon, dass Heide Steyer hier die feinen Stoffe mit Gelatine bearbeitet. Dann türmen sich Schachteln bis unters Dach mit Wicken, Veilchensträußen, wie sie an die Besucher der Bayreuther Festspiele verschenkt wurden. Und Gänseblümchen. Die Steyers sind die Letzten, die noch eine Vorrichtung haben, um die kleinen, aber vielblättrigen Meisterwerke herzustellen. „Mit diesen kleinen Blütenformen können wir gegen die asiatische Konkurrenz bestehen. Die sind stark in Mode, da sie frischer wirken als die gewohnte Rose.“ Die 15 0000 Stanzeisen für Blüten und Blätter stehen säuberlich aufgereiht und nummeriert in Regalen. In einem dicken abgewetzten Buch sind die vergilbten Papiermuster eingeklebt. Es stammt noch aus der Produktion der Firma Morgenstern wie so vieles in der Manufaktur. Selbst die Kalkulation basiert noch auf den Formeln der Vorgänger und funktioniert nach wie vor.

Einen Blick in die Werkstatt von Heide Steyer.
Einen Blick in die Werkstatt von Heide Steyer.

© Ingolf Patz

Nur einmal kam Gerald Steyer ins Schwitzen. Für einen italienischen Schuhfabrikanten sollten Maiglöckchenbouquets angefertigt werden. 144 Einzelblüten pro Tuff, 960 000 insgesamt. Die Steyers sind stolz darauf, dass sie nicht nur Einzelstücke fertigen, wie die letzten Konkurrenten in Paris, sondern auch Masse, wenn es drauf ankommt. Man spürt den Stolz der letzten drei verbliebenen Kunstblumenfacharbeiterinnen, die an einem langen Tisch zwischen Schachteltürmen die von Heide Steyer gefärbten Blütenblätter formen und zusammenfügen.

Im Deutschland von „Geiz ist geil“ gab es keinen Absatzmarkt. Sie verkaufen nun viermal im Jahr auf Messen in Paris und speziell für die britischen Hutmacher zweimal pro Jahr in einem Londoner Nobelhotel. Dem heutigen Star unter den Hutmachern, Philip Treacy, waren sie schon vor 30 Jahren vorgestellt worden, als er gerade von der Modeschule kam. Gerald Steyer hat die Buchhaltung im Griff und seine Strategie fest im Auge. Und die Quereinsteigerin und ehemalige Bankkauffrau Heide Steyer explodiert künstlerisch. „Wir haben ja nie wirklich nach der Natur gearbeitet, sondern nach den Trends der Mode“, erklärt Heide Steyer. „Alexander McQueen öffnete mir die Augen, welche Farbkombinationen möglich waren.“ Sie hält eine üppige englische Rose in einem müden Violett in der Hand, deren Blütenblätter an den Rändern exzentrisch Türkis abgetönt sind.

Der Raum, in dem sie die zuvor ausgestanzten Blütenblätter färbt, gleicht eher einem Künstleratelier, Farbproben, Emailleschüsseln mit bunten Flüssigkeiten und Blüten überziehen alle Oberflächen in fantastisch gebrochenen Farbtönen. Während Heide Steyer einen Stapel Blütenblätter in Farbe taucht, verkündet sie stolz: „Philip Treacy färbt seine Hüte nach meinen Farben.“

Sarah Jessica Parker mit einer Hutkreation von Philip Treacy, mit freundlicher Unterstützung der Steyers.
Sarah Jessica Parker mit einer Hutkreation von Philip Treacy, mit freundlicher Unterstützung der Steyers.

© REUTERS

Doch wie geht es weiter? Wir schauen den verbliebenen drei „Blümlerinnen“ zu, wie sie mit heißen Kugeln und Zangen auf einem Hirsekissen die zarte Seide in Form bringen. Die Steyers haben aus Altersgründen die Produktion in den letzten Jahren heruntergefahren. Ein Nachfolger müsste neu durchstarten, doch die aus der Drosselung resultierenden sinkenden Umsätze schrecken die Banken ab. Da ändern auch die Kunden aus den Königshäusern, von Modelabels wie Dior, Dries van Noten oder Vivienne Westwood oder der Film- und Fernsehproduktionen von „Titanic“ über „Downton Abbey“ bis „Mary Poppins“ nichts. Und offizielle Stellen seien ganz auf das geschichtsträchtige und für den Tourismus wichtige Sebnitz fixiert.

Aber Heide Steyer scheint nicht sentimental: „Ich habe so viel erlebt. So viel mehr, als ich es mir als Bankangestellte hätte erträumen können. Vielleicht ist es ein Ausdruck einer von Billigmentalität geprägten Zeit, wenn wir den Laden einfach dichtmachen.“

Das Modemuseum Meyenburg zeigt in der Ausstellung „Kunst Blumen Blumen Kunst“ auch Seidenblumen aus Sebnitz und der Kunstblumenmanufaktur Steyer. Bis 31.7., Di–So 11–17 Uhr

Ingolf Patz

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