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Gesellschaft: Mit eingebautem Rückenwind

Der Elektromotor eines Pedelecs unterstützt den Radler beim Treten. Auf Sylt kann man es ausprobieren – und der steifen Brise die Stirn bieten

Leuchtturmprojekt und Urlaubsinsel, das passt irgendwie zusammen. Und besonders gilt das anscheinend das für die Nordseeinsel Sylt. Dort sind jetzt sieben Elektro-Kleinwagen vom Typ C-Zero und zwei Transporter vom Typ Berlingo Electric an örtliche Kunden übergeben worden, darunter den bekannten Restaurantbetreiber Gosch. Zeitgleich sind in Kampen und List Ladestationen für die Stromer vom Hamburger Kooperationspartner „e8energy“ eingeweiht worden. Der Strom wird gemäß der Unternehmensphilosophie der Hanseaten aus rein regenerativen Energien gewonnen. Damit es nicht bei einer „Insellösung“ bleibt, werden bundesweit weitere Ladesäulen folgen. Ähnlich wie beim Roaming-Prinzip im Mobilfunk sollen künftig auch Fahrer von E-Mobilen anderer Marken, die ihren Strom normalerweise bei anderen Versorgern beziehen, von der Ladetechnik profitieren können.

Radeln mit eingebautem Rückenwind aus der Steckdose – das geht auf Sylt schon länger. So wie in fast allen großen Urlaubsregionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sind die E-Bikes oder Pedelecs (Pedal Electric Cycles) auch auf Sylt angekommen – und pro Tag für rund 20 Euro zu leihen. Die Zweiräder mit elektrischer Unterstützung haben ihre Kinderkrankheiten überwunden und schnurren inzwischen mühe- und fast geräuschlos über den Asphalt.

Unsere Testfahrt auf Sylt führt über einer der schönsten Radwege der Republik von Kampen nach List. Es geht durch die Dünen- und Heidelandschaft des Unesco-Weltkulturerbes Wattenmeer. Links die tosende Nordsee, rechts das Watt, in der Mitte das Pedelec samt Fahrer – und viel Wind von vorn. Ein Abstecher führt entlang der Wanderdünen mitten in die Heidelandschaft. Der Untergrund ist sandig, das Vorderrad bricht aus. Trotz aller Romantik ist die zehn Kilometer lange Strecke ein kleiner Härtetest für jedes Pedelec. Macht der Elektromotor mit? Schießt er seine 250 Watt dazu, damit es beim nächsten Hügel nicht so anstrengend wird? Ja, macht das Elektrorädchen! Allerdings: Auf Sand rutscht das Rad auch leicht zur Seite. Bei jedem Tritt in die Pedale zieht es zügig nach vorn. Bergauf ist das eine tolle Hilfe, die einen ausgeruht – und doch mit Appetit – an der Fischbrötchenbude ankommen lässt.

Doch wie funktioniert das Teil überhaupt? Grundsätzlich: Der Elektromotor unterstützt die Tretkraft des Fahrers. Im Tretlager ist entsprechend ein Drehmomentsensor integriert. Der misst die Kraft, mit der der Fahrer in die Pedale tritt, und hilft je nach gewähltem Unterstützungsmodus. Je höher der gewählte Gang und je stärker die eigene Tretleistung, desto mehr Schub leistet der Motor zur Unterstützung – bis zur Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, dann schaltet er sich ab. Bei den schnellen Power-Pedelecs sind es sogar bis zu 40 Stundenkilometer.

Der Motor ist entweder am Vorderrad, am Tretlager oder am Hinterrad montiert. Der eingebaute Rückenwind kommt natürlich aus der Steckdose: Am Rahmen ist ein abnehmbarer Lithium-Ionen-Akku befestigt, der je nach Geschwindigkeit, Steigung, Gegenwind und Gewicht des Fahrers nach ein paar Stunden Radeln aufgeladen werden muss. Grundsätzlich schafft ein Akku 35 bis 80 Kilometer und lässt sich etwa 500 Mal wieder „flott machen“. Dafür ist ähnlich wie bei Handys jede Steckdose geeignet. Ein kompletter Ladevorgang dauert etwa fünf Stunden.

Die Branche erhofft sich von den elektrischen Drahteseln einen ähnlichen Boom wie vor zehn Jahren durch die Mountainbikes. In 2009 wurden bereits 150 000 Pedelecs verkauft – ein Plus von 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auch wenn der Marktanteil noch einstellig ist. Zu den Herstellern gehören die Schweizer Unternehmen Biketec, die kanadische Firma Bionx, KTM aus Österreich, der deutsche Radhersteller Winora sowie die in Cloppenburg ansässige Firma Derby Cycle mit ihrer Marke Kalkhoff.

„Dieses Jahr ist das Jahr der Pedelecs“, davon ist Markus Sörensen vom M+M Fahrradverleih auf Sylt überzeugt. Auch Gunnar Fehlau vom „Pressedienst Fahrrad“ bestätigt: „Noch nie waren Modellvielfalt, Verkaufszahlen und Akzeptanz der Räder mit Elektrounterstützung so groß.“ Verleiher Sörensen hat deshalb auch ein gutes Dutzend solcher Räder in seinen Verleihstationen: „Ich könnte täglich noch zig mehr davon verleihen, wenn die Anschaffungskosten nicht so hoch wären.“ Pedelecs kosten zwischen 1000 und 4000 Euro.

Ähnlich wie beim Fahrradkauf empfehlen Experten, das gute Stück nach den eigenen Bedürfnissen auszusuchen und nicht an der Qualität von Bremsen, Gangschaltung und Motor zu sparen. Die meisten Pedelecs haben ihre Power in der Vorderradnabe. Nachteil: Auf sandigem Grund und bei Steigungen kann der Reifen wegrutschen. Für mehr Stabilität am Berg sorgen ein Zentralantrieb hinter dem Tretlager oder ein Hinterradantrieb. Wichtig: Der Akku sollte immer abnehmbar sein und eine Garantie haben. Denn mit bis zu 800 Euro ist er das teuerste Ersatzteil.

Auch die Tourismusregionen von Rügen bis Bayern haben die Anziehungskraft der neuen Zweiräder erkannt – zum Beispiel in der Eifel. Hier gibt es 25 Stationen zum Leihen und Laden. 150 Räder stehen zur Verfügung, in Bayern sind es 200. Auf Rügen hat die Firma Movelo ein flächendeckendes Netz von Leih- und Ladestationen. Insgesamt verleiht Movelo 2500 Pedelecs für Tourismusregionen in Deutschland, Österreich, Italien und Spanien.

Oft können die Flitzer auch direkt an der Hotelrezeption gebucht werden. Wie zum Beispiel auf Sylt im Lindner Hotel Windrose. „Radeln mit eingebautem Rückenwind passt zu Sylt“, erklärt Hotelchef Christian Kölling. Deshalb arbeitet sein Haus auch mit einem örtlichen Verleiher zusammen, der den Gästen auf Wunsch ein Pedelec vor die Tür stellt. Dann kann es flott mit Rückenwind auf das 200 Kilometer lange Radwegenetz der Insel gehen. Anja Steinbuch

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