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Interview mit Kirsten Brodde und Alf Zahn: "Die großen Konzerne machen Downcycling"

Die grüne Modeexpertin Kirsten Brodde und der Blogger Alf-Tobias Zahn haben ein Buch darüber geschrieben, warum sie Wegwerfmode satt haben. Ein Interview.

Wo kam die Motivation her, dieses Buch zu machen?
KIRSTEN BRODDE: Wir repräsentieren zwei verschiedene Generationen unserer grünen Modeszene. Ich bin schon lange dabei und werde gern als Pionierin bezeichnet, Alf gehört zur jungen grünen Modeszene. Außerdem fanden wir es wichtig, dass beide Geschlechter repräsentiert sind.

ALF-TOBIAS ZAHN: Es geht uns nicht darum, schlechten Konsum durch guten zu ersetzen. Das funktioniert auch nicht.

KIRSTEN BRODDE: Am Anfang machen wir ja schon ein großes Versprechen, dass es kein Verzicht ist, nicht ständig Kleidung zu kaufen. Es ist eine große Befreiung, sich mit dem zu beschäftigen, was da ist – und sich so vom Massenkonsum zu befreien. Wir haben ein Manifest geschrieben. Dafür habe ich extra noch mal Karl Marx gelesen.

Im Buch erfährt man erst einmal, wie Mode funktioniert und wie schrecklich die Industrie ist. Ist es notwendig, durch dieses Tal zu gehen und dann zu schreiben: Hier ist die Lösung?
ALF-TOBIAS ZAHN: Eigentlich war es nicht als Katharsis geplant, oder?

KIRSTEN BRODDE: Ganz klar, Fakten liefern ist notwendig, aber es reicht nicht aus. Denn die Fakten alleine überzeugen niemanden. Wäre das so, hätten wir einen explosionsartig entwickelten Markt für grüne Mode, den es aber nicht gibt. Der Markt entwickelt sich zwar langsam, aber diese Glasdecke durchstößt er nicht. Im Zweifel hat das Kompliment in der Büroküche für ein Secondhand-Outfit einen größeren Einfluss, als wenn du die Zahlen wiederholst.

Gerade werden ja viele negative Gefühle erzeugt. Eigentlich ist klar. Wenn ich zu H&M gehe, helfe ich mit, dass die Welt ein bisschen schneller untergeht.
KIRSTEN BRODDE: 80 Prozent des Buches handeln davon, nicht neu zu kaufen. Aber man muss die Sehnsüchte ernst nehmen, sich mit Mode verändern zu wollen. Und einen Vorschlag machen, wie man diese Sehnsüchte anders befriedigen kann als durch das ständige Neukaufen von Sachen, auch grüne.

ALF-TOBIAS ZAHN: Wir haben das auch geschafft, und wir sind 08/15-Leute. Mir geht es darum, dass man sich damit auseinandersetzt, was man kauft. Das machen wir ja auch bei Lebensmitteln. Ich erwarte einfach, dass die Leute sich darüber einen Kopf machen, was sie jeden Tag auf der Haut tragen. Also erklären wir, worauf man achten muss, wenn man Kleidung verkauft oder weggibt, wo man sich engagieren kann. Was ist gut und was ist Green Washing? Welche Materialien gibt es?

Für das Kleiderschrank-Projekt braucht man Zeit. Das ist das Gegenteil von dem, was die großen Modeketten anbieten. Das schnelle Konsumieren ist die gesellschaftliche Norm.
ALF-TOBIAS ZAHN: Es ist eine bewusste Entscheidung, womit man seine Zeit verbringen will. Ich bin vor fünf Jahren an Schulen gegangen, um in einem Workshop den Schülern klarzumachen, was alles in Mode drinsteckt. Sie hatten vier Stunden Zeit. Dann haben wir gefragt: Was habt ihr geschafft, und was hättest du gerne dafür? Sie sagten: 12 Euro. Du bekommst aber nur einen. Da stutzten sie und sagten: Das geht ja gar nicht. Deshalb ist es gut, schon Kindern die Welt zu erklären.

KIRSTEN BRODDE: Zeit und Geduld, ohne geht es nicht. Wir haben bei Greenpeace viele Erhebungen dazu gemacht, was Menschen alles in ihrem Kleiderschrank haben, und das war erschütternd. Ich dachte: Jetzt, wo alle wissen, wie viel in ihrem Kleiderschrank hängt, kann es nicht so schwer sein, die Katharsis einzuleiten. Aber dann klammern sich doch viele Leute an ihre Bestände. Ich trage zwar nur 20 Kleidungsstücke, aber 480 sind meine stille Reserve. Das hat mit der festen Überzeugung zu tun, dass man sich jeden Tag verändern könnte.

Das ist sehr irrational.
KIRSTEN BRODDE: Ja, wir wissen doch eigentlich, dass das nicht stimmt. Du bist genau so wenig Eisprinzessin wie bunter Schmetterling. Die Persönlichkeit ändert sich nicht, und jeder hat doch seinen Stil.

Das beschäftigt Sie?
KIRSTEN BRODDE: Neulich habe ich ein Experiment für den WDR begleitet, in der eine Familie gecoacht wurde. Die erste Aufgabe war, sich für vier Wochen zu begrenzen und zu entscheiden, was die wesentlichen Teile in meinem Schrank sind. Das hat die Mutter völlig aus der Bahn geworfen, sie war wirklich verzweifelt. Sie hat hartnäckig Kleidung verteidigt, mit dem Gedanken, jeden Tag jemand anders zu sein. Sie wollte von ihren 500 Teilen nichts abgeben.

ALF-TOBIAS ZAHN: Wenn wir für viele Menschen auf der Welt bessere Bedingungen herstellen wollen, sind wir als Konsumenten eine treibende Kraft. Wir verteufeln nicht die grünen Kollektionen der großen Player, aber es ist gut, sich damit auseinanderzusetzen, welchen Ansatz die haben. Zum Beispiel Adidas, die ein paar Plastikflaschen aus dem Ozean fischen und daraus einen Turnschuh machen. Selbst grüne Blogger hypen das bis zum Abwinken. Ich denke, das ist ein Feigenblatt.

KIRSTEN BRODDE: Ich widerspreche der These, dass Konsum unpolitisch ist und dass man nichts damit verändern kann. Das ist zu kurz gesprungen. Wenn sich die Leute Fragen über ihren eigenen Konsum stellen, ist die Bereitschaft auch größer, sich zu engagieren. Bei meinem Brotjob versuche ich auch, am großen Rad zu drehen und den Konzernen Sand ins Getriebe zu streuen. Ich finde schon, dass die Veränderung des eigenen Konsums ihre Berechtigung hat, aber das passiert auch nicht von heute auf morgen.

Welche Rolle spielen die Konzerne?
KIRSTEN BRODDE: Das größte Problem ist, dass H&M und andere Modekonzerne das Versprechen machen, man könne demnächst wieder alles haben, weil es sich im Kreislauf produzieren, also recyceln lässt. Was die als echtes Recycling verkaufen, ist Downcycling. Aus Kleidung werden Dämmmaterial und Putzlappen, egal, ob ihr ein Video dazu macht und Iggy Pop sprechen lasst. Da erkennt man, dass die Konzerne stur weiterwirtschaften wollen. Da müssen wir ran. Das ist der Kulturwandel.

Haben Sie auch Ihre eigenen Kleiderschränke überarbeitet?
ALF-TOBIAS ZAHN: Ich habe 2009 angefangen, mich mit dem Thema zu beschäftigen, weil ich in Nepal in einer NGO gearbeitet habe. Als ich zurückkam, habe ich mit Freunden die Aktion „Designmob“ gestartet. Da habe ich mich damit auseinandergesetzt, warum quietschbunte Turnschuhe nicht so der Knaller sind. Eigentlich kann ich nichts Konventionelles mehr kaufen, so ist mein Kleiderschrank sukzessive immer grüner geworden. Ich bekomme zu jedem Produkt eine Alternative. Für das Buch musste ich meinen Kleiderschrank nicht tunen, aber auch für mich gilt: Bei mir könnte weniger drin sein.

KIRSTEN BRODDE: Mein Kleiderschrank ist explodiert, als ich angefangen habe, mich mit grüner Mode zu beschäftigen, bis vor zwei Jahren, als meine Tochter gesagt hat: Mama, du kaufst mehr als ich.

Flicken Sie Jeans und nähen Knöpfe an?
ALF-TOBIAS ZAHN: Wir haben gemeinsam einen Workshop bei Greenpeace gemacht.

KIRSTEN BRODDE: Beim Nähen kapierst du, dass Mode eigentlich eine langsame Angelegenheit ist. Die Perversion ist die Schnelligkeit. Das war die größte Einsicht meines Nähkurses.

Secondhand ist ein wichtiges Thema im Buch.
KIRSTEN BRODDE: Secondhand gehört für viele zum Lifestyle. In viele Secondhand-Plattformen stecken Investoren Geld, weil sie glauben, dass es eine belastbare Entwicklung ist.

Was war für Sie die größte Herausforderung?
KIRSTEN BRODDE: Das Kleiderleihen war für mich, die ich schon Tofu esse und Fahrrad fahre, eine totale Herausforderung. Dass mir, der ökologischen Speerspitze der Bewegung, das so schwerfällt, hat mich ein bisschen demütig dem gegenüber gemacht, was ich anderen abverlange und in welchem Tempo.

Das Gespräch führte Grit Thönnissen.

Einfach anziehend, der Guide für alle die Wegwerfmode satthaben. Verlag Oekom, 15 Euro

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