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Schattenspiel. Das Schauenfinale von Haider Ackermann in Paris im Oktober 2018.

© Martin Veit

Besuch der Pariser Modewoche: Auf der Suche nach dem Paradies

Um der Mode den Puls zu fühlen, ist unser Autor nach Paris zur Modewoche gefahren.

Die Berliner Modewoche Anfang Juli war dürftig. Zeit, zu sehen, ob in Paris noch der Puls der Mode schlägt. Gefunden habe ich einen ordinären Ausverkauf – und das Paradies.

Paris-Parodie
Es ist schon länger vom Ende der Mode die Rede. Auf der Rue du Faubourg Saint-Honoré wird es offensichtlich. Mode ist hier keine Kultur mehr, sondern ein Geschäft, das von wenigen Konzernen dominiert wird. All die Läden mit ihrem industrialisierten Luxus wirken in dieser Konzentration austauschbar und erinnern an die Shoppingmalls internationaler Flughäfen. Hier werden Markenwerte kapitalisiert, aber keine neuen Werte geschaffen.

Auf der Pariser Tagung des neu gegründeten Netzwerks für Modeforschung, „Culture(s) de Mode“, sagten die Journalistinnen Laurence Benaim und Sophie Abriat, dass von Paris ein ungebrochener Sog ausgehe, jedoch gleichzeitig eine zunehmende Fixierung auf Klischeebilder stattfinde. Die Stadt verkomme für die Modebranche zunehmend zum Dekor, sie nennen das „Paris-Parodie“.

Indem er eine Sargdecke mit Chanel-Logo in einem Bestattungsunternehmen ausstellte, übte Waldemar Kraus, Modeprofessor an der Universität der Künste Berlin, gleichzeitig Konsumkritik. Das Projekt „Ruhe in Frieden“ wurde auf der Art Week in Berlin gezeigt.

Wunderschönes Disneyland
Zumindest ist das Flair der Welthauptstadt der Mode noch da. Abseits der großen Einkaufsstraßen ist Paris weiter so elegant, wie es die Modewelt mag: wunderschöne kleine Geschäfte mit Schokolade oder Parfüm, traditionelle Bäcker und Bistros, Märkte mit Fisch und Gemüse – arrangiert wie für ein Gemälde – und Spitzenhotels mit einem in Deutschland unbekannten Luxus wie den atemberaubenden Blumenarrangements im George V., alles vor den monochromen Fassaden der Ära Haussmann. „Die Magie von Paris lässt alles noch mal schöner aussehen“, so erklärt Fabienne Mauny, Geschäftsführerin des Parfümhauses Diptyque, die anhaltende Begeisterung.

Lange galt Paris als erstarrt, doch in einer globalisierten und damit uniformierten Welt, wo sich ständig alles wandelt, erscheint es wieder attraktiv. Allerdings fühlt man sich hier wie im Warenhaus Manufactum, das sein Sortiment mit dem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ zusammenfasst: in einer wunderschönen Disneylandwelt.

Gebündelte Kräfte

Zudem positioniert sich Paris immer stärker für die internationalen Einkäufer und Journalisten. Der letzte Ort wo sich die Kräfte der Mode bündeln? Der offizielle Kalender überzeugt jedenfalls mit den größten Namen der Mode. Da jetzt alle Welt nach Paris kommt, wird es für die Deutschen zunehmend schwierig, Einladungen zu den Schauen zu erhalten, wie das bloggende Model Marie von den Benken auf Stern.de schreibt.

Aber es gibt ja noch die zahlreichen Showrooms, auch von den deutschen Marken wie Closed, Odeeh, Schumacher oder Wunderkind, außerdem ungezählte Präsentationen und Events wie die sehenswerte Ausstellung der Kleider von Azzedine Alaia und die Messen Tranoi und Premier Class. Jeder versucht hier sein Glück zu machen. Nur wenige haben aber internationales Niveau.

Backstage bei der Schweizer Marke Arkis.
Backstage bei der Schweizer Marke Arkis.

© promo

Eine neue Jugendkultur
Trotzdem träumt eigentlich jeder davon, den Durchbruch zu schaffen und seine Entwürfe auf einer Schau zu zeigen, denn die sind immer noch der Kern der Modewoche. Die französische Designerin Isabell Marant zeigte statt ihres unbeschwerten Boho-Chic – junge Streetwear mit Einflüssen der Hippie-Zeit – glitzernde Mikrokleider. Der Look war ähnlich auch bei Celine oder Saint Laurent zu sehen. Väter können endlich wieder ihren Töchtern verbieten, so aus dem Haus zu gehen.

Nach Jahrzehnten haben wir erstmals wieder eine Trennung der Jugend- von Erwachsenenmode, wie der Trendanalyst fürs Deutsche Modeinstitut Carl Tillessen feststellte. Junge Leute sehen in den Silhouetten der späten 80er und frühen 90er Jahre mit grotesk überschnittenen Schultern, voluminösen Keulenärmeln, Moonwash-Jeans oder Oversize-Jeansjacken genau richtig aus – eine 50-Jährige wirkt darin stehen geblieben. Die Welt der Mode fällt also wieder in zwei Teile. Albert Kriemler ließ sich davon für Akris glücklicherweise nicht irritieren. Er zeigte Kleider aus kostbaren Stoffen, in perfekter Passform und mit Nähten wie Skulpturen. Es entsteht eine Autorität, die unmittelbar verstanden wird. Die Schau von Johnny Talbot und Adrian Runhof war ein Treffpunkt der Deutschen, zudem hatten sie ihre besten 100 Endkunden eingeladen.

Vivienne Westwood hat jetzt ihrem Markennamen den ihres Ehemanns Andreas Kronthaler hinzugefügt, er hat die kreative Leitung übernommen. So ist der Look denn auch deutlich jünger geworden. Skater präsentierten in einer Garage die neueste Kollektion, eine Inszenierung, die sehr gut zu Berlin passen würde. Kronthaler zeigte eher Gewänder als traditionelle Kleider, aufwendige Drapierungen sowie differenzierte Farb- und Materialkombinationen. Das Styling übernahm überraschenderweise der deutsche Designer Bernhard Willhelm. Bekannt für seine starken Inszenierungen übertrieb er auch diesmal, dass es eine Freude war: SM-Geschirr zum blumenbestickten Body, ein Thonet-Stuhl als Kopfschmuck und ein Tablett als Korsage, schief sitzende Perücken in Orange, Grün und Rosa. So entstand eine Kraft, mit der man sich identifizieren konnte. Ob das Trio bald eine Revue im Friedrichstadtpalast ausstattet?

Bestickte Pracht. Rahul Mishra zeigte Entwürfe mit vielen Stickereien aus seiner Heimat Indien.
Bestickte Pracht. Rahul Mishra zeigte Entwürfe mit vielen Stickereien aus seiner Heimat Indien.

© promo

Die Kraft der Mode
Wie Westwood gab auch Haider Ackermann dem Publikum den Glauben an die Kraft der Mode zurück. Ackermann gehört in Paris zu den angesehensten Designern und wurde 2010 von Karl Lagerfeld als Nachfolger genannt, ebenso war er im Gespräch für Dior und Maison Margiela. Er verbindet gekonnt Welten und begeisterte so mit einer modernen und eleganten Alternative zur allgegenwärtigen Streetwear. Die scharf geschnitten Blazer, fließenden Mäntel und Hemden der Unisex-Kollektion überzeugten mit Gefühl für Materialien und Farben. Die ethnischen Muster wirkten durch den Laserschnitt modern. Das Styling verbindet zumeist ein elegantes und ein lässiges Teil. Je genauer man hinsieht, desto schöner wirkt es.

Schon vor der Schau war man von der zarten und meditativen Atmosphäre gefangen, hinterließ mit seinen Sohlen Spuren im gekalkten Boden, starke Scheinwerfer warfen riesige Schatten an die Wand. Bis die Models durch die Halle schlenderten, erst nur zum Klicken der Fotoapparate, dann zur rauen Stimme von Haiders Held, Paolo Conte.

Haider Ackermann zeigt, was Mode im Idealfall auslöst: eine Schönheit, mit der man sich identifiziert und sich neu erfinden kann. Leider sind seine Kleider kaum in den Geschäften, sondern vor allem online zu finden.

Alle Welt glaubt zwar, Fotos seien wichtiger als die Realität und Mode könne aus dem Rechner direkt in die Onlineshops gestellt werden. Doch der Unterschied zwischen Schau und Foto ist gewaltig: Oft meint man, eine ganz andere Veranstaltung besucht zu haben. Während das Video Westwoods Schau noch recht gut wiedergibt, bleibt bei Ackermann nur eine Ahnung. Schon allein für diese Schauen wird man weiter nach Paris fahren.

Joachim Schirrmacher ist Creative Consultant und Autor in Berlin. Er verantwortet als Direktor der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie den Nachwuchspreis „European Fashion Award FASH“.

Joachim Schirrmacher

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